Digital Leadership Summit #2

Von Märchenerzählern und Sinnstiftern

Die digitale Transformation führt zu technischen Umwälzungen – wird aber auch für zutiefst menschliche Herausforderungen sorgen. Welche das sind, stand auf dem zweiten Digital Leadership Summit am 21. Juni in Köln im Fokus.

Ein Beitrag von Sylvia Lipkowski und Nicole Bußmann

„Die vierte industrielle Revolution läuft auf die Befreiung der Menschen von der Arbeit hinaus.“ Richard David Precht, der wohl prominenteste Sprecher des zweiten Digital Leadership Summits, machte eindrücklich, was uns seiner Ansicht nach in 25 bis 30 Jahren bevorsteht: „Die Hälfte der jetzt arbeitenden Bevölkerung hat keinen Job mehr. Die Maschinen arbeiten, die Arbeiter singen“, verdeutlichte der populäre Philosoph in der Trinitatiskirche in Köln und erntete damit dem Veranstaltungsort angemessen bedächtiges Schweigen.

Denn die Digitalisierung wird uns bisher kaum realisierte menschliche Umwälzungen bescheren, zeigte sich Precht überzeugt. Die klassische Arbeits- und Leistungsgesellschaft wird zum Auslaufmodell, das bedingungslose Grundeinkommen alternativlos, und arbeiten wird nur noch, wer intrinsisch dafür motiviert ist, so sein Ausblick. Der Mensch wird dann mehr denn je aus sich selbst zurückgeworfen: Für Beschäftigung und Sinnstiftung wird er nach Prechts Zukunftsbild selbst sorgen müssen.

Noch ist es freilich nicht soweit. Noch haben die meisten Mitarbeiter Führungskräfte, die sie damit versorgen – mit Beschäftigung, aber zunehmend auch mit dem notwendigen Sinn. Das zumindest wurde in vielen Vorträgen der eintägigen Veranstaltung, organisiert von der Kölner Beratung IPA Consulting, gefordert. „Visionary leadership“ nannte es Sabine Remdisch, Wirtschaftspsychologin mit Professur in Lüneburg und im kalifornischen Stanford. Sie bestritt den Eröffnungsvortrag vor über 200 Teilnehmern und benannte Kompetenzfeldern einer Führungskraft der Zukunft. Das Fazit ihrer Forschung zusammengefasst: „Die gute Führungskraft in der digitalen Welt ist Netzwerker, Coach und Storyteller.“ Im Einzelnen sollte die Führungskraft...

... Hierarchien ab- und Netzwerkkompetenz aufbauen können. Und zwar bei sich selbst und ihren Mitarbeitern: Für letztere wird die Zusammenarbeit über Abteilungsgrenzen hinweg immer wichtiger (Stichwort Social Collaboration) – für Führungskräfte selbst wird es ihr Einfluss im Netzwerk sein, der in Zukunft ihre Macht definiert, nicht mehr Statussymbole oder Positionsbezeichnungen. ... für das Empowerment ihrer Mitarbeiter sorgen, sowohl durch die Gesunderhaltung (Stichworte waren Always-On-Mentalität, Abgrenzung...) als auch durch die Befähigung (etwa durch neue Formen virtueller Trainings) wie auch durch Begleitung (beispielsweise mithilfe regelmäßiger Rückmeldungen in Form von Micro- oder Instant-Feedbacks). ... Vertrauen über Distanz aufbauen können. Neben der Beherrschung technischer Tools gehört dazu vor allem die persönliche und emotionale Ebene der Kommunikation: Storytelling wird zum Führungstool – als die Fähigkeit, motivierende und handlungsleitende Visionen zu entwickeln und einen Sinn fürs größere Ganze zu vermitteln.

Beim New-Work-Pionier Haufe-umantis verteilt man diese Rollen auf mehrere Schultern. Die Grenzen zwischen Führungskräften und Mitarbeitern sind dort fließend, und das nicht nur, weil die Chefs in dem St. Gallener IT-Unternehmen auf Zeit gewählt werden und jederzeit wieder ins Team zurückkehren können. „Die Mitarbeiter sind es, die ein Unternehmen führen“, erklärte Stephan Grabmeier, bei Haufe-umantis Chief Innovation Evangelist, auf der Konferenz. Deshalb müssen sie sich selbst aktiv einbringen: In regelmäßigen Klausurtagungen definieren die Mitarbeiter etwa ihre Regeln und Werte selbst, und alle sechs Monate sind sie an der Strategieentwicklung beteiligt. „Nur wenn alle die Strategie verstehen, können sie erfolgreich arbeiten“, argumentierte Grabmeier.

Was in St. Gallen funktioniert, strebt auch der Versandhändler Zalando an: In dem Unternehmen, das sich innerhalb von kaum zehn Jahren vom Start-up zu einer Aktiengesellschaft mit 13.000 Mitarbeitern entwickelt hat, steht seit 2014 nicht mehr nur die Geschäfts-, sondern auch die Kulturentwicklung im Fokus. Angestoßen wurde ein strukturierter Kulturwandel, berichtete die Personalverantwortliche Frauke von Polier. „Kultur ist der einzige Wettbewerbsvorteil, den man nicht kopieren kann“, so ihre Überzeugung, mit der sie ihren Vortrag am Nachmittag vor schon leicht gelehrten Stuhlreihen eröffnete.

„Ist das die Company, wo ich arbeiten wollen würde?“, fragte sich die Personalerin zu Beginn. Das Nein kam wohl nicht nur ihr in den Sinn. Eine Speak-up-Kultur sollte her, wo jeder mitreden können soll, egal in welcher Funktion, egal auf welcher Position. Der so genannte zTalk wurde eingeführt, bei dem die Vorstände von ihrer Woche berichten und Mitarbeiter Fragen stellen können. „Anfangs war das unangenehm“, berichtete von Polier. Doch der Vorstand blieb dran und beantwortete jede noch so kritische Frage. „Nach einem halben Jahr änderten sich die Fragen und auch der Tonfall“, erinnerte sich von Polier. Den sinnstiftenden Unternehmenszweck und die zentralen Werte bekamen die Mitarbeiter zudem nicht von oben serviert, sie erarbeiteten ihn in einem Design-Thinking-Prozess. Ohnehin zeigte sich von Polier überzeugt: „Design Thinking sollte nicht als Tool betrachtet werden, sondern gelebte Kultur sein.“ So entstand der „purpose“ von Zalando, den von Polier ebenso treffend für die Modeinteressierten wie die Entwickler bei Zalando empfindet: „Reimagine fashion for the good of all.“

Was von Polier wichtig war zu betonen: Bei der Mitarbeiterentwicklung darf nicht in Prozessen und Services gedacht werden, sondern in Erfahrungen. Das Credo der HR-Abteilung: Mitarbeiter müssen mit der gleichen Wertschätzung behandelt wie externe Kunden. Damit dies auch weniger guten Führungskräften gelingt, bediente sie sich des Bildes des Karaokesängers: So wie selbst ein schlechter Sänger besser singt, wenn er die Karaoke-Unterstützung erfährt, unterstützt Zalando seine Führungskräfte mit einem Set für einen co-created-Workshop für das jährliche Entwicklungsgespräch mit dem Mitarbeiter.

Schlechte Führungskräfte gibt es ohnehin noch immer viel zu häufig. Und die Digitalisierung macht hier nichts besser, meinte Andreas Syska. Im Gegenteil: „Führung per Flachbildschirm ermöglicht führungsunwilligen Führungskräften die Flucht vor ihren Mitarbeitern“, erklärte der Professor für Produktionsmanagement an der Hochschule Niederrhein. Aber das sei ja in der Zukunft von Industrie 4.0 wie er sie in Köln pessimistisch zeichnete, kein Problem: Schließlich würden Mitarbeiter dort nur noch kontrollierte Befehlsempfänger sein, denen selbstlernende Systeme mitteilen, was sie – etwa bei einer Prozessstörung – zu tun haben („please reboot!“). „Dass Mitarbeiter die Dirigenten der Wertschöpfungskette sind, ist eine Illusion“, erklärte Syska.

Der Industrie-4.0-Experte forderte eine Verschiebung des Fokus in den Unternehmen – weg von der reinen Effizienztreiberei: „Wenn wir mehr vom Menschen her denken, haben wir jetzt die Chance, eine Gesellschaft zu gestalten, wie wir sie haben wollen!“ Damit war Syska nah bei der Argumentation von Precht, der die gleichen Hoffnungen zum Ausdruck brachte. Schließlich kann die Befreiung von der Arbeit, so seine Hoffnung, etwas Wunderbares sein: Es gibt mehr Zeit für selbstbestimmte Arbeit, bessere Arbeitsbedingungen in unattraktiven Jobs und wahrscheinlich nach wie vor sogar Führungskräfte, die als Netzwerker, Coachs und Storyteller unterwegs sind. Diese Aufgaben nämlich werden sich auch in Zukunft nicht von Computern erfüllen lassen, beruhigte Precht das Publikum. Allerdings nannte er sie ein bisschen anders, nämlich: „Strippenzieher, Märchenerzähler und Betreuer“ – sehr zur allgemeinen Erheiterung der Business-Gemeinde in der Trinitatiskirche, die am Ende trotz göttlichem Beistand bei hochsommerlichen Temperaturen sichtbar zusammengeschmolzen war. *****

Fotoquelle: Simon Hecht/Digital Leadership Summit Foto 1: Richard David Precht vor vollem Haus: Zum zweiten Digital Leadership Summit kamen doppelt so viele Teilnehmer wie zum ersten. Foto 2: Frauke von Polier gab einen spannenden Einblick in die Kultur- und Personalentwicklung von Zalando.

23.06.2017
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