'Die Maschine macht die Arbeit, der Mensch die Kultur'

Wie verändert die Digitalisierung die Arbeitswelt? Warum wird Kultur wichtiger? Und was haben Menschen noch immer Maschinen voraus? Fragen wie diese wird Dietmar Dahmen auf der Messe Personal Nord Ende April in Hamburg beantworten. Er ist Chief Innovation Officer des IBM-Tochterunternehmens ecx.io und weiß: Auch in Zukunft brauchen Führungskräfte noch Bauchgefühl. Ein Interview mit dem "Chefkreativen" von Stefanie Hornung, Spring Messe Management.

Gastbeitrag

Herr Dahmen, die Vernetzung von Menschen, Maschinen und Systemen schreitet immer weiter voran. Inwiefern ist diese Entwicklung aus Ihrer Sicht schon in der Arbeitswelt angekommen?

Dieter Dahmen: Die interne Connectivity, zum Beispiel das perfekt vernetzte Büro, hinkt der externen noch hinterher. Wir haben den absolut vernetzten Customer, der Kunde, der sich online informiert und offline kauft oder irgendwie umgekehrt. An diese Wirklichkeit des Marktes müssen sich Unternehmen anpassen. Mitarbeiter möchten die technischen Möglichkeiten, die sie privat nutzen, auch bei der Arbeit haben. Sie sind eine hohe Transparenz und kanalübergreifende Services gewohnt. Warum kann der Arbeitgeber da nicht mithalten? Das ist oft nicht so einfach. Privat kaufe ich mir ein neues Smartphone, eine Virtual-Reality-Brille oder ein sprachgesteuertes System wie Google Home oder Amazon Echo. Fertig ab. Die Implementierung von digitalen Neuigkeiten ist für Unternehmen jedoch mit einem viel größeren Aufwand verbunden.

Zum Beispiel?

Ich habe in England die Polizei beraten dürfen. Damals haben Bankräuber angefangen, Google Glass zu verwenden: Sie haben überall Kameras hingestellt und konnten dann in Real Time sehen, wo die Polizei ist und wie sie am besten umgehen können. Mit dieser Technik waren die Gangster der Polizei einen Schritt voraus. Die Polizei musste alles prüfen, abhörsicher machen und Gremien dafür bilden. Diese Verwaltung machte sie langsam. Die Lösung war eine Polizei der zwei Geschwindigkeiten: Eine kleine Gruppe übersprang so weit wie möglich die Formalitäten und machte einfach. Das gilt für jedes Unternehmen: Auch wenn man nicht jeden Mitarbeiter mit der neuesten technischen Idee ausstatten kann, ist das zumindest bei einigen möglich.

Es sollte also so eine Art „Pilot-Team“ geben, das anders arbeitet?

Ja! Und das hat noch einen großen Vorteil: Wenn Sie Leute auswählen, die sich für technische Neuerungen begeistern, zum Beispiel Vertriebler, die gerne mit Virtual Reality arbeiten möchten, treiben Sie nicht nur die Innovationsfreude in dieser Gruppe. Die Arbeit macht neugierig. Wenn dann auch noch das Top-Management dahinter steht und die Innovation belohnt, steckt der Erfolg andere Mitarbeiter an. Die technische Veränderung sollte also nicht mit der Brechstange daherkommen, sondern mit Begeisterung. Begeisterung lässt uns Hindernisse überwinden und Vorteile sehen. Aber auch Begeisterung allein genügt nicht. Man muss es WOLLEN und KÖNNEN. Expertise ist also ebenso wichtig, und die kann man lernen.

Was gehört noch dazu, um technische Innovationen und neue digital basierte Produkte voranzubringen?

Wer neue technische Geräte wie iPads, Künstliche Intelligenz, Virtual Reality oder Roboter in seine Geschäftsprozesse einbindet, macht das, um am Puls der Zeit zu sein und nicht auf dem Abstellgleis zu landen. Das ist wie in der Biologie: In England waren die Motten früher weiß. Dann kam die industrielle Revolution, die alles dreckig gemacht hat. Um die Tarnung nicht zu verlieren und nicht gefressen zu werden, wurden die Motten schwarz-weiß-gesprenkelt. Die weiße Motte starb aus. Unternehmen, die sich heute nicht an die neue Umwelt anpassen, sind schnell weg vom Fenster. Das heißt: Anpassung ist wichtig, aber noch lange keine Innovation. Wirkliche Innovation erkennt ein Problem, intern oder extern beim Kunden, und findet dafür eine neue Lösung. In Harvard sagt man: Unternehmen besitzen keine Produkte, sie besitzen ein Problem. Zum Beispiel mache ich mit meinem Zahnarzt immer lustiges Termineraten, mittwochs 10 Uhr geht nicht, freitags 14 Uhr kann ich nicht… Das ist ein Problem, das mein Frisör gelöst hat: Er bietet einen Online-Kalender, in dem ich sehen kann, welcher Mitarbeiter wann Zeit hat, und in dem ich direkt einen Termin reservieren kann. Das heißt also: Finde die Probleme! Die Probleme sind nicht mein Feind, sondern mein Freund, weil aus ihnen ein neues Geschäftsmodell kommen kann.

Ein Problem in der Arbeitswelt ist ja, dass wir immer noch lästige Anfahrtswege zur Arbeit haben – mit Staus, Zugfahrten & Co. Wie könnten wir das Problem lösen?

Die Lösung ist offensichtlich: mobiles, vernetztes Arbeiten! Aber: Mobiles Arbeiten ist ein vielschichtiges Thema. Die größte Hürde ist nicht technisch – die Technik ist vorhanden. Die größte Hürde ist auch nicht rational – wir sehen die Vorteile. Die größte Hürde ist emotional – und da sind wir bei der Kultur. Normalerweise haben wir in Unternehmen ja eine Kontrollkultur. Wir schauen, ob der Mensch anwesend ist oder nicht und wie lange er oder sie da ist. Manchmal herrscht Misstrauen gegenüber den Angestellten, ob sie überhaupt arbeiten. Wenn ich plötzlich zum mobilen Arbeiten übergehe, verliere ich die direkte Kontrolle. Dann zählt nur die Leistung: Hat der Mitarbeiter den Job geschafft oder nicht? Wie, wann, wo – egal. Es geht nur darum, dass das Ding fertig ist. Selbstorganisation, Vertrauen, Kulturwandel sind gefragt. Das kann erstens nicht jedes Unternehmen und zweitens auch nicht jeder Mitarbeiter.

Es kommt also auf die Kultur an?

Wenn ich mir die großen Mergers & Acquisitions in vergangenener Zeit anschaue, sind das immer häufiger kulturelle Zukäufe. Da kauft sich beispielsweise ein großes Unternehmen die Arbeitskultur eines Start-ups mit einer solchen Leistungskultur. Früher hat man vor allem ein Werk, also die Produktionsstätte gekauft und viele Leute entlassen. Heute behält man eher die Leute und schmeißt das Werk weg, weil es um die Kultur geht.

Die Unternehmenskultur wird also generell immer wichtiger… Warum?

Heute gibt es kaum noch schlechte Produkte. Den entscheidenden Unterschied macht die Kultur: Wofür steht das Unternehmen? Was sind die Werte? Sind die Mitarbeiter in der Lage, Kundenbeziehungen aufzubauen, den Menschen tatsächlich zu verstehen und Probleme zu erkennen. Die Unternehmenskultur wird aber nicht nur für die Kunden, sondern auch für die eigenen Mitarbeiter wichtiger. Wenn die Kultur attraktiv ist, Freiheit erlaubt, Erfolge belohnt, bleiben die Mitarbeiter dem Unternehmen eher treu.

Heute geht es ja meistens um mehr Agilität – sowohl bei den Produkten als auch bei den Mitarbeitern…

Ja, Agilität ist in aller Munde. Aber es gibt auch hier kulturelle Gründe, die Agilität so schwierig machen. Plötzlich fordere ich von den Mitarbeitern abteilungsübergreifende Kooperation ein. Traditionell sind aber beispielsweise Ingenieure anders als Marketingmenschen. Sie leben in anderen Welten, haben andere Sorgen, sprechen eine andere Sprache. Man kann kulturelle Kooperation nicht erzwingen! Sie müssen in den Abteilungen ihre Missionare finden: Menschen, die bereit sind, zu lehren, zu lernen, Kulturen zu verstehen und Neues anzunehmen. Es ist wie bei der Technik: Die rationalen Vorteile sind uns klar, die emotionalen Hürden sind der Sand im Getriebe. Bei Produkten ist es ähnlich. Deutschland sucht immer die absolut perfekte Lösung, steckt etwa jahrelange Forschung darein und produziert die dann so lang wie möglich. „Long-term alpha“ nennt man das: eine langfristige Alphalösung. In der heutigen Zeit weiß man bei Erfindungen, dass es nicht die beste Lösung ist. Schauen Sie Ihr Handy an: Immer wieder gibt es App-Updates. Warum? Weil die Apps vorher nicht perfekt waren. Sie sind immer so gut, wie es gerade geht und jeden Tag ein bisschen besser. Das ist eine neue Haltung.

Neben der Fehlertoleranz, die Sie beschreiben: Welche Kompetenzen werden wir Menschen noch brauchen, um gegen Maschinen in der Arbeitswelt bestehen zu können?

Ich reise viel und bin andauernd in Hotels. Früher war immer neben der Eingangstür ein Typ, der die Tür aufmachte – und zwar physisch, mit seiner Hand. Er ist immer noch da, die Tür geht aber automatisch auf. Seine Aufgabe ist eine menschliche Leistung. Er sagt: „Willkommen in unserem Hotel! Schön, dass Sie da sind. Wie geht es Ihnen? Kann ich ihnen helfen?“ Die Maschine macht die Arbeit. Der Mensch macht die Kultur. Die menschlichen Arbeiten gehen also auf der Maslowschen Bedürfnispyramide nach oben. Das heißt: Sie bedienen stärker soziale und individuelle Bedürfnisse und den Wunsch nach Selbstverwirklichung. Physiologische Angelegenheiten und selbst Aspekte wie Funktion und Sicherheit – das können auch Maschinen. Also brauche ich Menschen, die empathisch sind, die mitdenken können, die eine Ausnahme machen. Menschen, die sich über Probleme freuen und nicht verärgert sagen, „der Kunde hat angerufen, das Sch**ß-paket ist schon wieder zu spät“.

Inwiefern werden Führungskräfte durch intelligente Systeme ersetzt?

Es gibt mehrere Unternehmen, die bereits Artifical Intellegence im Vorstand haben, wo also ein Vorstandsmitglied maschinell ist. Wenn der Vorstand fragt, „wie waren denn die Verkaufszahlen letztens?“, weiß die AI das sofort. Algorithmen können besser planen, schneller lernen, treffender voraussagen. Aber für den „magischen Mix“ brauchen wir auch in der Führungsetage im Moment noch Menschen. Gute Führungskräfte haben ein gutes „Bauchgefühl“: Der Geschäftsführer muss sein Unternehmen nicht nur „mathematisch“ kennen, sondern auch fühlen und emotional wissen: Wir sind so und nicht so. Das eine ist richtig, das andere nicht.

Wie ist das denn in der Weiterbildungs- und Eventbranche, auf Messen zum Beispiel? Diese leben ja insbesondere von Menschen, die dort auftreten. Werden wir in zehn Jahren statt einem Dietmar Dahmen vielleicht einen Keynote-Roboter sehen?

Vom nackten Inhalt her könnte jeder Event virtuell ersetzt werden. Die Fußballweltmeisterschaft oder die Bundesliga läuft ja zum Beispiel auch im Fernsehen. Dennoch gehen Leute ins Stadion. Die Plätze dort sind viel wertvoller, selbst wenn es jetzt 3D gibt. Bild und Ton mögen gleich sein, aber das Gefühl, der Geruch, die Masse, die Begeisterung, der Schweiß – alle diese Dinge fehlen. Dieses Gesamterlebnis kann ich nicht nachmodellieren. Der Übermittlungskanal, die Technik, schneidet immer Dinge weg. So ist der virtuelle Event nur eine Abbildung und nicht das Original. Selbst das beste gemalte Bild von einem Wald ist nicht so, wie wenn ich durch einen Wald gehe. Ein Hologramm gibt mir einen dreidimensionalen Einblick von einer Sache und ist als technische Besonderheit interessant. So wäre es auch bei einem Roboter auf der Bühne. Keiner würde denken, das ist ein super mitreisender, motivierender, emotionaler Speaker.

Sie treten auf der Messe Personal in Hamburg als Redner auf. Was dürfen wir von Ihnen erwarten, was sich von einer solchen technischen Besonderheit unterscheidet?

Gänsehaut.

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Dietmar Dahmen arbeitet als freier Creative Consultant für (meist) internationale Unternehmen. Seit 2011 hält er zudem die Position des Chief Innovation Officer in bei „ecx.io, an IBM company“. Im September erscheint sein Buch „Dietmar Dahmens Transformation Bamm. Erfolg in Zeiten der Vulkan Ökonomie“. Live erleben kann man ihn als Redner auf der Messe Personal Nord mit dem Vortrag „Von Smart Living bis Smart Mobility“.

21.03.2017
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