Schlauer lernen

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Die Kraft der Handschrift

Henning Beck erklärt, warum der Einsatz der Handschrift durch die Digitalisierung nicht abgeschafft werden sollte.

Als ich vor einiger Zeit umzog und mein Arbeitszimmer aufräumte, traf ich auf alte Bekannte aus meiner Studienzeit: die Aufzeichnungen für die Abschlussprüfung meines Biochemiestudiums, die tatsächlich 248 handschriftliche Seiten umfassten. Dabei ist meine Handschrift geradezu winzig und kaum zu entziffern. Dennoch haben handschriftlich aufgeschriebene Notizen oder physisch gebundene Bücher einen gewaltigen Vorteil gegenüber digitalen Aufschrieben oder E-Books: Sie existieren räumlich – und ermöglichen dadurch einen anderen Zugang zum Lernen.

Wenn man behalten will, was man hört – ob in einem Seminar, einer Schulung oder einem Workshop –, dann ist aus wissenschaftlicher Sicht der Einsatz der Handschrift unbedingt zu empfehlen. Und zwar aus zwei Gründen: Erstens ist man oft zu langsam, um alles per Hand mitzuschreiben, was man hört. Man muss also schon beim Aufschreiben überlegen, was wichtig und was unwichtig ist, man kategorisiert und priorisiert schon im Moment der Niederschrift und wird so in einen aktiven Denk- und Zuhörmodus gezwungen. Sollen Menschen in Lernstudien jedoch mit einer Computertastatur mittippen, tendieren die Probanden immer wieder dazu, einfach so viel wie möglich mitzuschreiben – nach dem Motto: anschauen und den Mitschrieb auswerten kann ich später immer noch. Doch das ist ein Trugschluss, denn in dem Moment, in dem man die Information aufnimmt, denkt man passiv und verarbeitet die Informationen nicht tiefgängig.

Nun könnten die Fans digitaler Notiztools einwenden: Schreib doch mit einem Stift auf einem Tablet mit, statt in die Tastatur zu hauen! Doch auch dann zeigt sich, dass der Inhalt der Notizen schlechter behalten wird, weil man keine räumliche Struktur der Notizen aufbaut. Auf einem physischen Notizzettel schafft man sich nämlich nicht nur einen semantischen Aufschrieb, sondern auch ein Muster, eine geometrische Komposition von Gedanken. Genau solche Muster sind die Sprache unseres Gehirns. Wir denken in Bildern und Zusammenhängen – und prägen uns genau deswegen einen haptisch greifbaren Notizzettel besser ein als einen Aufschrieb in einem digitalen Gerät. Ich kenne deswegen keinen einzigen Top-Entwickler aus der Tech-Branche, der nicht mit einem klassischen Notizbüchlein durch die Gegend läuft – oder zumindest immer Stift und Papier dabeihat, um schnell ein paar Gedanken festzuhalten.

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Aus demselben Grund erinnern sich Menschen übrigens besser an den Inhalt von gedruckten Büchern als an den Inhalt von E-Books. Während man sich beim Durchlesen eines gedruckten Buches gleich eine räumliche Struktur aufbaut (zum Beispiel, dass etwas oben links oder vorne unten im Buch stand), ändert sich beim E-Book räumlich gar nichts. Es ist immer dieselbe Glasscheibe, auf der man umherwischt. Außerdem kann man bei digitalen Texten sehr leicht den Fehler der Überforderung machen: Um einen drögen Text auf einem Tablet aufzuhübschen, werden mitunter animierte Grafiken oder Interaktionsmöglichkeiten eingebaut, um das digitale Potenzial bestmöglich auszunutzen. Doch in Wirklichkeit wird die Lage verschlimmbessert: So erinnern sich Menschen an einen digitalen Text sogar besser, wenn er „nackt“ und ohne Animationen dargeboten wird.

Fazit: Der Königsweg, um neue Informationen zu fixieren und langfristigen Lernerfolg zu ermöglichen, ist ein physischer. Die Handschrift schlägt das Tablet. Das heißt natürlich nicht, dass man handschriftliche Notizen später nicht digitalisieren sollte. Im Gegenteil, denn jeder Medienwechsel sorgt dafür, dass man Informationen neu verarbeitet. Doch das ist eine andere Geschichte.

Henning Beck ist Neurowissenschaftler, und zwar einer der verständlichen. In Vorträgen und Seminaren vermittelt er die spannenden Themen des Gehirns. Sein aktuelles Buch heißt „Das neue Lernen heißt Verstehen“. Kontakt: ­www.henning-beck.com

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