Thilo Baum in Speakers Corner
Thilo Baum in Speakers Corner

„Unternehmen sollten gemäßigt gendern“

​Das Thema ist ein gesellschaftlicher Zankapfel: Soll man gendern oder nicht? Für Unternehmen besteht das Problem darin, dass sie damit, wie sie sich entscheiden – ob für das Gendern oder dagegen – immer auch eine politische Aussage transportieren, selbst wenn dies überhaupt nicht in ihrer Absicht liegt. Der Kommunikationsberater Thilo Baum warnt daher vor einem allzu leichtfertigen Umgang mit dem Thema – und empfiehlt einen gemäßigten Mittelweg im Umgang damit. ​

Sollen Unternehmen gendern? Sollen sie „Vorständin“ sagen statt „Vorstand“? „Mitarbeiter*innen“ schreiben oder „Mitarbeiter:innen“? Sollen sie also Sternchen, Doppelpunkte und Unterstriche verwenden, um damit zu signalisieren, dass alle Geschlechter gemeint sind? Und wie sollen sie es mit der gesprochenen Sprache halten? Sollen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das Wort „Kundinnen“ wie gehabt aussprechen oder mit einer künstlichen Lücke vor dem „i“ („Kund-innen“)?

Zunächst einmal: Sprechen und Schreiben sind Kulturtechniken, und die ändern sich. Die alte deutsche Schreibschrift ist fast vergessen, kaum jemand kann noch Fraktur lesen, und auch das „ß“ ist seltener geworden. Das „N-Wort“ verschwindet, weil es als diskriminierend gilt. Entsprechend kann sich die Sprache auch im Sinne der Geschlechtergerechtigkeit ändern. Mit neuen Gegebenheiten entstehen neue Wörter: Das „Fräulein“ ist weg, die „Vorständin“ ist da.

Ob und wie Unternehmen gendern sollten, ist nicht so einfach zu beantworten. Es ist sicher nicht klug, überhaupt nicht zu gendern und „der Kunde“ zu sagen, wenn auch Frauen gemeint sind. Komplette Gender-Verweigerung würde bedeuten, dass Frau Müller „Lehrer“ ist und Alice Schwarzer „ein Feminist“.

Ebenso wenig ist es in meinen Augen klug, komplett zu gendern. Das Extrem stellt derzeit Lann Hornscheidt dar – 1965 als Antje Hornscheidt geboren und bis 2016 „Professix“ zu Gender Studies und Sprachhandeln an der Humboldt-Universität zu Berlin. Nach Lann Hornscheidt brauchen wir neue Pronomina, um diskriminierungsfrei sprechen und alle einbeziehen zu können. Als Pronomen dient Hornscheidt das Wort „ens“ und statt des angeblich sexistischen Frageworts „wer“ dient „wens“. Will man also wissen, wer sein Fahrrad im Eingang abgestellt hat, fragt man laut Hornscheidts Buch „Wie schreibe ich divers? Wie spreche ich gendergerecht?“: „Könnt ihr mir sagen, wens das Rad mitten vor den Eingang gestellt hat?“ Oder in einer Stellenausschreibung heißt es dann: „Wir suchen einens aktivistisch Lehrens.

Beide Extreme – die Gender-Verweigerung und das totale Gendern – erscheinen mir nicht klug. Gar nicht zu gendern, grenzt aus. Voll zu gendern, macht die Sprache unverständlich und künstlich.

Wenn Unternehmen überlegen, ob sie gendern wollen, sollten sie wissen, worauf das Gendern geistesgeschichtlich beruht. Stellen wir die spannende Frage: Bildet die Sprache die Realität ab, oder schafft sie die Realität?

Zunächst einmal beschreibt die Sprache die Welt und schafft sie nicht: Das Wort „Haus“ bezeichnet ein Haus. Das Wort erschafft das Haus nicht. Anders die Bezeichnung „Fräulein“ für die unverheiratete Nachbarstochter bis weit in die Achtzigerjahre: Dieses Wort schuf tatsächlich eine Realität, wonach unverheiratete Frauen einer Verkleinerungsform bedurften, während Junggesellen schon immer „Herr Müller“ hießen. Und das war ungerecht, das war eine Diskriminierung.

Von solchen Diskriminierungen wollten vor allem die Geisteswissenschaftler der Sechzigerjahre weg. Und das haben sie gut argumentiert: „Dekonstruktion“ oder „Dekonstruktivismus“ heißt die Strömung, wonach grundsätzlich erst einmal alles relativ ist. Philosophen wie Jacques Derrida bemühten sich wortreich, die Bedeutung von Texten aufzulösen. In dieser Tradition hat Judith Butler dann zwischen „Sex“ und „Gender“ unterschieden, wonach das biologische Geschlecht nichts mit dem sozialen Geschlecht zu tun hat. Eine These, der nicht alle folgen. Die katholische Kirche und viele konservative Politiker widersprechen – sie verwahren sich gegen den „Relativismus“, der alles zerredet. Und auch mancher Arzt sagt: Bei einer Prostataentzündung haben wir es mit einem männlichen Patienten zu tun („Sex“). Als was sich der Patient gesellschaftlich sieht („Gender“), ist nebensächlich und seine freie Entscheidung.

Das sind im Grunde die beiden Positionen, zwischen denen sich Unternehmen irgendwo ansiedeln sollten: auf der einen Seite die intellektuelle Filterblase der Geistes- und Sozialwissenschaften und auf der anderen Seite ein Konservatismus, der oft auch mal an überholten Weltbildern festhält. Wer hundertprozentig gendert, auf den färbt das Theoretisierende ab; wer gar nicht gendert, auf den färbt das Konservative ab.

Da das Gendern vor allem aus den geistes- und sozialwissenschaftlichen Instituten kommt, wirkt es im naturwissenschaftlichen Kontext mitunter übrigens befremdlich: Gegenderte Wörter wirken in einer NGO-Forderung zu Integration und Inklusion vertrauter als in einem Zulassungsantrag für ein Medikament oder in einem Schriftsatz einer Anwaltskanzlei. Es kommt also darauf an, was ein Unternehmen macht. Und es kommt darauf an, welche Assoziationen Unternehmen mit ihrer Unternehmenskommunikation wecken wollen.

Einer Umfrage von Infratestdimap im Auftrag der „Welt am Sonntag“ zufolge sind 65 Prozent der Menschen in Deutschland gegen das Gendern. Das heißt: Die Wahrscheinlichkeit, Kunden mit dem Gendern zu irritieren, ist höher als die Wahrscheinlichkeit, sie mit dem Nichtgendern zu irritieren. Laut Infratestdimap sind übrigens selbst bei den durchweg gendernden Grünen immerhin noch 48 Prozent der Anhänger gegen das Gendern.

Unternehmen sind insofern gut beraten, sich gründliche Gedanken über das Gendern zu machen. Wer öffentlich verkündet, künftig mit Unterstrichen, Doppelpunkten oder Sternchen zu gendern, sorgt für jede Menge Fragen von Sprachliebhabern. Zum Beispiel: Das Sternchen in „Mitarbeiter*innen“ soll signalisieren, dass alle Geschlechter gemeint sind. Aber wenn das schon das Sternchen sagt – wozu dann noch der Zusatz „innen“? Oder der Dativ ist meist falsch gebildet: Wenn wir „den Mitarbeiter*innen“ etwas sagen, dann fehlt das „n“ von „den Mitarbeitern“. Warum heißt es nicht „den Mitarbeitern*innen“ mit einem „n“ vor dem Sternchen?

Auf der anderen Seite ist es heute völlig unzureichend, nur von „Kunden“ zu sprechen. Das Wort erlaubt die weibliche Form, also können wir „Kundinnen und Kunden“ sagen. Das empfinde ich als eine gemäßigte Form des Genderns. Wobei ich nicht ständig „Kolleginnen und Kollegen“ sage, sondern ab und zu auch mal „Kollegen“, beim Sprechen auch gerne mal „Kolleginnen“. Das Publikum erkennt dann schon, dass wir niemanden ausgrenzen wollen. Das ist schon mal ein Anhaltspunkt: Substantive, die weibliche Formen ermöglichen, können wir in beiden Formen verwenden.

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Ich empfehle „Studentinnen und Studenten“ schon einfach deswegen, weil Studenten nicht immer „Studierende“ sind. Auch ein „Bäcker“ ist nur manchmal „Backender“. „Studierende“ – grammatisch ist das ein substantiviertes Präsenspartizip, also ein Hauptwort, das aus dem Partizip „studierend“ abgeleitet ist. Hier gibt es den Einwand, das das verkompliziere die Sprache. Außerdem stellt sich die Frage, ob es inhaltlich immer stimmt. Manchmal ist das tatsächlich der Fall: „Der Vorsitzende“ oder „die Vorsitzende“ bezeichnet jemanden, der oder die vorsitzt, beispielsweise einer Gerichtsverhandlung. Ist Feierabend, ist die betreffende Richterin in diesem Verfahren immer noch Vorsitzende. Denn es gibt für ihre Funktion keine andere, besser passende Bezeichnung. Bei Studierenden sieht die Sache anders aus: Studenten und Studentinnen sind die präziseren Beschreibungen für die soziale Rolle. Dem wiederum halten Befürworter und Befürworterinnen der substantivierten Präsenspartizipien das Argument entgegen, dass sich der genaue Sinn des Wortes in aller Regel aus dem Kontext erschließt. Lautet eine Schlagzeile etwa „Studierende brauchen in der Corona-Pandemie Unterstützung“, dürfte den meisten Lesern und Leserinnen durchaus bewusst sein, dass es um die soziale Gruppe geht und nicht um Personen, die gerade studierend die Nase in ein Lehrbuch stecken.

Ein Einwand gegen die Formulierung „Studentinnen und Studenten“ ist zudem der, dass damit ja gar keine diversen Geschlechter berücksichtigt würden, mit Studierenden aber schon. Ja, das stimmt. Darauf könnte man aber auch erwidern: Das generische Maskulinum und Femininum (etwa „Führungskraft“, „Koryphäe“) waren keine ganz so schlechte Idee. Eben weil sie alle Geschlechter mitmeinten. Im Zweifel sagen wir eben einfach dazu, dass wir alle Geschlechter meinen, wenn wir die „Studentinnen und Studenten“ adressieren.

Sie merken: Die Gender-Debatte ist ein Feld voller Pros und Contras. Letztlich wird jedes Unternehmen seinen eigenen, für es selbst stimmigen Weg zwischen Sprachpurismus und Geschlechtergerechtigkeit finden müssen. Ich denke: Der wichtigste Punkt dabei ist Gelassenheit. Unternehmen geraten schnell in den Strudel der Ideologien, wenn sie Sternchen verwenden oder gar nicht gendern. Deswegen wird es sich in vielen Fällen lohnen, einen entspannten Mittelweg einzuschlagen.

<strong>Thilo Baum ...</strong>

Thilo Baum ...

... hilft als Kommunikationsberater und Journalist Menschen und Organisationen, ihre Botschaften auf den Punkt zu bringen. Sein aktuelles Buch: „Schluss mit förmlich! So geht menschliche Unternehmenskommunikation“. Kontakt: www.thilo-baum.de

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