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Beitrag von Petra Matern Russell aus Training aktuell 12/25, Dezember 2025
Im Coachingraum ist es ruhig, doch Lia sitzt keine Sekunde still. Kaum hat sie Platz genommen, lehnt sie sich nach vorne, streicht mit den Händen über den Tisch und zupft an den Ärmeln ihres Pullovers. Ihre Beine wippen hin und her, während sie immer wieder nach ihrem Smartphone in der Hosentasche tastet, es ein Stück herauszieht und dann wieder zurückschiebt. „Also, ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll“, sagt sie. Dann verstummt sie kurz, bevor sie von einer neuen Projektidee in ihrem Job erzählt. Kaum ist sie mittendrin, springt sie zum nächsten Thema. Ein aktueller Konflikt im Team wird erwähnt, doch sie stoppt sich selbst ärgerlich: „Ach nein, das ist jetzt nicht wichtig. Ich wollte eigentlich sagen: Ich fühle mich am Arbeitsplatz ständig unter Druck gesetzt, und ich habe Probleme, Timelines einzuhalten. Daran möchte ich arbeiten.“
Diese Unruhe, die Lia während des Coachings zeigt, könnte einfach Ausdruck von Nervosität sein. Sie könnte aber auch darauf hindeuten, dass es sich bei Lia um eine neurodivergente Person handelt. Neurodivergente Menschen verarbeiten Informationen, nehmen ihre Umgebung wahr und reagieren darauf oft anders als die Mehrheit. Ihr Denken, ihr Verhalten und ihr Erleben unterscheiden sich in Tempo, Logik, Reizfilterung und sozialer Verarbeitung vom typischen Muster. Das klingt zunächst negativ, ist es aber nicht. Neurodiversität ist weder ein Defizit noch eine Krankheit, sondern bedeutet lediglich, dass Gehirne unterschiedlich funktionieren. Unter dem Begriff werden verschiedene neurologische Profile zusammengefasst, darunter u.a. Autismus, ADHS, Hochbegabung und Hochsensibilität.
Neurodiversität ist weder ein Defizit noch eine Krankheit, sondern bedeutet lediglich, dass Gehirne unterschiedlich funktionieren.
Verschiedene Untersuchungen – darunter z.B. die Studie „Neurodiversity in the Workplace“ des Beratungsunternehmens Deloitte – zeigen, dass etwa zehn bis 20 Prozent der Weltbevölkerung als neurodivergent eingestuft werden können. Unter Coachingklientinnen und -klienten dürfte dieser Anteil vermutlich sogar noch viel höher liegen, wofür es mehrere Gründe gibt: Viele neurodivergente Menschen erleben ihren privaten und beruflichen Alltag als besonders herausfordernd. Sie agieren häufig in „neurotypischen“ Umgebungen, die durch Kommunikations- und Leistungsnormen geprägt sind, die nicht zu ihrer Art des Denkens oder Verarbeitens passen. Das führt leicht zu Missverständnissen – und häufig zu der inneren Überzeugung, nicht zu genügen – und/oder Anpassungsdruck: Viele beginnen, ihr Verhalten zu kaschieren, etwa durch einstudierte Gestik, übermäßige Vorbereitung oder stille Zurückhaltung (sogenanntes Masking), was jedoch enorme Energie kostet. Dies alles erhöht den Bedarf an professioneller Unterstützung, etwa um das Selbstbewusstsein zu stärken, private oder berufliche Aufgaben besser bewältigen zu können oder soziale Beziehungen bewusster zu gestalten. Darüber hinaus neigen neurodivergente Menschen häufig dazu, ihr eigenes Verhalten, ihre Denkweisen, Handlungen und ihre Interaktionen intensiver zu reflektieren. Dadurch wird ihnen eher bewusst, wann externe Unterstützung – etwa in Form von Coaching – sinnvoll ist. Außerdem sind sie häufig stark motiviert, sich persönlich weiterzuentwickeln, und offen dafür, neue Perspektiven sowie fachliche Beratung anzunehmen.
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