Schlauer lernen

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Erkläre dich selbst!

Henning Beck erklärt, warum wir mehr zu wissen glauben, als wir es tatsächlich tun.

Bevor wir zu den schwierigen Problemen dieser Welt kommen, fangen wir mal mit einer einfachen Aufgabe an: Wie funktioniert eine Toilette? Der Ort, auf dem Sie täglich Ihr Geschäft verrichten – was wissen Sie wirklich darüber, warum spült es einmal viel und einmal wenig, wenn man die zwei unterschiedlichen Spültasten drückt? Warum hört das Wasser plötzlich auf zu laufen, wenn man lange genug wartet? Und warum ist das Abflussrohr so komisch geschwungen und steht ständig Wasser drin? Toiletten sind alltägliche Begleiter, doch als 2002 an der Universität Yale die psychologische Untersuchung dazu gemacht wurde, konnte praktisch niemand richtig erklären, wie eine Toilette funktioniert. Die meisten wissen, dass man auf eine Taste drückt und dann ein Wasserschwall das Geschäft wegspült. Das reicht fürs Leben.

Hier zeigt sich ein gefährliches psychologisches Phänomen, das uns glauben lässt, mehr zu wissen, als wir es tatsächlich tun, wissenschaftlich „Illusion of Explanatory Depth“ genannt, die Illusion der Erklärtiefe. Wir bilden uns ein, alles zu wissen – aber wir haben tatsächlich keine Ahnung. In Folgeexperimenten konnte zum Beispiel nur ein gutes Viertel der Testpersonen ein Fahrrad richtig zeichnen oder erklären, wie man mit einem Bogen einen Pfeil abschießt. Das wäre alles kein Problem, wenn Menschen sich einfach bewusst wären, dass sie dumm sind, und sich dann (neugierig und bescheiden) auf den Weg der Erkenntnis machen würden.

Leider ist das Gegenteil der Fall. 2013 sollten in einer psychologischen Studie die Testteilnehmer zu politischen Fragen Position beziehen: War man also eher für oder gegen einen CO2-Zertifikatehandel, für oder gegen eine leistungsbezogene Bezahlung von Lehrern. Das Ergebnis war nicht überraschend: Je radikaler man seine Position vertrat, desto eher war man anschließend bereit, für eine Organisation zu spenden, die die eigenen Ansichten vertrat. Wenn man die Menschen jedoch bat, zu erklären, wie ein Zertifikatehandel funktioniert, brach die Spendenbereitschaft um zwei Drittel ein. Denn wer erkennt, dass er nicht so viel weiß, ist auch nicht so überzeugt von sich.

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Diese „Illusion der Erklärtiefe“ hat weitreichende Konsequenzen: Oftmals werden wirtschaftliche, politische oder gesellschaftliche Auseinandersetzungen von denen bestimmt, die das beste Argument haben, nicht von denen, die am besten erklären können. Überhaupt werden wir permanent dazu trainiert, unsere Position zu begründen. In der Wissenschaft ist es anders: Nicht das beste Argument, sondern die beste Erklärung zählt. Technischer Fortschritt ist überhaupt nur möglich, weil es bessere Erklärungen (sprich: Lösungen) gibt, nicht bessere Begründungen. Gegen einen technologisch-wissenschaftlichen Megatrend hat auf Dauer keine Lobbygruppe mit den besten Argumenten eine Chance.

Was sollten wir also tun, wenn wir die Welt verändern wollen? Zunächst sollten wir bei uns selbst anfangen und uns angewöhnen, die Dinge mehr zu erklären. Zumindest ein Stückchen weiter als zuvor. Vielleicht fällt uns dann auf, wie die Dinge wirklich funktionieren, und wir können bessere Entscheidungen treffen. Und wenn wir Menschen überzeugen wollen, sind Erklärungen auf Dauer nachhaltiger als jedes Argument. Wenn ein Mensch bei seiner Meinung bleiben soll, soll er sie begründen. Wenn er voranschreiten will, lass ihn sie erklären.

Der Autor: Henning Beck ist Neurowissenschaftler, und zwar einer der verständlichen. In Vorträgen und Seminaren vermittelt er die spannenden Themen des Gehirns. Sein aktuelles Buch heißt „Das neue Lernen heißt Verstehen“. Kontakt: ­www.henning-beck.com

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