schlauer lernen
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Denken Sie mehr!

​ Henning Beck erklärt, warum KI mehr und kritischeres Denken erfordert. ​

Ich kann heute kein Pferd mehr aufzäumen. Ich kann auch nicht mit Logarithmentafeln rechnen, einen Rechenschieber bedienen oder Stenografie schreiben. Ich muss es aber auch nicht mehr tun. Denn was für alle meine Vorfahren noch essenzielle Fähigkeiten waren, sind heute überkommene Relikte aus der Vergangenheit. Auf einem Foto sehe ich, wie mein Ururgroßvater ein Pferd beschlägt – ich wäre praktisch nutzlos in seinem Betrieb. Umgekehrt könnte er sich wahrscheinlich in der heutigen Welt kaum zurechtfinden, erschlagen von ständig blinkenden Werbeanzeigen, aufpoppenden Nachrichten, drängelnden E-Mails oder eng getakteten Reisen. Denn die Anforderungen an menschliche Fähigkeiten ändern sich im Laufe der Zeit. Wer möchte heute wirklich noch seine Wäsche mit einem Waschbrett waschen, eine Literaturrecherche in einer Bibliothek machen oder handschriftliche Briefe verschicken? Ja, handschriftliche Briefe sind nett. Aber eine kleine Nische. Es gibt heute schließlich auch noch Menschen, die Brieftauben züchten oder mit der Kutsche fahren.

Neue Technologien werden praktisch immer zu dem Zweck hergestellt, weniger zu denken, weniger zu arbeiten, sich weniger anzustrengen. Das führte dazu, dass sich früher überlebensnotwendige Kompetenzen heute als überflüssig entpuppen. Es birgt aber auch das Risiko, dass man irgendwann die Denkfähigkeiten verliert, die wirklich wichtig sind: Dinge zu hinterfragen, sich selbst zu widersprechen, vom Ende her zu denken, Ursachen zu untersuchen – sprich: kritisch zu denken. Gerade heute sind diese Fähigkeiten unter Beschuss. Denn je verbreiteter der Einsatz von generativer KI wird, desto denkfauler werden Menschen. Laut einer Umfrage von EY hinterfragen hierzulande nur 27 Prozent der Menschen die Antworten einer KI. Damit liegt Deutschland auf dem drittletzten Platz weltweit.

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Das ist gefährlich. Denn generative KI ist die erste Technologie, die sich nicht verlässlich verhält. Allen Dingen, die Menschen jemals hergestellt haben, konnte man vertrauen, denn sie verhielten sich immer gleich. Wenn ich bei einem Auto nach links lenke, soll es nach links fahren. Immer. Deswegen gebe ich Geld dafür aus und vertraue ihm. Denn vor dem Vertrauen kommt die Verlässlichkeit. Generative KI ist wie ein Auto, das mal nach links fährt, wenn Sie nach links lenken. Manchmal aber auch nur ein bisschen nach links, manchmal nach rechts, manchmal bremst es. Kurzum: Generative KI ist nie hundertprozentig verlässlich, denn das ist ihr Prinzip. Sie schreit geradezu danach, dass man kritisch hinterfragt, die Antworten überprüft und einordnet. Doch das fällt uns schwer.

„Ich habe es nicht nötig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann“, schrieb Immanuel Kant vor über einem knappen Vierteljahrtausend. Ein Satz, der das Geschäftsmodell von ChatGPT & Co. bedrohlich zusammenfasst. Wenn wir wirklich in Zukunft das Beste aus unserem Denken machen wollen, sollten wir erkennen, dass wir uns nun zum ersten Mal einer Technologie gegenübersehen, die unerwartete Freiheitsgrade hat. Wir können uns auf generative KI nicht so verlassen wie auf Rechenschieber und Logarithmentafeln. Das ist neu – und erfordert ein Umdenken. Vielleicht eine „Re-Aktivierung“ unseres Gehirns, dem wir es über die Jahrtausende mit fortschreitenden Technologien immer bequemer gemacht haben. Nun sehen wir uns zum ersten Mal einer Erfindung gegenüber, die von uns verlangt, aktiv mehr zu denken. Dann müssen wir das auch tun.

Der Autor: ​Henning Beck ist Neurowissenschaftler, und zwar einer der verständlichen. In Vorträgen und Seminaren vermittelt er die spannenden Themen des Gehirns. Sein aktuelles Buch heißt „Besser denken –Fokussieren, Verstehen, Entscheiden“. Kontakt: ­​henning-beck.com

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