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Sollten Führungskräfte ihre Mitarbeiter duzen?

Das 'Sie' ist in den Unternehmen auf dem Rückzug. Auch immer mehr ­Führungskräfte duzen sich mit ihren Mitarbeitern. Was spricht dafür? Was dagegen?Pro: Das 'Du' baut Machtdistanz

Das 'Sie' ist in den Unternehmen auf dem Rückzug. Auch immer mehr ­Führungskräfte duzen sich mit ihren Mitarbeitern. Was spricht dafür? Was dagegen?

Pro: Das 'Du' baut Machtdistanz ab
Für manche Chefs steht das 'Du' für unangebrachte Nähe und Vertrautheit. 'Job ist Job, da muss man nicht zwingend auch privat miteinander werden!' Auch so manche Führungskraft, die früher mal Kollege war, wäre plötzlich gerne wieder beim Sie. Ihre Sorge: Das Du untergrabe ihre Autorität. Und auch unbequeme disziplinarische Maßnahmen könne man so schwerer durchsetzen. Als Beweis dienen ihnen ihre Mitarbeiter, die Entscheidungen und Anweisungen renitent diskutieren, oder die ihnen regelmäßig kräftig Kontra geben. 
Neidisch schaut die Führungskraft mit den 'schwierigen' Mitarbeitern auf den Silberrücken, bei dem es keiner wagt, Widerworte zu äußern oder gar den Chef zu kritisieren. Doch mal ehrlich: Würde ein 'Sie' das Problem lösen?
Die Frage des Duzens ist für mich nur ein Symptom für ein ganz anderes Problem: Hier wird Respekt mit Distanz verwechselt. Und Unterordnung ist das fragwürdige Ziel.
Führung, die sich durchsetzen muss, ist Führung aus dem vergangenen Jahrhundert. Denn sie birgt mehr Gefahren als Nutzen: Die Zeitungen sind voll von Geschichten, in denen ein Arzt das falsche Bein amputiert, während die OP-Schwester, die den Irrtum rechtzeitig bemerkt, es nicht wagen darf, den übermächtigen Halbgott in Weiß auf seinen Fehler hinzuweisen. Flugzeuge stürzen ab, weil Copiloten sich nicht trauen, bei Fehlentscheidungen der ranghöheren Piloten einzuschreiten. Dominante CEOs reiten mit ihrer autoritären Führung ganze Konzerne in die Pleite (Grundig, VW-Abgas-Skandal und und und).
Das Phänomen, das die so notwendige offene Kommunikation unterbindet, heißt Machtdistanz! Die Kosten – durch schlechte, zu wenig diskutierte Entscheidungen, demotivierte Mitarbeiter, eskalierende Konflikte – erscheinen nirgends, doch sie sind immens. Das Gegenmittel: Gute Chefs schaffen sich Mitarbeiter, die ihnen widersprechen!
Zeitgemäße Führung befiehlt nicht, sondern überzeugt. Und Überzeugen gelingt über Respekt, beste Beziehungen zu Mitarbeitern und offenen Dialog. Dieser Führungsstil braucht aber eine gefestigte Persönlichkeit, die Widerstand und aufrichtiges Feedback aktiv sucht und damit konstruktiv umgehen kann. Dazu muss man als Chef Machtdistanz gezielt verringern.
Wer meint, als Führungskraft das 'Sie' zu brauchen, geht einen Schritt in die entgegengesetzte Richtung. Eine starke Persönlichkeit braucht kein Sie. Das 'Du' ist ein Faktor, der Machtdistanz abbaut und damit zu gesundem Dialog beitragen kann.
Peter Rach ist Kommunikationstrainer, Führungskräftecoach und Experte für Teamentwicklung. 

Contra: Das 'Sie' steht für professionelle Nähe
Der Volksmund sagt: Wenn sich das Herz entschieden hat, findet der Verstand tausend Argumente. Ja – mein Herz und mein Verstand haben sich entschieden: für das 'Du' und für das 'Sie'. In unserer Kultur und Sprache bin ich mit beiden Anredeformen sozialisiert worden. Das persönliche 'Du' in der Familie, mit seinem emotionalen Ursprung 'Da bist Du ja', wenn wir auf dieWelt kommen. Wenn die Mutter dann ihr Kind in den Arm nimmt (oder der Vater oder die Geschwister), wenn sie Hautkontakt und Nahrung anbietet. Als Kinder lernen wir diese beschützende und ohne Falsch agierende körperliche und kulturelle Nähe.
Darüber hinaus lernen wir das gleichmachende und gleichseiende 'Du': zwischen den Spielkameraden, im Schachclub, im Kirchenchor, im Handballverein usw. Das 'Du' als Ausdruck einer hierarchiefreien Gemeinschaft. Chor- und Kirchenvorstand werden als Ausdruck einer bestehenden Basis der Gleichheit gewählt. Sie sind Interessenvertreter und Sprachrohr der Gemeinschaft.
Des Weiteren gibt es das intime 'Du' zwischen den Liebenden. Die biologisch-körperliche Vertrautheit zwischen den Menschen. Das Refugium, zu dem andere keinen Zutritt haben und haben dürfen.
Als Kinder lernen wir aber auch das 'Sie' als Ausdruck einer Differenz, eines Unterschiedes, einer wirkenden Hierarchie. Wir akzeptieren überragende Macht zur nachhaltigen Beeinflussung: die des Lehrers, des Polizisten, des Steuerbeamten usw. Niemand würde ernsthaft auf die Idee kommen, einen Staatsanwalt oder Richter zu duzen.
Es gibt aber auch das 'Sie', das den anderen in seiner Persönlichkeit, seiner Individualität und seinem Fachkönnen nicht nur akzeptiert, sondern auch respektiert. Ich kenne keinen Patienten, der seinen Arzt duzt, nachdem dieser ihn gebeten hat, seine Hose runterzulassen und sich nach vorne zu beugen, damit er ihn rektal monitoren kann. 'Du' schafft keine Nähe, sondern kann Persönliches und Intimes ver- und zerstören – insbesondere, wenn es angeordnet wird.
Ich sieze in allen vertragsbasierten Kontexten. Mitarbeiter zu Führungskraft. Führungskraft zu Mitarbeiter. Den Taxifahrer, meinen Klempner und die Verkäuferin beim Bäcker. Insbesondere in geschäftlichen Kontexten ist das 'Sie' die professionellste Form der Nähe. Damit kann jeder sehr respektvoll und wertschätzend, aber dissoziiert mit dem Gegenüber Kontakt aufnehmen und Kontakt halten – insbesondere in schwierigen und vertrackten Situationen. Das 'Du' ist im öffentlichen Leben einfach Ausdruck mangelnder Bildung und Kultur.
Dr. Rolf Meier ist systemischer Business-, Führ­ungs­kräfte- und ­­Teamcoach mit eigenem Institut in Henstedt-Ulzburg. 

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