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Beitrag von Christiane Lüschen-Heimer aus managerSeminare 331, Oktober 2025
Schmerzhaft, aber nützlich: Welche Funktion Scham für Menschen und Organisationen hat
Problematische Tabuisierung: Warum Scham vor allem dann zum Problem wird, wenn man sie verdrängt
Der Schamtrichter: Wie sich in Organisationen Muster der Beschämung ausbreiten und manifestieren
Reflexion als wichtigste Intervention: Was Organisationen tun können, damit die Würde gewahrt bleibt
Hier geht es zur gesamten Ausgabe managerSeminare 331
Die Führungskraft einer Produktionsabteilung legt einen äußerst autoritären Leitungsstil an den Tag. Fehler sanktioniert sie hart. Die Mitarbeitenden müssen ihr jeden noch so kleinen Prozessschritt vorlegen, damit dieser abgesegnet wird. Anweisungen, die die Führungskraft gibt, sind natürlich indiskutabel. Anerkennung und Wertschätzung gibt es nicht. Die übergeordnete Führungskraft lässt die autoritäre Produktionsleitung einfach gewähren. Schließlich sind die Zeiten hart, es steht nicht gut um die Position des Unternehmens am Markt. Als die übergeordnete Führungskraft schließlich in Rente geht, erhofft sich die Mitarbeiterschaft eine Veränderung. Und tatsächlich: Die neue obere Führungskraft weist den Leiter der Produktionsabteilung in seine Schranken. Der Führungsstil soll jetzt mehr in Richtung Selbstverantwortlichkeit des Teams verändert werden, entsprechende Workshops und Meetings finden statt. Doch besser wird dadurch nichts, im Gegenteil: Mobbingfälle in der Abteilung nehmen zu; der Betriebsrat wird einbezogen, die Situation eskaliert fast ins Haltlose.
Dass das Verhalten in der Produktionsabteilung unterirdisch ist, ist offensichtlich. Dass es dafür aber eine Ursache gibt, die selten dahinter vermutet wird, ist weniger offensichtlich: Scham, und zwar Scham, die ursprünglich an einer ganz anderen Stelle in der Organisation entstanden ist. Um dieses komplexe Geschehen zu verstehen, müssen wir uns zunächst damit beschäftigen, was Scham eigentlich ist, wie sie entsteht und vor allem, welche Eigenlogik sie in Organisationen entwickeln kann.
„Wie? Du gehst jetzt schon nach Hause?“ In manchen Firmen ist Beschämung Usus – etwa von Kolleginnen und Kollegen, die die reguläre Arbeitszeit einhalten. Nicht, weil dort missgünstige Menschen zusammenarbeiten, sondern weil die Organisation strategisch darauf setzt, Effizienzsteigerung durch Mehrarbeit zu erreichen. Tatsächlich hat Beschämung in Unternehmen ihren Ursprung oft dort, wo man sie nicht vermutet, etwa in der Strategie, den Strukturen, dem Regelwerk. Sie zeigt sich dort in unterschiedlicher, oft nicht direkt erkennbarer Form. Welche Felder Führungskräfte im Auge behalten sollten.
Scham ist uns allen vertraut, weil sie angeboren ist. Sie gehört als eine besondere Variante des Gefühls der Angst zu unserem Menschsein dazu. Wir alle kennen die Empfindungen, die in Sprichwörtern und Metaphern wie „Schamesröte“, „Vor Scham blass werden“ oder „Vor Scham im Boden versinken“ stecken. Lediglich, wofür wir uns schämen und in welchem Ausmaß, ist unterschiedlich. So hat jeder Mensch seine eigene Schambiografie. Die Bezugspunkte unserer Scham hängen darüber hinaus stark von der Kultur ab, in der wir sozialisiert worden sind, und auch von den verschiedenen Subkulturen, in denen wir uns bewegen. Je nachdem, in welcher sozialen Gruppe wir unterwegs sind (Arbeit, Verein, Kirchengemeinde, Familie, Freundeskreis), gibt es kontextindividuelle Schamgrenzen. Auf der Arbeit schämen wir uns mitunter für anderes als im privaten Rahmen. Und auch je nach Arbeitskontext kann es sein, dass uns Unterschiedliches mit Scham erfüllt. In der sozialen Arbeit gibt es beispielsweise andere Werteerwartungen als bei Firmen der Automobilherstellung, ergo schämt man sich dort tendenziell für andere Dinge.
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