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Roman über Coaching-Scharlatanerie

Kerle, Kummer, Krach

Gerade erst hat Jan Böhmermann in seinem ZDF Magazin Royale windige Internet-Business-Coachs vor einem Millionenpublikum durch den Kakao gezogen (und damit in der Coachingszene Sorgen ums Image der Branche provoziert), da folgt schon der nächste „Anschlag“ auf den guten Ruf der Zunft: Sebastian Hotz, einer von Böhmermanns Gagschreibern, Podcaster und König knackig-satirischer Kurznachrichten auf Twitter und Instagram, hat bei Kiepenheuer & Witsch seinen ersten Roman veröffentlicht: Mindset.

Im Mittelpunkt des literarischen Debüts steht Maximilian Krach, ein selbst ernannter „Entrepreneur, anerkannter Finanzexperte, Lifestyle-Coach, Success Advisor und Gründer“, der seinen Anhängern verspricht, ihrem Leiden an der eigenen Durchschnittlichkeit entfliehen zu können, wenn sie nur das „richtige Mindset“ entwickeln. Denn, so lehrt Krach in seinen Seminaren, einzig das Mindset unterscheide Schafe, Gejagte also, von Wölfen, also den Jägern und Gewinnern. „Tiermetaphern sind die Butter auf dem Brot jedes Redners. Von Jesus bis Joseph Goebbels hat jeder ernst zu nehmende Rhetoriker sich ihrer bedient“, heißt es in einer Seminarszene, die sich im tristen Tagungsraum des Holiday Inn Express Hotels in Mülheim an der Ruhr abspielt. Krachs Klientel: ein überschaubares Grüppchen junger Männer, die nach außen hin Zugehörigkeit zu einer Erfolgselite simulieren, im Grunde aber bloß an ihrer Normalo-Existenz verzweifeln. So wie Mirko, IT-Fachmann aus Gütersloh, der sich durch einen lähmend langweiligen (Job-)Alltag quält – bis er beim Scrollen in den Social Media auf das edelglänzende Profil von Krach stößt und dessen Coachingprogramm Genesis Ego verfällt.

Der Roman „Mindset“ von Sebastian Hotz, alias El Hotzo, dreht sich um dubiose Auswüchse der Coachingbranche.  Max Sand

Was weder Mirko noch die anderen traurigen Erfolgssucher ahnen: Maximilian Krach, der sich dafür preist, es dank seines Mindsets vom Pizzaboten in die höchsten Erfolgssphären geschafft zu haben – und der eigentlich kein Konzept, sondern ausschließlich sich selbst verkauft –, ist auch nur ein „Häufchen Elend im Slim-Fit-Anzug“. Ein junger Kerl, der sich, von Versagensängsten geplagt, vor seinem Auftritt in der Herrentoilette des Holiday Inn Express die Seele aus dem Leib reihert. Denn Krachs auf den Social Media mittels Insignien der Konsumgesellschaft zur Schau gestellter Erfolg ist nur ein Bluff. Statt, wie behauptet, im Sportwagen, reist er mit dem RE zum Seminartermin an. Die Luxusuhr an seinem Handgelenk ist bloß ein Imitat. Und noch nicht einmal die Tagungsraummiete im Hotel kann er mit seinen gesperrten Kreditkarten begleichen.

Der Scharlatan-Coach verspricht Errettung aus dem tristen Joballtag

Seit Erscheinen des Romans ist das Echo in Presse und Öffentlichkeit enorm. Als hohe Literatur wird das Buch zwar nicht gehandelt, doch es scheint einen Nerv zu treffen. Denn „El Hotzo“, wie Sebastian Hotz sich in den Social Media nennt, tut hier das, was er auch mit seinen Social Media Posts macht: den neoliberalen Zeitgeist aufs Korn nehmen. Dieser Zeitgeist, so sieht es der Autor, kristallisiert sich in kaum etwas so stark wie im Begriff Mindset.

„Mindset“, sagt Hotz in einem Interview mit dem Sender NDR Kultur, „ist ein Kampfbegriff, der von den Anhängern einer neoliberalen Erzählung um sich geworfen wird und besagt, dass jeder Mensch unabhängig von Umwelteinflüssen ist und alles schaffen kann, wenn er sich nur genug anstrengt.“ Junge Männer wie Mirko gingen dem neoliberalen Narrativ deswegen auf den Leim, räsoniert Hotz in einem anderen Interview mit dem WDR, weil es mit Anfang zwanzig eine schreckliche Vorstellung sei, den als sterbenslangweilig erlebten Berufsalltag noch vierzig Jahre aushalten zu müssen. Sebastian Hotz' Roman dreht sich insofern nicht nur um neoliberale Ideologien und toxische Männlichkeitsvorstellungen (durchschnittlich zu sein, geht nicht, man muss schon hervorstechen, allerdings, indem man dem vorgegebenen Bild von Erfolg möglichst genau entspricht). Es thematisiert auch eine Arbeitswelt, in der sehr viele Jobs weit vom Sinn- und Selbstbestimmungshorizont entfernt sind, den man bei HR-Kongressen gern aufspannt.

Antagonistin Yasmin hat ein gesundes Verhältnis zur Arbeit

Auch Romanfigur Yasmin, Rezeptionistin im Holiday Inn Express, die es sich aus Rache für eine Respektlosigkeit Krachs zur Herzensaufgabe macht, die Tagungsraummiete von dem zahlungsunfähigen Coach einzutreiben, steckt in einem Job,, der sie ähnlich nervt wie Mirko der seine. Allerdings zieht sie andere Konsequenzen daraus, für sie gilt: „Ein Job ist nur ein Job.“ Im NDR-Kultur-Interview auf das Phänomen Quiet Quitting angesprochen, für das die Figur zu stehen scheint, antwortet Hotz ironisch: „Ich finde es fantastisch, in einem Land zu leben, in dem die Bezeichnung Dienst nach Vorschrift eine Beleidigung ist“, und erklärt dann ernsthaft weiter: „Ich finde, es ist eine gesunde Tendenz, ein bisschen mehr darauf zu achten, ob ich nicht meinem Arbeitgeber mehr gebe, als er eigentlich von mir verlangt.“

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Es geht in Buch und Rezensionen um vieles, außer seriösem Coaching

Ein überzogenes Verständnis von Arbeitsmoral. Die Farce vom selbst gemachten Erfolg. Merkwürdige Männlichkeitsnormen. Hochstaplertum. Pseudo-Coaching – das Buch hat viele Themen, eines jedoch nicht: seriöses Coaching jenseits der Bubble der Scharlatane, die im Web schamlos auf Seelenfang gehen. Wie schon die über die „Internet-Business-Coachs“ herziehende Böhmermann-Show, sorgt das Buch in der seriösen Coachingbranche trotzdem für ungute Gefühle. Es sei einerseits amüsant, da man über solchen Bullshit nur den Kopf schütteln könne, schreibt etwa die Deutsche Gesellschaft für Supervision und Coaching e.V. (DGSv) in einem LinkedIn-Post. Andererseits aber drohe durch Werke wie das von Hotz, „die gesamte Branche (...) in Misskredit zu geraten“.

Aus Sicht des Wirtschaftspsychologen Carsten Schermuly besteht das Problem auch darin, dass selbst die Rezeption des Werkes in den überregionalen Medien höchst undifferenziert ausfalle: „In keiner Rezension, die ich lesen konnte, wird erwähnt, dass es auch seriöse, hart arbeitende Coachs gibt, die Menschen auf Augenhöhe im Arbeitskontext begleiten und dabei positive Effekte bewirken. Nirgendwo wird die Wissenschaft erwähnt, die die kausalen Effekte von seriösen Coachs nachgewiesen hat“, schreibt Schermuly, ebenfalls auf LinkedIn – im Bewusstsein, mit seiner Aufklärungsarbeit leider nur ein paar wenige, meist ohnehin schon Aufgeklärte zu erreichen. Während ein El Hotzo Millionen Follower zählt.

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