Deutschland sucht den Top-Coach und die Branche steht Kopf

Auf Facebook läuft so eine Art Shitstorm. Im Zentrum stehen dabei Xing und Focus, die gemeinsam ein Siegel auf den Markt geworfen haben, das Coachs auszeichnet. Losgetreten hat die Diskussion Motivationstrainer Steve Kroeger, ein Siegel-Empfänger, der das Geschäftsmodell, das mit dem Siegel verbunden ist, öffentlich gemacht hat. Nun streitet die Branche. Für oder gegen ethisches Marketing. Um Qualität und die Hintergründe des Siegels.

Was zwanzigplus Coachingverbände nicht geschafft haben, haben jetzt Xing und Focus erreicht: ein Siegel auf den Markt geworfen, das Top-Coachs auszeichnet. Hurra. Während viele durchaus kluge Menschen sich seit Jahren die Köpfe heiß reden, wie denn Qualität von Coaching zu messen ist, über Standards und Mindestvoraussetzungen streiten, haben es sich die beiden Burda-Töchter leicht gemacht und einfach eine Umfrage aufgesetzt. Weil sie endlich Transparenz in diesen undurchsichtigen Markt bringen und den Nachfragern bei der Auswahl des richtigen Coachs behilflich sein wollen? Man darf das bezweifeln.

Seit einigen Tagen, Wochen posten Coachs ihre Auszeichnungen als Top-Coach Focus auf Facebook. Top-Coach - das klingt nach Qualität, und man wurde gewählt, das schmeichelt dem Ego. Das Schreiben, das der Urkunde beiliegt, betont das "Vertrauen von Millionen Menschen in die Kompetenz der Marke Focus". Perfide: Während der Empfang des Siegels kostenlos ist, ist es das zur Schautragen desselben nicht. 5.000 Euro möchten die Auslober dafür haben. „Die ganze Vorauswahl ist nur ein Zwischenschritt mit dem eigentlichen Ziel, die Siegel an die Coachs zu verkaufen“, urteilt Steve Kroeger, der auf Facebook das Verfahren bekannt gemacht hat und innerhalb von 48 Stunden über 400 Sharings seines Posts bekam.

Das bringt die ungewollt in Misskredit, die es stolz gepostet haben. Happy Clappy, Gratulationen, 250 Likes später steht die Frage im Raum: Wie aussagekräftig ist die Auszeichnung? Schon im März war ein kritischer Artikel zu dem Verfahren von Coach Thomas Webers auf managementwissenonline.de erschienen. Was soll dabei herauskommen, wenn Personalverantwortlichen (den vermeintlichen Kunden) sowie den eigenen Kollegen die Frage gestellt wird: Welchen Coach würden Sie empfehlen?

Da empfiehlt dann Schmidt Schmidtchen, wobei die Tatsache übersehen oder ignoriert wird, dass es keine guten Coachs an und für sich gibt. „Es geht immer relativ um Passung von Coach, Methoden und Kontext“, schreibt Webers, und schlussfolgert: alles zu kompliziert für den Otto-Normalcoach. Und natürlich sowieso für den Nachfrager, dessen Wunsch nach eindeutigen Antworten Xing und Focus nachzugehen vorgegeben haben.

140.000 Coachs will Xing über ihre eigene Plattform identifiziert haben und zur Teilnahme an der Studie eingeladen haben. Die Zahl macht stutzig: Deutschland hat mehr 140.000 Coachs? Zudem wurden 77.000 Personalverantwortliche eingeladen, ihre Stimme abzugeben und für 15 Kategorien (Etwa Verkauf, Führung, Change...) jeweils bis zu 5 Coachs zu empfehlen. Am Ende sollen 6.800 Teilnehmer mitgemacht haben, wie viele davon Kollegen oder aber Kunden waren, ist nicht offen gelegt (Nachfragen bei Xing und Burda laufen). Genauso wenig ist öffentlich, wie viele Empfehlungen ein Coach brauchte, um als Top-Coach identifiziert zu werden oder wie viele Empfehlungen die einzelnen Coachs erzielt haben.

Nun ist sie aber nunmal raus, die Liste. Unterteilt nach den Kategorien sind die Coachs alphabetisch nach Ortsnamen gelistet. Ein Ranking will die Liste nach Aussage von Focus und Xing nämlich nicht sein. Warum nicht? Auch diese Antwort seitens Xing und Burda steht noch aus. Das Siegel „Top-Coach“ suggeriert ein Qualitätsversprechen, sagt bestenfalls aber aus, wie populär und vernetzt ein Coach ist, meint Stephan Gingter vom BDVT, dem Berufsverband für Trainer, Berater und Coachs. Ohnehin braucht der Markt die Auszeichnung nicht, sagt der Präsident des Verbandes, und räumt freimütig ein: „Die Auszeichnung zeigt, dass es unserer Branche bis hierhin noch nicht ausreichend gelungen ist, die richtigen Standards zu etablieren.“

Und das ist das eigentlich Traurige: Das Siegel führt die Weiterbildungsbranche regelrecht vor. Weil es bislang niemand geschafft hat, in diesen unübersichtlichen Markt eine Schneise zu schlagen, müssen sich einige Coachs ein „Qualitätssiegel“ von einem Verlag verpassen lassen, der sich bislang nicht durch Kompetenz im Weiterbildungsmarkt ausgezeichnet hat. Und das noch in dem Bewusstsein, dass sich hinter der Studie weder ein altruistisches Aufklärungsmotiv verbirgt noch eine journalistische Leistung, sondern simpel ein Geschäftsmodell.

Hat es die Branche wirklich nötig, jeden Marketingstrohhalm zu ergreifen, der ihnen vor die Nase gehalten wird?

22.07.2016
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