Reflexion

Trainingsspitze
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Profi ohne Profession

Changemanagement ist schwer zu fassen – ein Umstand, der dazu führt, dass viele Weiterbildungsprofis, die sich Veränderungsmanagement auf die Fahnen geschrieben haben, mit dem Vorwurf der „Scharlatanerie“ konfrontiert werden. Wie die Professionsbildung dem entgegenwirken kann und woran es dem Organisationssoziologen Stefan Kühl zufolge dabei hakt.

Besonders wenn es um das Thema „Change“ – egal ob in Unternehmen, Verwaltungen, Krankenhäusern, Hochschulen oder Polizeibehörden – geht, werden Weiterbildungsprofessionals nicht selten mit dem Verdacht der Scharlatanerie konfrontiert. Mitarbeitende beschweren sich über schlechte Erfahrungen mit Vertreterinnen und Vertretern dieser Berufsklasse und beklagen, dass diese mehr oder minder gedankenlos die jeweils aktuelle Managementmode propagieren und am Ende nichts als „verbrannte Erde“ hinterlassen. Aber auch die Veränderungsspezialisten selbst bedauern nicht selten, dass es an einheitlichen Standards für die Herstellung, Entwicklung und Sicherung der Qualität von Change-Prozessen fehlt.

Hintergrund für das Qualitätsproblem im Changemanagement ist, dass es sich bei der Durchführung und Begleitung von Veränderungsprozessen um komplexe Dienstleistungen handelt, die sich einer statischen Qualitätsmessung und -sicherung entziehen. Da der Kunde bzw. die Kundin mitverantwortlich für den Erfolg einer Maßnahme ist, sind Beratungsprozesse in einem solchen „Veränderungsmanagement“ stark mit Unsicherheit behaftet.

Für Change gibt es kein Rezept

Im Gegensatz zu der Produktion einer Metallbox, der Einrichtung einer telefonischen Verkaufsaktion, der Bedienung von Kunden im Restaurant oder der logistischen Verkettung mit Zulieferern ist ein Organisationsentwicklungsprozess nur schwer steuer-, plan- und voraussagbar. Die Probleme der Klientinnen und Klienten sind meistens so gebaut, dass sie nicht durch „einfache Rezeptologien“ gelöst werden können. Sie sind so komplex, dass für sie kein Standardablauf entwickelt werden kann und Entscheidungen von Fall zu Fall getroffen werden müssen.

Die vielen Fragen, mit denen sich Consultants in Veränderungsprozessen konfrontiert sehen, sind für diese Unsicherheit charakteristisch: Wie wirken sich die geplanten Interventionen aus? Wie reagiert das Klientensystem auf die Diagnosen und Eingriffe der Beratenden? Welche ungewollten Nebenfolgen könnten sich im Rahmen eines Organisationsentwicklungsprozesses ausbilden, und wie würden sie sich verhindern lassen? Welches Eigenleben hat die Organisation, und wie beeinflusst dieses mein Handeln? Welche Immunisierungsbestrebungen gibt es in der Organisation, und wie sollte man als Consultant darauf reagieren?

In der Soziologie wird diese Unsicherheitsbelastung von Tätigkeiten als „Technologiedefizit“ bezeichnet. Demnach ist eine Tätigkeit so komplex, dass sie nicht in einzelne Komponenten zerlegt werden kann – und sich somit einer formalisierten Qualitätssicherung entzieht, wie sie bei in Einzelteilen zerlegbaren Tätigkeiten möglich ist. Das heißt: Am Produkt oder am Prozess wird überprüft, ob die Werte – die vorweg als Standards der Qualität definiert worden sind – eingehalten wurden oder nicht. Man braucht sich lediglich den Produktionsprozess in einer Dosenfabrik anzusehen, um zu erkennen, welche Rolle definierte und überprüfbare Qualitätsstandards, zum Beispiel in Form von ISO-Normen, spielen.

Die Tätigkeit eines Change-Beraters bzw. einer Organisationsentwicklerin ist so komplex, dass sie nicht in einzelne Komponenten zerlegt werden kann – und sich somit einer formalisierten Qualitätssicherung entzieht, wie sie bei in Einzelteilen zerlegbaren Tätigkeiten möglich ist.

Professionen können entwickelt werden

Berufsfelder wie die Medizin, die Juristerei oder die Theologie haben das Technologiedefizit dadurch in den Griff bekommen, dass sie eigene Professionen ausgebildet haben. Hochschulen mit standardisierten oder teilstandardisierten Ausbildungsgängen wurden eingerichtet, in denen die wissenschaftlichen Grundlagen auch durch Forschung weiterentwickelt worden sind. Professionsverbände wurden gegründet, die nicht nur den Anspruch haben, alle in dem Bereich Tätigen zu organisieren, sondern gleichzeitig – ganz wichtig – den Zugang zum Beruf zu kontrollieren. Professionelle Maßstäbe wurden etabliert, an denen sich alle in der Branche zu orientieren haben. Gleichzeitig wurden Möglichkeiten geschaffen, Personen von der Ausübung der Tätigkeit auszuschließen, wenn sie sich nicht an diese Standards halten.

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Zwar kann es selbst in diesen ausdifferenzierten Professionen zu eklatanten Kunstfehlern kommen – etwa wenn Patienten falsch operiert werden und mit der berühmt-berüchtigten Schere in ihrem Bauch wieder aufwachen. Oder wenn Klientinnen eine falsche Rechtsberatung bekommen und trotz guter Ausgangsbasis ihren Prozess verlieren. Oder wenn Gläubige vom Theologen falsch beraten werden und trotz der Befolgung aller Anweisungen durch das christliche Fachpersonal in die Hölle kommen. Der Unterschied von Professionen gegenüber Nichtprofessionen ist jedoch, dass etwaige Probleme innerhalb der Gemeinschaft der Professionellen kontrolliert werden. Erst durch die ausdifferenzierten Professionen können Scharlatanerie, Kunstfehler und Stümpereien überhaupt als solche benannt und sanktioniert werden.

Diese eindeutige und unbestrittene Benennung findet durch die Professionsmitglieder selbst und nicht etwa durch den Kunden, die Kundin oder durch Gerichte statt. Durch die Professionsbildung wird die geleistete Arbeit nicht unbedingt besser, aber die Akteure in einem durchprofessionalisierten Tätigkeitsfeld können die Vorwürfe gegen ihre Arbeit besser kontrollieren. Sie können Kritik aus der Öffentlichkeit und Beschwerden von Kunden damit zurückweisen, dass sie auf die Qualitätssicherungsstandards in ihrer jeweiligen Profession verweisen.

SERVICE

  • Stefan Kühl: Der ganz formale Wahnsinn. Franz Vahlen 2022, 283 Seiten, 24,90 Euro.
  • Stefan Kühl: Bei Unzufriedenheit Geld zurück, Training aktuell 4/21. www.managerseminare.de/TA0421AR06

Change kann jeder und jede

Eine vergleichbare Professionsbildung ist im Bereich des Changemanagements nicht einmal in Ansätzen zu beobachten. Jede x-beliebige Person, die 16-jährige Gymnasiastin genauso wie die 80-jährige verrentete Immobilienmaklerin, kann Leistungen in der Organisationsentwicklung anbieten und sich die Bezeichnung „Change-Beraterin“ oder „Organisationsentwicklerin“ auf ihre Visitenkarten drucken. Das einzige Erfolgskriterium liegt in der Frage, ob und inwiefern sich auf dem Markt eine Nachfrage für die angebotenen Leistungen finden lässt.

Und so kommt es, wie es kommen muss: Angesichts der fehlenden generalisierten Merkmale für ein qualitätsgesichertes Changemanagement bilden die Kundinnen und Kunden Sicherheitssurrogate aus, die sich an der Person des Beraters bzw. der Beraterin festmachen. Ein Beispiel hierfür wäre der zur Genüge bekannte „Graue-Haare-Faktor“ in der Beratungsbranche. Dass dem grauhaarigen Berater unbewusst ein höheres Maß an Professionalität zugestanden wird, hängt auch damit zusammen, dass aufgrund der mangelnden Professionsbildung kaum andere objektivierte Sicherheiten angeboten werden. Darüber hinaus ist die Betonung der Signalwirkung von handgenähten Schuhen und hochpreisigen Flanell- und Nadelstreifenoutfits im Beratungsbereich besonders wichtig, weil nur wenig formalisierte Kompetenzsignale zur Verfügung stehen. Von einem professionell organisierten Arzt in Birkenstocksandalen lässt man sich behandeln, von Beratern in Birkenstocksandalen wohl eher nicht.

Der Autor: Stefan Kühl ist Professor für Organisationssoziologie an der Universität Bielefeld und berät Organisationen als Senior Consultant der Firma Metaplan bei Veränderungsprozessen. Kontakt: www.metaplan.com

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