Reflexion

Denkimpuls
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Finger auf die Wunde

Auch Weiterbildungsprofis haben sie – wunde Punkte, die sie nach Möglichkeit lieber unangetastet lassen. Und das, obwohl sich diese empfindlichen Stellen nur durch gezielte Desensibilisierung heilen lassen. Coach und Supervisor Horst Lempart rät daher, den Finger regelmäßig auf die Wunde zu legen.

Rote Linien, rote Tücher, empfindliche Stellen – all das sind Umschreibungen für Auslöser, die als psychische Reaktion eine Kränkung zur Folge haben können. Kränkungen der Seele sind wie Verletzungen des Körpers. Beide verursachen Schmerzen, die neurologisch in den gleichen Hirnarealen angesiedelt sind. Wer sich also durch Worte oder Taten psychisch verletzt fühlt, erlebt tatsächlich dazu parallel oft Schmerz. Insofern wundert es nicht, wenn man dieses Leid von sich fernhalten möchte. Zum Beispiel durch entsprechende Instruktionen des sozialen Umfelds: „Das solltest du besser vermeiden.“ Oder: „Wieso bohrst du schon wieder mit deinem Finger in dieser Wunde?“ Oder, indem man bestimmten Themen ausweicht, sich vor der Auseinandersetzung mit ihnen drückt.

(Selbst-)Empathie heißt nicht, die Augen vor wunden Punkten zu verschließen, sich selbst oder seine Klientinnen und Klienten überfürsorglich zu schonen.

Als Weiterbildungsprofis können wir uns das nicht leisten und sollten es uns auch nicht allzu oft durchgehen lassen. Zu viel Sensibilität kann eine „Heilung“ nämlich erschweren oder ganz verhindern. Die Rücksichtnahme auf die wunden Punkte – die eigenen oder die anderer Menschen – ist also nur die eine Seite der Medaille. (Selbst-)Empathie heißt nicht, die Augen vor wunden Punkten zu verschließen, sich selbst oder seine Klientinnen und Klienten überfürsorglich zu schonen. Eine wirkliche „Genesung“, eine „gesunde Seele“ kann nur aus dem verletzten Mensch selbst kommen.

Kränkungen sind oft die Folge eigener Interpretationen

Das setzt voraus, sich aktiv mit den eigenen Überzeugungen auseinanderzusetzen. Kränkungen sind oft keine Absicht der anderen, sondern die Folge von eigenen Interpretationen. Wir machen unsere Werte zum allgemeinen Maßstab und sitzen der Illusion auf, alle anderen müssten die gleichen Werte und Prinzipien vertreten. Merken wir, dass sie das nicht tun, setzen wir Grenzen: „Lass es!“, lautet dann die Botschaft an unser Gegenüber oder uns selbst – eine Aufforderung, die zur potenziellen Bombe wird. Der kränkbare Mensch macht sich so massiv abhängig – von seinen eigenen Vermeidungstechniken und von seinem Umfeld.

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Aus meiner jahrelangen Begleitung von Klientinnen und Klienten weiß ich, dass Kränkungen auch immer mit dem Selbstwert zu tun haben. Es werden viele Dinge sehr persönlich genommen. Im Hintergrund das Dauerrauschen der Frage „Bin ich in Ordnung?“. Der souveräne Umgang mit Unsicherheiten und die Arbeit an der eigenen Verletzbarkeit ist daher ein zentraler Punkt im Coaching – und der Supervision. Viele Menschen wissen um ihre wunden Punkte. Andere werden durch ihre emotionalen Reaktionen damit konfrontiert. Das bietet Chancen, sich aktiv damit auseinanderzusetzen. Und wieder die Verantwortung für die eigene Zufriedenheit zu übernehmen: „Ich entscheide, wer oder was mich kränkt. DU nicht!“

Der Autor: Horst Lempart ist Coach, Supervisor und Speaker. Er hilft seinen Coachees dabei, die eigenen Überzeugungen aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und sich so aus festgefahrenen Situationen zu befreien. Er führt eine eigene Praxis in Koblenz und hat zahlreiche Fachartikel und Bücher rund um Coaching veröffentlicht. Kontakt: horstlempart.de

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