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Theaterstück über die Coaching-Gesellschaft

Das Drama mit der Selbstoptimierung

Derzeit läuft ein Bühnenstück, das den modernen Drang zur Selbstoptimierung aufs Korn nimmt. Die Protagonisten sind pikanterweise Coachs: Also jene, die von Berufs wegen das Leben anderer auf Kurs bringen. Ein unvorhergesehenes Ereignis allerdings wirft die Profis in Sachen Selbstoptimierung aus der Bahn – und auf sich selbst zurück. Da finden sie nicht viel Erfreuliches ...

'Eigentlich mag ich keine Seminare. Eigentlich bin ich lieber zu Hause und gucke Fernsehen.' Stumpf abhängen vor der Glotze, statt sich weiterzuentwickeln, an sich zu arbeiten, etwas zu lernen? In unserer Optimierungsgesellschaft ist das ein No-Go. Das weiß auch die Frau mit Babybauch im rosa Feinstrick, die sich zu dem Ausbruch hat hinreißen lassen. Sie weiß es sogar besser als andere. Denn sie ist Coach. Eine von fünf Coachs, die es in Michael Lippolds und Lothar Kittsteins Theaterstück 'Zu spät! Zu spät! Zu spät' in das Wochenendseminar Work & Life verschlagen hat. Eben noch hat dieselbe Frau die Mantren des modernen Er­­folgsmenschen wiedergekäut, der beständig an seiner Entwicklung werkelt: 'Ich brauche Input. Ich brauche etwas, das ich verwenden kann. Input. Ich brauche jemanden, der da steht und sagt so, so und so. Ich denke gern schnell und ich langweile mich schnell.' Jetzt aber kommt plötzlich das gequälte ruhesuchende Ich zum Vorschein.

Das Problem der Berater, die ihrer Karriere hier in der Profiweiterbildung den entscheidenden letzten Schliff verleihen wollen, ist: Sie warten vergeblich auf ihren Seminarleiter, sitzen in einem einsamen Haus fest, um das sich kilometerweit der Wald erstreckt. Obendrein tost ein Sturm, der die vorzeitige Flucht aus der Einöde verhindert. Die Warterei wird mit der Zeit immer unheimlicher: Ist das alles ein Test? Wird man heimlich per Kamera beobachtet? In dieser zermürbenden Atmosphäre lösen sich die scheinbaren Gewissheiten der Seminarteilnehmer zusehends auf.

Am Anfang aber wird noch das Gefieder gespreizt. Da betreiben die Coachs professionelle Selbstdarstellung. Die Schwangere coacht Kinder, damit schon die Kleinen optimiert performen: 'Kannst du mal fünf Minuten still sein? Nein? Dann lass uns daran arbeiten!' Die Business-Coach-Frau gibt die Abgeklärte. Tools? Braucht sie nicht – 'Ich arbeite mit dem, was da ist'. Der Dauertelefonierer markiert den Vielgefragten. Hat er kein Netz, regt er sich auf. Hat er mal eins, regt er sich auch auf. Weil meistens nur Werbeanrufe eingehen. Aber die Aufregung ist besser. Wen der Telefonjunkie coacht, bleibt unklar. Klar macht er aber: Er gehört zu den Seriösen, nicht wie die Kollegin, die doch tatsächlich mit Tarot-Karten arbeitet. 'Da kämpft die Branche um Professionalität, und dann kommen da Leute wie Sie ...' Zum Glück für die Tarot-Frau kommt beim Vieltelefonierer in dem Moment wieder eine SMS an ...

Das Schlimmste aber sind nicht die Kollegen. Auch wenn die auf Konkurrenz gebürstet sind und ihren Positivsprech nur allzu gern mit fiesen verbalen Querschlägern durchsetzen. Die Hölle sind nicht – wie bei Jean-Paul Sartre – die anderen. Für den Stückeschreiber Lothar Kittstein und den Regisseur Michael Lippold ist heute jeder die Hölle für sich selbst. Denn durch unseren Versuch, uns ständig selbst zu optimieren, schaffen wir erst die Dämonen, die uns peinigen. Dauernd wollen wir besser, schneller, kompetenter werden. Die Folge: nie nachlassender Stress. 'Ein Überforderungsprojekt' lautet der Untertitel des Stücks. Seine Pro­tagonisten – die Coachs – sind von Berufs wegen gefährdet. Schließlich gehört zu ihren Jobgewissheiten, dass das nächste höhere Level immer nur einen Veränderungsschritt entfernt ist. Auch wenn es weh tut.

Die Hölle – das ist man selbst

'Die meisten müssten mal gekündigt werden. Die müssten in hohem Bogen rausfliegen, damit sie sich wieder spüren', ereifert sich die Business-Coach-Frau. Später entlarvt sie indes selbst, wie hohl solche Dogmen und wie nichtig die Segenskraft der Selbstoptimierung ist – ob erzwungen oder frei gewählt. Da steht sie traurig da und beschreibt sich als 'Getriebene': 'Wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Nur, dass das Auto das nächste Projekt ist, das auf mich zurast.' Die Kinder-Coach-Expertin ist nicht die glückliche Schwangere, wie es anfangs scheint. Sie hat die Frist zur Abtreibung verpasst. Der groteske Grund: 'Weil ich einfach die verdammte Zeit nicht hatte!' Der Vieltelefonierer erhält einen Anruf von seiner Tochter. Die sagt sich fernmündlich endgültig von ihm los.

Es scheint, dass der Selbst­optimierungsdruck vor allem verbrannte Erde auf dem Feld der sozialen Beziehungen hinterlässt. Und eine übermächtige Sehnsucht nach Entspannung, nach Ruhe und dem Ausbruch aus dem Hamsterrad. Was sie tun würde, wenn sie wie in ihren Kinderträumen Prinzessin wäre, fragt einer die Tarot-Coach-Frau. 'Schlafen, endlich schlafen', sagt die.

'Schlafen, endlich schlafen'

Allerdings: Mit Stille und Stillstand kommen die Gehetzten erst recht nicht klar. Der Druck entlädt sich in Ag­­gressionen ge­genüber einem schüchternen jungen Mann, der sich als einziger Nicht-Coach ins Seminar verirrt hat – im Glauben, es handele sich um einen Kurs für Persönlichkeitsentwicklung. Der Verdacht kommt auf: Der Jüngling ist in Wirklichkeit der Undercover-Trainer und spielt ein mieses Spiel mit den anderen. 'Hier haben sich Leute ein Arbeitswochenende freigenommen! Das ist Zeit, verstehst du das? Lebenszeit! Zeit! Arbeitszeit!', brüllt der Telefonjunkie den jungen Mann an. Obwohl eine (Aus-)Zeit doch genau das ist, wonach sie sich alle sehnen.
 
Am Ende kommen die Gefühle, die von Anfang an hinter dem positiven Coaching-Habitus ('Darf ich Sie in die Arme nehmen?') lauern, mit ganzer Wucht zum Ausbruch. Am schlimmsten aber hat ein jeder an sich selbst zu tragen: Allein – jeder für sich – stolpern die Coachs mit ihrem eigenen, buchstäblich schwer erträglichen Spiegelbild durch den Raum.


Nächste Termine
  • Theater im Bauturm, Köln
Montag 27. Januar 2014, 20.00 Uhr
Samstag 15. Februar 2014, 20.00 Uhr
Sonntag 16. Februar 2014, 20.00 Uhr
  • ROTTSTR 5 Theater, Bochum
Freitag 21. Februar 2014, 19.30 Uhr
  • Theater im Pumpenhaus, Münster
Freitag 14. März, 20.00 Uhr * (Premiere)
Samstag 15. März, 20.00 Uhr * (Letztes Mal Münster)

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