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„Regulierung ist eine Chance für Unternehmen“

Über Regulierungen wird in den Unternehmen gerne gestöhnt, oft ist von Überregulierung und im gleichen Atemzug von der unerträglichen bürokratischen Last die Rede. Dabei sind Regulierungen für Unternehmen bei genauer Betrachtung vielmehr Chance als Hindernis, ist jedenfalls Andreas Syska, Professor für Produktionsmanagement, überzeugt.

Bei allem Respekt: In der Geschichte der Industrie sind Produzenten nie von allein auf die Idee gekommen, für Arbeits- oder Umweltschutz zu sorgen. Es brauchte immer gesellschaftlichen wie politischen Druck und Vorschriften. Jetzt, wo hierzulande niemand mehr befürchten muss, bei der Arbeit ums Leben zu kommen oder dass Flüsse vergiftet sind, möchte man diese Zustände auch nicht mehr zurück. Die Unternehmen haben Wege gefunden, die Vorschriften zu erfüllen – und finden sie sogar gut.

Ein Blick zurück: Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) wurden in Kühlsystemen, Spraydosen und als Schaumtreibmittel eingesetzt. Ihr Nachteil: Freigesetzt zerstören sie die für Menschen wichtige Ozonschicht in der Atmosphäre. Das wussten die Unternehmen schon, haben mit dem Einsatz von FCKW aber erst auf Druck des Gesetzgebers Schluss gemacht. Sie mussten geeignete Ersatzstoffe entwickeln, die oft teurer waren. Und sie mussten ihre Produkte, Produktionsprozesse und Maschinen anpassen oder komplett ersetzen. Gleichzeitig stieg der bürokratische Aufwand durch Vorschriften und Nachweispflichten. Dennoch führte das Verbot langfristig zur Wiederherstellung der Ozonschicht. Als außerdem bei der Herstellung von Elektrogeräten die Verwendung von Blei und anderen Giftstoffen verboten wurde, mussten Betriebe auf teure Alternativen umstellen, auch hier die Produktionsprozesse anpassen und in neue Maschinen investieren. Sie mussten Nachweise erbringen und Zertifikate vorlegen – bürokratischer Aufwand halt. Der Erfolg: Die Vergiftung von Boden und Trinkwasser wurde gestoppt – zumindest was diesen Grund angeht.

Heute lauten die Forderungen aus Öffentlichkeit und Politik: Nachhaltigkeit und Fairness. Es lauern bürokratische Monster mit den Namen Nachhaltigkeitsberichterstattung oder Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz– und unisono ertönt es aus den Chefetagen: „Macht es nicht so aufwendig oder verschont uns am besten ganz damit.“ Man begründet dies mit unzumutbarem Aufwand und drückt auf den Margenalarm.

Zu Ende gedacht heißt das: Ertragskraft ist uns wichtiger als die Erhaltung der Lebensgrundlagen und der Respekt auch vor den Menschen, die nicht im eigenen Unternehmen arbeiten. Warum dann nicht konsequent sein und bei der Gelegenheit auch zugleich fordern, sämtliche Vorschriften zum Arbeits- und Umweltschutz zurückzudrehen? Macht ja schließlich auch Aufwand. Tut aber niemand. Weil man weiß, dass die Ziele hinter den Vorschriften gut sind.

Das Problem der Betriebe ist ja leicht zu verstehen: Diese Dinge lenken Ressourcen in die Rechtfertigung ihres Handelns – Ressourcen, die für die Wahrnehmung der eigentlichen Aufgaben fehlen. Und so wird das Ganze recht pauschal als Bürokratieaufwand gelabelt und je nach Berechnungsmethode mit einem zweistelligen oder knapp dreistelligen Milliardenbetrag als in Deutschland verlorene Wirtschaftsleistung bepreist. Wer genauer hinsieht, stellt aber fest, dass die Bürokratie drei Kinder hat: Normen, Verwaltungsvorschriften und Berichtspflichten – und nur eines davon macht Ärger.

Normen sind freiwillige Standards, die von Organisationen wie DIN oder ISO erstellt werden und Anforderungen an Produkte, Prozesse oder Dienstleistungen festlegen. Sie sind Orientierungshilfen und werden verbindlich, wenn sie in Gesetze einbezogen werden. Normen sind die stillen Helden der Wirtschaft: freiwillig, praxisnah und flexibel. Sie schaffen Kompatibilität und machen das Wirtschaften leichter. Und sind sogar hochwillkommen, wenn es darum gehen soll, Konkurrenz aus anderen Wirtschaftsräumen abzuwehren – Markteintrittsbarrieren, errichtet aus physikalischen Grenzwerten. Verwaltungsvorschriften hingegen sind detaillierte, bindende Regeln, die von Behörden erlassen werden, um Gesetze praktisch umzusetzen, etwa in Form von technischen Richtlinien oder Umweltauflagen. Diese Vorschriften konkretisieren Gesetze, schaffen Rechtssicherheit, geben Unternehmen klare Handlungsanweisungen und werden deshalb von der Wirtschaft – man höre und staune – ausdrücklich als positiver Standortfaktor genannt.

Das wahre Problemkind ist das dritte Kind namens Berichtspflichten – diese nervigen Aufgaben, die keiner machen will, aber jeder machen muss. Sie kommen von oben, sind oft starr und bremsen eher statt zu helfen. Sie verpflichten Unternehmen, definierte Informationen wie Jahresabschlüsse, Nachhaltigkeitsberichte oder sicherheitsrelevante Sachverhalte offenzulegen. Der damit verbundene administrative Aufwand lässt sie in den Augen der Betriebe wie durch Papierkram verschwendete Zeit erscheinen.

Wie also Bürokratie empfunden wird, hängt davon ab, ob sie Unterstützung oder Zwang ist. Normen und Verwaltungsvorschriften lösen Probleme, bei Berichtspflichten überwiegt die Wahrnehmung als Zwang. Man kann darüber streiten, ob das Ausfüllen von Behördenformularen wirklich sinnvoll ist – alternative Vorschläge sind hier hochwillkommen. Auf der anderen Seite möchte man den Unternehmen durchaus zurufen: „Stellt Euch nicht so an!“ Denn das eigentliche Problem liegt nicht in der Existenz dieser Pflichten, sondern in der Art und Weise, wie Unternehmen und Verwaltung damit umgehen.

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Berichtspflichten sind oftmals kleinteilig. Das Erstellen von Nachweisdokumenten kostet nicht nur Zeit, sondern auch Nerven. Außerdem ist es die Komplexität, die viele Unternehmen an ihre Grenzen bringt. Dort stehen Dienstleister händereibend bereit und wittern das große Geschäft. Von ihnen ist deshalb kein Protest zu erwarten. Bittere Pointe aus Sicht der Industrie: Der Dienstleistungssektor wächst an Umsatz und Ansehen – ausgelöst durch den Staat und bezahlt durch die Industrie selber, deren Ertragskraft dadurch „zur Belohnung“ auch noch sinkt.

Ein weiteres Problem ist das Misstrauen, das vielen Regularien zugrunde liegt. Statt klare Ziele zu setzen und den Unternehmen zu vertrauen, dass sie diese eigenverantwortlich erreichen, setzen Politik und Behörden auf Vorgaben und deren Kontrolle im Detail – und oftmals in jedem Einzelfall. Stellen Sie sich vor, Sie müssten jedes Mal, wenn Sie Ihren PKW starten wollen, vorab schriftlich erklären, dass Ihnen die Straßenverkehrsordnung nicht nur bekannt ist, sondern Sie diese auch wirklich einhalten werden.

Zudem gibt es noch einen weiteren Verursacher für Bürokratie: die Wirtschaft selber. Ausgerechnet diejenigen, die so gerne Fingerpointing in Richtung Staat betreiben, sind mit die größten Bürokratieproduzenten. Geheimhaltungserklärung, Code of Conduct, Lieferantencharta: Unternehmen fragen sich gegenseitig Dinge ab, die bereits Recht und Gesetz sind. Man verschickt mehrseitige und mehrsprachige Fragebögen und verlangt deren Ausfüllung. Unternehmen beaufsichtigen sich gegenseitig, ob alle Gesetze eingehalten werden, obwohl es dafür Behörden gibt. Wobei: Es ist ja gar keine Beaufsichtigung, es ist das Einsammeln von Erklärungen. Dabei geht es in Wirklichkeit um Haftungsausschluss, um Absicherung und schließlich um Abwälzen der Verantwortung auf Dritte. Diesen Teil der Bürokratie zu unterlassen, wäre ein erster Schritt – und niemand hält die Unternehmen davon ab, ihn zu tun.

Parallel sollten Unternehmen die Denkrichtung einfach drehen und das Regulative als Chance begreifen. Denn wenn der Blick der Politik auf die Produktion und das Wirtschaften im Allgemeinen immer schärfer wird – und das früher oder später weltweit – und wenn man sich diesen Forderungen nicht entziehen kann, dann ist der souveräne Umgang mit ihnen ein globaler Wettbewerbsvorteil.

Es braucht keine weicheren Vorschriften oder ein Aufkündigen der damit verbundenen Absichten. Es braucht schlankere Prozesse, mehr Digitalisierung und einen klaren Fokus auf deren eigentlichen Ziele. Automatisierung und digitale Tools können den Aufwand für Berichte und Nachweise drastisch reduzieren. Moderne Technologien wie KI könnten helfen, Daten effizient zu analysieren und zu verwalten. Flankierend sollten Unternehmen mehr Spielraum erhalten und an Ergebnissen gemessen werden, statt sie mit Detailvorschriften zu erdrücken. Unterstellen wir doch bitte, dass die allermeisten Unternehmen gewillt sind, Gesetze und Vorschriften einzuhalten. Also sollten Stichproben ausreichend sein. Die Steigerung der Effizienz ist das tägliche Geschäft der Unternehmen. Warum dann nicht auch die Steigerung der Effizienz im Umgang mit Regeln für eine bessere Welt?

Dr. Andreas Syska ist Professor für Produktionsmanagement. Kontakt: andreas-syska.de

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