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„Die Vier-Tage-Woche geht am Problem vorbei“

Nur noch vier Tage in der Woche arbeiten? ​Das scheinen sich derzeit viele Menschen zu wünschen, zumindest, wenn man entsprechenden Umfragen glaubt. ​Aber wie valide sind diese Erhebungen eigentlich? Und könnte hinter dem Ruf nach der Vier-Tage-Woche letztlich ein ganz anderer Schmerzpunkt stecken? Der Ökonom und Wirtschaftspsycholge Ingo Hamm hat einen Verdacht.

Nur noch vier Tage in der Woche arbeiten? Das scheinen sich derzeit viele Menschen zu wünschen, glaubt man entsprechenden Umfragen. Wobei: „Umfragen“ ist eigentlich zu viel gesagt. Denn fast alle, die derzeit über die Vier-Tage-Woche reden und dieses Arbeitsmodell einfordern, berufen sich auf eine einzelne Studie, die streng genommen gar keine ist. Hinter dem Schlagwort „4 Day Week Global“ verbirgt sich nämlich ein Projekt, hinter dem wiederum eine schwammig titulierte „Not-for-Profit Community“ steht.

Besucht man diese Community digital, wird man auf der Website mit Trademarks berieselt („We advocate for the 100-80-100 TM model“), bekommt ein Buch zum Thema Vier-Tage-Woche angepriesen, wird über die „Participation Fees“ des Netzwerks aufgeklärt (2.000 EUR für ein Kleinstunternehmen, 20.000 EUR für Konzerne) und dazu aufgefordert, bei Interesse daran, die Vier-Tage-Woche bei sich im Betrieb umzusetzen und eine Beratung in Anspruch zu nehmen, Kontakt aufzunehmen. Um Zugang zu den Studienergebnissen zu erhalten, muss man sich zudem persönlich registrieren, also seine Kontaktdaten angeben. Kurzum: Die Macher der Community wollen die Vier-Tage-Woche (und ihre Dienstleistungen rund um deren Einführung) offenbar vermarkten – und die dieser Tage viel zitierte „Studie“ dient ihnen primär als Verkaufshilfe.

Natürlich ist das legal und legitim. Aber sollte es Politik, Gewerkschaften und Medien so sehr beeindrucken, dass jetzt alle laut nach der Vier-Tage-Woche rufen? Ich meine: Nein. Zumal die Studie bei genauerem Hinsehen wenig valide ist. Da heißt es „78 Prozent der Beschäftigten mit Vier-Tage-Woche sind glücklicher und weniger gestresst“ und „63 Prozent der Unternehmen finden es leichter, Talente mit einer Vier-Tage-Woche zu gewinnen und zu halten“, und das klingt erst einmal toll – aber ist es auch repräsentativ? Nach Angaben von 4 Day Week Global haben von 61 angefragten Unternehmen mit insgesamt 2.900 Mitarbeitenden bei einer Rücklaufquote von 58 Prozent (was weder besonders gut noch besonders schlecht ist) nur etwas mehr als 30 Betriebe tatsächlich an der Befragung teilgenommen. Der in Mitarbeiterbefragungen erfahrene Sozialforscher weiß, dass die 42 Prozent, die nicht teilnehmen wollten, meist gute Gründe dafür hatten.

Das ist nicht der einzige Bias der Studie. Der zweite ist ein „People Bias“: 62 Prozent Frauen und nur 37 Prozent Männer haben an der Umfrage teilgenommen. Nun ist aber bekannt, dass Frauen – nicht nur in Großbritannien – die Vereinbarkeit von Beruf und Familie (und damit die Vier-Tage-Woche) deutlich stärker favorisieren als Männer. Das ist ihr gutes Recht, wirkt in einer solchen Befragung aber verzerrend.

Der dritte Bias ist ein „Betriebsbias“: Ein Drittel der teilnehmenden Betriebe hat weniger als zehn Beschäftigte; nur zehn Prozent haben mehr als 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. In der empirischen Sozial- oder Marktforschung würde man dies euphemistisch als „selektive Stichprobe“ bezeichnen. Doch damit nicht genug: Rund die Hälfte der Teilnehmenden ist in den Bereichen Marketing, Dienstleistung und Non-Profit tätig. Die Studie leidet also auch unter einem „Work Bias“, denn wo bleiben die Sichtweisen von Mitarbeitenden aus Industrie, Handel, produzierendem Gewerbe usw.?

Und doch zitieren derzeit alle diese eine Studie – am liebsten als Beleg dafür, dass weniger Arbeit glücklich, zufrieden, motiviert und produktiv macht. Das Argument, auf das sich die Apologeten der Vier-Tage-Woche berufen, das aber niemand offen und ehrlich benennt, ist so einfach wie entlarvend: Die moderne Arbeitswelt hat den Menschen von sich selbst entfremdet. Sie hat sich gegen ihn verschworen, sodass er in Notwehr gezwungen ist, dieser zermürbenden, sinnentleerten Welt zu entfliehen – indem er einen Tag weniger arbeitet. Tatsächlich erleben wir seit Jahrzehnten einen fortschreitenden schleichenden Verlust von Arbeitszufriedenheit, Erfüllung und intrinsischer Motivation. Aber wenn Arbeit wirklich Mist ist, dann ist Mist auch dann noch Mist, wenn er von fünf auf vier Tage verkürzt wird.

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Aus meiner Sicht drücken sich Pseudolösungen wie die Vier-Tage-Woche vor dem eigentlichen Problem: dass ihre Arbeit viele Menschen nicht erfüllt. Und deshalb sage ich: Wir brauchen nicht weniger, sondern bessere Arbeit. Glücklicherweise hat die Wissenschaft längst herausgefunden, was eine solche bessere Arbeit ausmacht. Ein extrem pragmatisches Rezept liefert zum Beispiel das Job Characteristics Model von Richard Hackman und Greg Oldham. Danach macht jede Arbeit Sinn und Menschen glücklich, sofern sie fünf Voraussetzungen erfüllt – als Ganzes oder in wesentlichen Teilen: Sie ist vielfältig und bedeutsam. Sie kann von vorne bis hinten ausgeführt werden und das relativ autonom. Und sie bietet Feedback. Interessant ist, dass in einer Studie der IKK aus dem Jahr 2022 92 Prozent der befragten Handwerkerinnen und Handwerker der Aussage „Ich empfinde meine Arbeit als sinnstiftend“ zugestimmt haben. Es ist deshalb interessant, weil es bei der Durchschnittsbevölkerung nur 50 Prozent sind. Der Grund: Handwerksberufe erfüllen die Kriterien von Hackman und Oldham deutlich besser als Durchschnittsberufe.

Ich bin überzeugt: Viele der Vier-Tage-Woche-Fans wollen gar nicht weniger arbeiten, sondern mehr leben. Und zwar in der Freizeit, weil der Job nicht die ersehnte Erfüllung bringt. Indizien dafür liefert zum Beispiel eine Studie des WSI der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung (2023). Auch nach der Befragung der Stiftung befürwortet ein beachtlicher Teil der Befragten (73 Prozent) die 4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich. Doch im Gegensatz zur 4-Day-Week-Studie, auf die sich derzeit alle stürzen, liefert die Hans-Böckler-Umfrage stichhaltige Gründe für dieses Votum: 88 Prozent der Vier-Tage-Wochen-Fans wollen weniger arbeiten, um mehr Zeit für Aktivitäten wie Hobbys, Sport und Ehrenämter zu haben. Die 17 Prozent, die die Vier-Tage-Woche dagegen für sich ablehnen, begründen dies in 86 Prozent der Fälle mit dem Spaß an der Arbeit.

Ich finde das aufschlussreich. Die Vier-Tage-Apostel suggerieren dagegen, dass die Reduktion von Arbeit ein Wert an sich ist und dass allein schon das Minus an Erwerbsarbeitszeit auf das persönliche Glückskonto einzahlt. Aus meiner Sicht ist das ein Trugschluss. Statt die Arbeitszeit zu verkürzen, brächte es mit Blick auf Arbeitszufriedenheit, Motivation, Produktivität – und auch Lebensglück – mehr, die Qualität der Arbeit zu verbessern. Orientieren kann man sich dabei an den Hackman-Oldham-Kriterien – ob nun als Unternehmen oder auch als einzelne Mitarbeiterin bzw. einzelner Mitarbeiter. Viele Angestellte werfen nämlich, so mein Eindruck, viel zu schnell die Flinte ins Korn und ergreifen die Flucht in die Freizeit, statt sich darüber bewusst zu werden, dass sie selbst auch einiges tun können, um den eigenen Job so zu gestalten, dass er besser passt.

<strong>Ingo Hamm ...</strong>

Ingo Hamm ...

… war McKinsey-Berater und arbeitete danach in einem internationalen Konzern. Heute ist der promovierte Ökonom Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Darmstadt und unterstützt als Berater den Wandel in Organisationen. Kontakt: ingohamm.com

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