Schlauer lernen
Schlauer lernen

Brechen Sie die Regeln!

​Henning Beck erklärt, warum die besten Ideen entstehen, wenn wir Regeln hinterfragen und Grenzen verschieben. ​

2010 hatten die Formel-1-Teams ein echtes Problem. Es war unmöglich, ein Auto zu bauen, das sowohl auf der Geraden windschlüpfrig war und gleichzeitig in Kurven auf der Straße klebte. Normalerweise würde man für maximalen Speed die Spoiler flach, in den Kurven jedoch steiler in den Wind stellen, um maximalen Abtrieb zu erzeugen. Doch der Automobilverband hatte explizit bewegliche Teile am Auto verboten.

Was also tun? Ein schnelles Auto bauen – oder eines mit maximaler Bodenhaftung? Das Ingenieurteam von McLaren um Paddy Lowe und Tim Goss dachte sich: einfach beides. Denn die Regeln sahen nur vor, dass es keine beweglichen Teile des Autos geben dürfte. Es gab jedoch noch etwas am Auto, das sich selbstverständlich weiterhin bewegen durfte: der Fahrer. McLaren baute ein Fahrercockpit mit einem Loch an der Seite, das der Fahrer mit seinem Knie verschließen konnte. War es offen, strömte die Luft durch ein Schachtsystem des Autos zum Heck, verwirbelte dort und sorgte für größtmöglichen Abtrieb in Kurven. Drückte der Fahrer das Loch zu, nahm die Luft einen anderen Weg durch das Auto, es kam zu einem Strömungsabriss am Heck, und das Auto war auf der Geraden fast 10 km/h schneller.

Nun die Frage: Ist das Knie des Fahrers ein „bewegliches Teil“, das verboten gehört, weil es die Aerodynamik verändert? Nein, war es nicht. Die Konstruktion war legal. Innerhalb weniger Rennen hatte sich die Konkurrenz die Technik abgeschaut. Manche Fahrer verschlossen den Lüftungsschlitz mit dem Ellenbogen, andere mit der Hand. Das war dann doch zu gefährlich, und die Idee wurde nach der Saison aus Sicherheitsgründen verboten.

Kreative Ideen gehen bis an die Grenzen – und manchmal darüber hinaus. Das gelingt aber nur, wenn man Grenzen aktiv testet. Kreative Menschen geben deswegen nicht die besten Antworten, sie sind Meister im Hinterfragen. Nicht nur in Laboruntersuchungen, sondern auch in Feldstudien ist messbar: Menschen verbessern die Qualität ihrer Ideen maßgeblich dadurch, dass sie mehr (und radikalere) Fragen zu einem Sachverhalt stellen. Leider erwarten wir von Menschen oft das Gegenteil. Vom ersten Tag in der ersten Klasse an belohnen wir Menschen dafür, Antworten zu geben. Nicht dafür, Fragen zu stellen. Dabei ist das vorsätzliche Infragestellen von Althergebrachtem unsere vielleicht wichtigste Fähigkeit. Jede neue Generation stellt die Denkweisen der alten infrage. Gut so, denn hätten wir das nicht gemacht, würden wir immer noch in irgendeiner Steinzeithöhle sitzen, weil wir das optimierten, was sich einmal etabliert hat.

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Paradoxerweise entstehen die kreativsten Ideen nicht in einem Zustand völliger Freiheit. Wenn ich Ihnen auftrage: Seien Sie mal kreativ! Jetzt! Machen Sie mal etwas Neues! Dann werden Sie fragen: Was will der Typ von mir? Ein Gedicht? Soll ich tanzen? Irgendein Bild malen? Doch wenn ich Ihnen sage: Entwerfen Sie mal einen lustigen, kreativen Reim! Dann ist es immer noch nicht einfach, aber Sie können konkret beginnen – und obendrein kann man später viel leichter beurteilen, ob Ihr Zweizeiler wirklich kreativ war.

Wenn Kreativität bedeutet, über den Tellerrand zu schauen, dann kann es ohne Tellerrand (sprich: einen Regelrahmen) keine Kreativität geben. Nehmen Sie deswegen jede Beschränkung, jede Gewohnheit, jede Regel als Möglichkeit, sie infrage zu stellen. Nicht alle Regeln muss man niederreißen. Aber ohne die Provokation des Bestehenden gibt es keinen Fortschritt.

Der Autor: ​Henning Beck ist Neurowissenschaftler, und zwar einer der verständlichen. In Vorträgen und Seminaren vermittelt er die spannenden Themen des Gehirns. Sein aktuelles Buch heißt „12 Gesetze der Dummheit“. Kontakt: ­​henning-beck.com

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