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Beitrag von Klaus Eidenschink aus managerSeminare 331, Oktober 2025
Zusammenarbeit und Konflikt: Warum die Rollenverteilung in Organisationen Verneinungsverneinungskommunikation hervorruft
Organisation und Konflikt: Welche inneren Widersprüche in Unternehmen aufeinandertreffen
Erwartungen und Konflikt: Wie illusionäre Vorstellungen dem Konfliktmanagement schaden
Führung und Konflikt: Was Führungskräfte für fruchtbare Auseinandersetzungen tun können
Hier geht es zur gesamten Ausgabe managerSeminare 331
Um gleich mal mit einem verbreiteten Missverständnis aufzuräumen: Führung ist nicht dazu da, Konflikte zu verhindern. Führung, auch eine noch so gute, kann das gar nicht leisten – und soll es auch nicht. Es ist vielmehr so, dass Führung sich in Konflikten bewegt. Das bedeutet: Sie kann ihnen weder entkommen noch sie abschaffen, sie hat überhaupt nicht die Wahl, Zusammenarbeit konfliktfrei zu gestalten oder zu entscheiden, ob man Konflikte haben will oder nicht. Führung muss damit umgehen, dass Konflikte einfach da sind, verborgen und schlummernd, eskalierend und unbeherrschbar, nutzbringend und schädigend.
Dass das so ist, ergibt sich schon aus der Rollenkonstellation in Organisationen. Denn damit es Führung geben kann, braucht es Menschen, die führen, und andere, die sich führen lassen. Sich führen zu lassen bedeutet zu wählen, ob man einer Ansage – einem „Ja“ – ein eigenes „Ja“ oder ein „Nein“ folgen lässt. Und da Mitarbeitende – Gott sei Dank – nur selten einfach „Ja“ zu allem sagen, bewegt sich jeder Prozess des Organisierens im Konflikthaften. Zur Erinnerung: Konflikte sind aus der hier dargelegten Sicht als Verneinungsverneinungskommunikation zu verstehen. Diese entfaltet sich, wenn zum ersten „Nein“ (der Mitarbeitenden als Ablehnung einer Ansage) noch ein zweites „Nein“ (der Führungskraft, die mit dem Widerstand nicht einverstanden ist) hinzukommt. Ja, nein, nein – das ist die logische Struktur von Konflikt. Und sie ist in Führung bereits strukturell angelegt.
Aber was heißt das konkret? Welche Phänomene in Organisationen lassen sich daraus erklären? Und was bedeutet das für die Zusammenarbeit und die Organisationen als Ganzes? Um das zu verstehen, ist es nützlich, ein bisschen tiefer in die dahinterliegenden Theorien zu schauen.
Dass sich sehr wahrscheinlich Konfliktstrukturen entwickeln, sobald Menschen in Organisationen zusammenwirken, liegt an den Asymmetrien, die dort herrschen. Sie bilden sich in allen Dimensionen des Miteinanders (die nicht zufällig auch den Dimensionen entsprechen, entlang derer sich Konflikte anheizen oder abschwächen, s. Kasten) aus.
Den Beiträgen dieser Serie liegt ein systemtheoretisches Verständnis zugrunde, das Klaus Eidenschink u.a. in seinem Buch „Die Kunst des Konflikts“ ausführt. Demnach sind Konflikte …
… kein Missgeschick im menschlichen Miteinander, sondern etwas, was überall stattfindet, wo Interessen und Sichtweisen aufeinandertreffen. Konflikte sind demnach auch nicht zu lösen, sondern nur (vorübergehend) zu beruhigen – und müssen bisweilen sogar verschärft werden.
… notwendig, um eine bestehende Ordnung aufzubrechen bzw. eine neue zu etablieren. Konflikte sind demnach nicht immer schlecht, und Konsens ist nicht immer gut, vielmehr geht es um die Frage, wann ein Konflikt bzw. ein Konsens schädlich ist oder hilfreich.
… unkalkulierbar und unkontrollierbar. Sie folgen dabei eigenen Regeln, wobei sie den Konfliktbeteiligten aber immer wieder die Wahl lassen, eskalierend oder deeskalierend weiterzumachen.
Ob sich Konflikte ausweiten oder abschwächen und welche Form sie dabei konkret annehmen, lässt sich nach Eidenschink anhand von insgesamt neun Polaritäten zeigen, die im Laufe dieser Serie thematisiert wurden (s. Grafik). Im aktuellen Teil geht es darum, wie Konflikte Zusammenarbeit und Organisationen prägen und welche Konsequenzen Führung daraus ziehen muss.

Wissen ist nicht gleich verteilt (= Sachdimension): Schon die uralte Unterscheidung von Meister und Schüler spiegelt wider, dass das Wissen, wie etwas zu tun ist, wie etwas zu verstehen und wann etwas fertig ist, zwischen Menschen nie gleich verteilt ist. Allein die Lebenserfahrung macht die einen wissender als die anderen. Lebenserfahrung macht zugleich auch diejenigen, die sie besitzen, oft weniger empfänglich für Neuerungen als jene, die frisch und unvoreingenommen auf die Verhältnisse blicken. Von welcher Seite man es auch sieht, es herrscht Asymmetrie. Daher besteht immer die Wahrscheinlichkeit und (!) Notwendigkeit, dass die Wissenden mit „Nein“ antworten auf Vorschläge anderer, die weniger wissen. Gleichzeitig entsteht Konkurrenz zwischen den unterschiedlich Wissenden, was ebenso Widerspruch hervorruft.
Beliebtheit ist nicht gleich verteilt (= Sozialdimension): Die einen sind beliebter als die anderen, das ist schon im Kindergarten so. Die Bereitschaft, aus Sympathie anderen zu folgen (also sich führen zu lassen), ist nie gleich verteilt. Diese Unterschiede führen zu Neid, Eifersucht, Missgunst, Reaktanz, Rebellion, Rache, Widerstand, Boykott, Spaltung, Kränkung, Cliquenbildung und mehr – psychische Phänomene, die allesamt ein kommunikatives „Nein“ wahrscheinlich machen. Führung findet also immer schon emotional aufgeladene Unterschiede im sozialen Feld vor. Zugleich ist sie selbst Teil dieser Unterschiedsbildung: Wer wird bevorzugt oder übersehen? Wer wird gefördert oder benachteiligt? Wer ist am Rand, wer im Mittelpunkt? Wer gewinnt Anhänger, und wer bleibt Einzelgänger? Konfliktkommunikation macht es für alle Beteiligten schwerer, Einfluss auszuüben oder anzunehmen.
Macht ist nicht gleich verteilt (= Zeitdimension): Die Mittel, um die Zukunft anderer zu beeinflussen, sind im sozialen Feld ebenfalls asymmetrisch verteilt. Macht, verstanden als die Möglichkeit, anderen Unerwünschtes angedeihen zu lassen oder ihnen Erwünschtes zu entziehen, hängt an Rollen. Diese Rollen erlauben Entscheidungen, die sich auf die Zukunft anderer auswirken. Zu meinen, man könne in Organisationen diese Rollen symmetrisch gestalten – also so, dass tatsächlich alle gleich viel Macht besitzen –, ist illusionär. Schlimmer noch: Würde es gelingen, würde dies zu Pattsituationen führen, die jedes soziale System in die Selbstfesselung durch Stellungskämpfe verstrickt.
Zu meinen, man könne Rollen in Organisationen so gestalten, dass alle gleich viel Macht besitzen, ist illusionär.
Daher gilt auch hier: Macht ist asymmetrisch und muss es in Organisationen auch sein. Diese Konstellation begünstigt aber ein willkürliches „Nein“ bei denjenigen, die über Machtmittel verfügen, und sie begünstigt ein falsches „Ja“ (= verborgenes „Nein“) bei denjenigen, die ihr ausgesetzt sind. So neigen Chefs leicht zum „Basta“, weil ihnen der eigentlich noch wichtige und ungeklärte Konflikt lästig ist, während Mitarbeiter ihren Widerspruch aus Angst vordergründig aufgeben. Ungünstige Anpassung statt Einsicht ist dann die Folge. Der alte Satz, dass Macht korrumpiert, mit dem üblicherweise nur die „Täterseite“ gemeint ist, gilt somit auch für Menschen auf der „Opferseite“.
Nicht nur die Zusammenarbeit, auch die Organisationen selbst sind Konfliktsysteme. Denn der Grund ihrer Existenz liegt aus systemtheoretischer Sicht in der Bearbeitung von Unsicherheit: Das heißt: Jede Setzung, jede Struktur, jede Entscheidung, jede Vorgabe dient dazu, Unsicherheit zu reduzieren. Jede davon könnte man aber auch anders treffen, sie alle sind widerspruchsfähig. Konflikte stellen die geltenden Setzungen infrage, machen neue und schaffen letztlich eine neue Ordnung. So sind Organisationen immer auch mit konflikt-, team- und psychodynamischen Prozessen beschäftigt. Sie müssen dabei auch Entscheidungen treffen können, die sachlich unvollkommen, sozial unerwünscht und zeitlich unabgestimmt bleiben müssen. Schauen wir uns das genauer an.
Konflikte durch Multi-Ziel-Prozesse: Ein besonders verhängnisvolles Fehlverstehen von Organisationen ist die Idee, sie könnten auf ein Ziel hin ausgerichtet werden. Organisationen sind Viel-Zweck-Instrumente. Ihre Prozesse und Strukturen dienen dazu, Unvereinbares miteinander und gleichzeitig zu bearbeiten. Damit sind Widersprüchlichkeiten gesetzt. Die Vorstellung, dass sich die inneren Widersprüche von Organisationen durch eine „höhere Vernunft“ – sei es Kunden-, Wertschöpfungs-, Markt- oder Gewinnorientierung – frei nach Hegel in eine „Synthese der Gegensätze“ überführen ließen, bleibt ein frommer Wunsch.
Ein verhängnisvolles Fehlverstehen von Organisationen ist die Idee, sie könnten auf ein Ziel hin ausgerichtet werden.
Viele Ziele bedingen viele Konflikte. Daraus erwächst die Führungsaufgabe, zu bestimmen, wer wo, wie und wann die notwendigen Konflikte bearbeiten soll. Man kann das auch Meetingstruktur nennen. Ob diese Struktur hierarchisch oder agil oder lean oder im Circle oder im Projekt oder regional oder dezentral oder anders gestaltet wird, erzeugt Unterschiede. Alles hat Vor- und Nachteile. Diese abzuwägen und die Strukturen der Konfliktbearbeitung hinreichend stabil und ausreichend flexibel zu halten, ist der Job, den Führung hier zu leisten hat.
Konflikte durch Kooperationszwänge: Einschränkung von Autonomie mögen die meisten Menschen nicht besonders. Organisationen sind aber genau darauf angewiesen: dass nicht jeder tut, was er oder sie will und richtig findet, sondern das, was er soll und wofür sie beauftragt ist. Damit ist der Konflikt vorprogrammiert zwischen dem Wunsch von Menschen, sich nicht „dreinreden“ zu lassen, und der Notwendigkeit der Organisation, Funktionen aufeinander abzustimmen und Kooperation zu gestalten. Mitgliedschaft in einer Organisation bedeutet immer auch, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die man nicht mag, die einen anderen Arbeitsstil haben, die Probleme anders angehen, die umständlicher oder ungenauer sind als man selbst, die lässiger oder perfektionistischer sind, deren Denkart von der eigenen massiv abweicht, deren Verhaltensweisen mit den Notwendigkeiten der eigenen Arbeitsabläufe nicht gut zusammenpassen, die Dinge auf die zu leichte oder zu schwere Schulter nehmen, die sich nicht gut in andere einfühlen können oder die das zu viel tun. All diese Kooperationszwänge erzeugen Konflikte, weil Unpassende miteinander Passung finden müssen. Organisationen sind wie Zwangsheiratssysteme: Die, die sich gegenseitig nicht ausgesucht haben, haben miteinander zurechtzukommen. Wie soll das ohne Konflikte gehen? Führung muss sich darum kümmern, dass sie trotzdem Ergebnisse liefern. Ob sie dieses „Miteinander“ wollen oder nicht.
Carl-Auer 2025, 29,95 Euro.
Das Buch beschreibt in inzwischen vierter Auflage die Kunst des Konflikts als Fähigkeit, sinnvolle Konflikte zu eröffnen, nutzlose zu beenden und die restlichen klug zu regulieren. Für jede Dimension – sachlich, sozial und zeitlich – beschreibt Eidenschink, welche Haltung die Konfliktdynamik günstig oder ungünstig beeinflusst.
Unter diesem Link finden sich alle bisher erschienenen Teile der Konfliktserie. Im ersten Teil geht es um sieben Prinzipien, die Konflikte prägen. In den folgenden Teilen geht es um die insgesamt neun Polaritäten, entlang derer sich Konflikte entweder aufheizen oder entspannen.
Konflikte durch Synchronisationsnöte: Funktionen in Organisationen haben ganz unterschiedliche „Eigenzeiten“. Nehmen wir ein Beispiel: Die Rechtsabteilung ist mit der juristischen Prüfung eines Vertrags immer noch nicht fertig, während der Vertrieb händeringend wartet, ihn endlich zum Kunden schicken zu können. Aber: Wenn die Juristen in der Zeitdimension sich so organisieren wie die Vertriebler, läuft etwas verkehrt. Es ist offensichtlicher Alltag in Organisationen, dass der Faktor Zeit unterschiedlich bewertet wird. Was für die einen schnell ist, ist für die andere zu langsam, was für die einen überholt ist, ist für die anderen überfällig. Zu glauben, dass Organisationen sich wie synchronisierte Uhren gleichschalten lassen, verkennt, dass genau darin eine wesentliche Führungsaufgabe liegt: mit unterschiedlichen Eigenzeiten von Funktionsbereichen zu rechnen und die daraus entstehenden Konflikte zu regulieren. Wann muss Führung verlangsamen oder beschleunigen? Auf welche Weise kann sie das tun? Geschieht dies offen oder verdeckt? Das sind nur einige Fragen, mit denen die Regulationskompetenzen von Führungskräften in Konflikten untersucht werden können.
Organisationen sind wie Zwangsheiratssysteme: Die, die sich gegenseitig nicht ausgesucht haben, haben miteinander zurechtzukommen.
Vor dem Hintergrund des Geschilderten lassen sich nun drei besonders ungünstige, weil illusionäre Erwartungen benennen, die zwangsläufig zu Enttäuschungen und zu dysfunktionalem Konfliktmanagement führen.
Win-Win: Wenn sachliche Konflikte elementare Ereignisse in Organisationen sind, dann lassen sich Konzepte, die auf Win-Win-Lösungen setzen, nicht aufrechterhalten. Im Gegenteil: In Organisationen werden Entscheidungen nötig, weil eben nicht errechnet werden kann, wer recht hat, und weil auch nicht allen Wahrheiten Genüge getan werden kann. Wenn die Argumente auf beiden Seiten richtig sind, aber sich gegenseitig ausschließen, kann die Situation – systemtheoretisch gesprochen eine Paradoxie – nicht in Win-Win aufgelöst werden. Denn die Organisation wird nur handlungsfähig, wenn sie manche Wahrheiten zugunsten anderer Wahrheiten vernichtet, ignoriert, beschädigt oder schlicht als falsch erklärt.
Die Vernunft: In vielen Organisationen herrscht bei Geführten wie bei Führenden der Glaube vor, dass es ohne Konflikte abgehen könnte, wenn doch alle nur vernünftig wären. Damit setzt man ein philosophisch fragwürdig gewordenes Verständnis von Vernunft voraus: nämlich, dass es sie nur im Singular gibt. Im Deutschen kommt es einem tatsächlich komisch vor, wenn man von Vernünften spricht. Aber gäbe es nur eine Form, vernünftig zu sein, könnten sich alle leicht auf diese eine Form einigen. Man muss jedoch davon ausgehen, dass es in komplexen Gefilden immer unterschiedliche Formen von Vernunft gibt, die sich auch noch über Zeit und Personen hinweg verändern. Mit dem Appell: „Seid doch mal vernünftig!“ lässt sich daher keine Konfliktdynamik in Organisationen bearbeiten. Man muss dann damit zurechtkommen, dass die eine Vernunft der anderen Vernunft im Wege steht und nur mit Hilfe von Entscheidungen aus ihren paradoxen Verstrickungen erlöst werden kann.
In vielen Organisationen herrscht bei Geführten wie bei Führenden der Glaube vor, dass es ohne Konflikte ablaufen könnte, wenn doch alle nur vernünftig wären. Damit setzt man voraus, dass es Vernunft nur im Singular gibt.
Unvernunft ist in Organisationen übrigens genauso wichtig wie Vernunft. Die Frage, ob es gerade vernünftig ist, vernünftig sein zu wollen, ist für die Bearbeitung von Konflikten essenziell. Nur so gewinnt man in unübersichtlichen Konfliktlagen die Fähigkeit, hilfreiche Konflikte vom Zaun zu brechen und festgefahrene Konflikte zu beruhigen.
Zeitreichtum: In Organisationen ist Zeit die knappste Ressource. Zeit ist nie genug, weil man immer noch gründlicher nachdenken, analysieren, Daten erheben und alles noch perfekter machen könnte. Man könnte zudem noch mehr Personen an den Entscheidungen beteiligen, ihnen Mitsprache gewähren und die Sache ausgiebig mit allen Betroffenen erörtern. Es gibt kein natürliches Ende für sachliche und soziale Sorgfalt in Organisationen. Das macht Zeit für alle knapp. Zeitlicher Stress ist jedoch eine unerschöpfliche Quelle für ein schnelles „Jetzt nicht!“ oder ein „Ich kann gerade nicht“. So entstehen „Neins“, die für weitere „Neins“ in Form von Empörung sorgen, was – wie wir wissen – das Grundmuster von Konflikten ist. Um die Auseinandersetzung angemessen zu begrenzen, muss Führung daher mitunter sachliche Argumentationen beenden und soziale Mitsprachewünsche verweigern. Damit wird sie ihrerseits zur Quelle von Konflikten. Man sieht: No way out.
Der schlimmste Fehler, den Führung in Organisationen machen kann, ist, zu hoffen, man könne ohne Konflikte führen oder sich führen lassen.
Der schlimmste Fehler, den Führung in Organisationen also machen kann, ist zu hoffen, man könne ohne Konflikte führen oder sich führen lassen. Der Versuch erzeugt nur zusätzliche Erwartungen, die Organisationen gar nicht erfüllen können, wodurch dann zu den funktionalen und unabwendbaren Konflikten noch ungünstige und überflüssige hinzukommen. Das Management von Erwartungen halte ich daher für eine der wichtigsten Aufgaben von Führung als auch von Beratung, ein Aspekt, der mir gerade im Change seltsam unterrepräsentiert erscheint. Wer Illusionen nährt – z.B. dass es Purpose Driven Organizations geben könnte, in denen alle gemeinsam auf ein Ziel hinarbeiten –, nährt auch Enttäuschungen. Bei sich selbst, wie bei anderen.
Damit stellt sich die Frage, was Führung konstruktiverweise tun kann, wenn sie im Bewusstsein handelt, dass Verneinungskommunikation unausweichlich ist, und sie gleichzeitig gestaltet – also geschürt oder beruhigt – werden muss. Mir scheinen hier vier Aspekte besonders wichtig:
Kommunikationsräume für Konflikte schaffen: Konflikte brauchen Raum und Zeit. Sie brauchen Struktur und Rhythmik. Sie müssen kuratiert werden und brauchen Regeln. Das weiß man eigentlich seit langer Zeit aus der Geschichte der Diplomatie und gesellschaftlicher Diskurse. Dialog unter Mächtigen, unter Gegnern, unter Feinden – das geht nicht ohne Rahmung. Tarifverhandlungen mit all ihren Regeln wären dafür ein Beispiel. Auch der Zweck der viel gescholtenen Gremien liegt genau hier. Praktisch umsetzen können Führungskräfte diese Erkenntnis, indem sie Meetingstrukturen konzipieren, in denen allen Beteiligten klar ist, welche Konflikte hier ausgetragen werden müssen. Ein Meeting, bei dem nicht klar ist, worüber mit wem gestritten werden soll, um welche festgefahrenen Streitigkeiten zu beenden, ist in der Regel überflüssig.
Verlieren normalisieren: Konflikte enden, wenn jemand mit der Niederlage einverstanden ist. Wenn alle Gewinner sein wollen, geht der Kampf weiter, bis zum Krampf. In vielen Organisationen, die ich kenne, ist ein „I disagree and commit“, mit dem man seine Niederlage einräumt, ohne die Zusammenarbeit aufzukündigen, aus der Mode gekommen. Das halte ich für fatal. Wenn Verlieren nicht normalisiert, ja sogar als wichtige „Leistung“ angesehen wird, dann verfestigen sich Konfliktlinien zu Schützengräben. Wenn Führung die Konfliktregulation in der Organisation verbessern will, muss sie Verlieren, Nachgeben und Opferbringen belohnen. Das führt unmittelbar zum nächsten Punkt.
Triumphieren sanktionieren: Gewinnen wollen ist nötig, um mit ganzem Einsatz die Interessen zu verfolgen, die mit der jeweiligen Organisationsfunktion verbunden sind. Das ist mit der oben geschilderten Bereitschaft zum Verlieren vollkommen kompatibel. Was mit Konfliktregulation weniger gut vereinbar ist, ist Triumphieren. Triumph freut sich an der Niederlage des anderen. Wenn Führung zulässt, dass ein Teil der Organisation über einen anderen Teil triumphiert, dann toleriert sie Selbstbeschädigung. Leider kommt das öfters vor als man denkt. Wer triumphiert, gibt der anderen Seite zu verstehen, dass er deren Niederlage für sich ausschlachtet und den Nachteil nicht sehen kann, der damit einhergeht. Denn Organisationen sind kein Sportwettkampf, bei dem es nur um Sieg und Niederlage geht und sonst nichts. Entscheidungen in Organisationen haben immer auch die Nachteile zur Folge, die mit dem Ablehnen einer Alternative einhergehen. Achtsamkeit für das, wofür die Verlierer eingetreten sind, ist daher elementar, um unerwünschte Effekte von Entscheidungen zu reduzieren. Triumph macht blind für diese Differenzierungen und sollte daher strikt sanktioniert werden.
Konflikte sind kein Betriebsunfall, sondern konstitutives Element funktionierender Organisationen. Da diese strukturell von Asymmetrien – etwa im Hinblick auf Wissen, Macht und Einfluss – geprägt sind, treffen unterschiedliche Perspektiven und Interessen zwangsläufig aufeinander. Die Vorstellung, dass es eine einheitliche Orientierung – sei es in Form eines verbindlichen Zeitbegriffs, einer gemeinsamen Vernunft oder eines gemeinsamen Ziels – geben könnte, ist illusionär.
Eine Zusammenarbeit ohne Konflikte kann es aufgrund der inneren Widersprüche in der Organisation nicht geben. Führung muss diese Konflikte nicht verhindern, sondern dafür sorgen, dass die notwendigen Konflikte an den richtigen Stellen und auf angemessene Weise bearbeitet werden. Dazu gehört, Kommunikationsräume und -regeln zu schaffen, bei denen allen klar ist, worüber gestritten werden soll.
Da Konflikte elementare Ereignisse in Organisationen sind, lassen sich Konzepte, die auf Win-Win-Lösungen setzen, nicht aufrechterhalten. Handlungsfähigkeit erfordert, dass manche Wahrheiten zugunsten anderer Wahrheiten abgelehnt werden. Darum ist es wichtig, Verlieren zu normalisieren und zu belohnen. Wichtig für die Konfliktregulation ist auch, dass Gewinnenwollen nicht in Triumphieren umschlägt. Vielmehr gilt es, die verpassten Vorteile der abgelehnten Alternative zu würdigen.
Beziehungserhaltend „Nein“-Sagen: Konflikte brauchen die Fähigkeit, „Nein“ zu sagen. Gerade diejenigen, denen das leicht fällt, kappen allerdings oft innerlich die Beziehung zu denen, deren „Ja“ sie negieren. Organisationen brauchen jedoch von ihren Mitgliedern die Kompetenz, Widerspruch auch beziehungserhaltend zu äußern. In Rollen, die zusammenwirken müssen, dürfen die Rollenträger sich nicht aus dem Weg gehen, nur weil sie verschiedener Meinung sind. Verbundenheit mit Menschen aufrechtzuerhalten, die in wichtigen Fragen anders denken und anderes wollen, ist jedoch deutlich schwieriger als destruktives Dominieren. Auch hier wäre ein wichtiges Handlungsfeld von Führung: gegensteuern, wenn Mitarbeitende oder Teams auf einzelne Pole der Konfliktdynamik fixiert sind oder bestimmte Pole für sich ausschließen. Die neun in dieser Serie vorgestellten Polaritäten der Konfliktkommunikation können dabei als Instrument für Führungsrollen dienen, um ungünstiges Konfliktverhalten zu markieren und besprechbar zu machen. Ohne regelmäßige Reflexion verfestigen sich dysfunktionale Konfliktmuster, die Organisation bleibt blind dafür, wo sie sich selbst im Wege steht.
Fassen wir nochmal zusammen: Führung lebt in Konflikten. Die verbreitete Vorstellung, Führungskräfte hätten für ein harmonisches und konfliktfreies Miteinander Sorge zu tragen, ist daher illusionär. Auch wenn viele Menschen Konflikte nicht mögen, Organisationen sind darauf angewiesen, dass ihren Entscheidungsprozessen eine Bearbeitung der Widersprüche zugrunde liegt, die eine Entscheidung überhaupt erst notwendig machen. Es ist daher eine wichtige Führungsaufgabe, dass Menschen – Führende wie Geführte – ihre problematischen Konfliktmuster erkennen und bessere Mittel der Konfliktregulation lernen. Die Fähigkeit, Konflikte zu schüren und zu beruhigen, kann man sich erarbeiten, und sollte es auch. Denn, ob es uns gefällt oder nicht: Zusammenarbeiten in Organisationen bedeutet, sich auf ein Miteinander einzulassen, bei dem Widerspruch unabdingbar ist, und das daher Konflikte ebenso wahrscheinlich wie nötig macht.
Der Autor: Klaus Eidenschink berät und coacht Führungskräfte – insbesondere das Topmanagement großer Konzerne – in Fragen der Konfliktklärung, des Changemanagements und bei komplexen Entscheidungen, zudem führt er Coach- und Trainerausbildungen durch. Hintergrund seines Beratungsstils sind u.a. Ausbildungen und Erfahrungen in humanistischen Psychotherapieverfahren, Systemtheorie sowie Organisations- und Führungspsychologie. Kontakt: eidenschink.de
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