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Beitrag von Klaus Eidenschink aus managerSeminare 329, August 2025
Unerwünschte Aussichten: Wie Drohungen die Zukunft anderer beeinflussen
Der Pol „Drohend“: Warum die Bedrohten selbst den Drohenden Macht verleihen
Das Risiko des Drohens: Was Drohungen auch für die Drohenden gefährlich macht
Symmetrische Selbstaufgabe: Warum am Pol „Verhandelnd" beide Seiten flexibel sein müssen
Regulationskompetenzen: Was es braucht, um an beiden Polen des Machtmodus kompetent zu agieren
Hier geht es zur gesamten Ausgabe managerSeminare 329
Beiratstreffen des Familienunternehmens mit Weltruf: 35 Mitglieder der weit verstreuten Familie aus der zweiten und dritten Generation sind zusammengekommen, doch die Stimmung ist alles andere als familiär. „Es kann doch nicht sein, dass bei so vielen Leuten im Raum immer nur einer das Sagen hat, während alle anderen das Maul halten!“, empört sich eine Mittdreißigerin gegenüber ihrem Onkel, dem Geschäftsführer des Unternehmens. „Du tust so, als ob alle Weisheit nur zwischen deinen Ohren Platz genommen hat, und wir anderen sind hier das Stimmvieh, das dir deine Entscheidungen absegnet. Wie wäre es, wenn du auch mal zuhörst?“
Mit herablassendem Lächeln entgegnet der Onkel: „Mach hier nicht so einen Aufstand. Ich habe euch vorgetragen, welche Investitionen nötig sind und wie sich das auf die Ausschüttungen auswirkt, mehr braucht euch nicht zu interessieren.“ – „Die Ausschüttungen sind mir so was von egal. Worum es mir und vielen anderen hier geht, das bist du und deine Art, wie du den Mächtigen spielst. Du triffst rückwärtsgewandte Entscheidungen, du gefährdest die Zukunft des Unternehmens – und du hörst einfach nicht zu.“ – „Ach ja, weil du das beurteilen kannst. Halte uns hier nicht länger auf.“ – „Entweder du gehst jetzt mit uns in den Dialog oder wir sorgen dafür, dass deine Tage auf diesem Posten gezählt sind.“ Worauf der Onkel fragt: „Willst du mir etwa drohen?“ Die Frau hält inne, atmet durch, schaut sich um, vergewissert sich in einigen Blickkontakten und fährt fort: „Eigentlich will ich nur, dass du zuhörst. Aber wenn du es so nennen willst ... ja!“
Konfliktdynamik lässt sich nicht verstehen, wenn nicht klar ist, was Macht im sozialen Raum begründet und wie sie in Verneinungskommunikation eingesetzt werden kann – hilfreich oder weniger hilfreich. Unter den vielen Definitionen, die man über Macht finden kann, scheint mir die der Systemtheorie am leistungsfähigsten. Demnach ist Macht eine von drei Arten von Einfluss. Die erste ist fachliche Überzeugungskraft, sie nutzt die sachliche Dimension der Kommunikation. Die zweite besteht in sozialer Zustimmung und nutzt den Wunsch von Menschen, anderen zu folgen, denen sie vertrauen. Macht – die dritte Form von Einfluss – nutzt die Zeit.
Denn Macht hat man dann, wenn man die Zukunft der anderen beeinflussen kann. Genauer gesagt: wenn man glaubwürdig damit drohen kann, Erwünschtes zu entziehen oder Unerwünschtes eintreten zu lassen. Wer zum Beispiel einen Arbeitsvertrag aufkündigen oder eine Zusammenarbeit beenden kann, macht dadurch die Anpassung des anderen an den eigenen Willen wahrscheinlicher. Dasselbe gilt, wenn man die Legitimation hat, eine Abmahnung zu verfassen oder mit Verlust von Privilegien zu drohen.
Macht hat man dann, wenn man die Zukunft der anderen beeinflussen kann.
In Konflikten geht es um die Infragestellung bestehender und um die Definition neuer Gemeinsamkeiten. Drohungen wie „Wenn du nicht, dann werde ich ...!“ sind da immer sehr beliebt. Dabei ist wichtig zu verstehen, dass es die Drohung ist, die wirksam ist, nicht ihre Umsetzung. Denn hat man dem Mitarbeiter erst gekündigt, verliert man auch die Macht über ihn, weswegen der Erhalt von Macht paradoxerweise erfordert, dass sie nur exemplarisch eingesetzt wird.
Drohungen sind ein Zeichen, dass die Konfliktdynamik in den Machtmodus gerät. Damit sind wir – wie bei den vorangegangenen Teilen der Serie „Liebe Konflikte“ – bei einer Polarität angelangt, der letzten von insgesamt neun. Denn, daran sei kurz erinnert, Konflikte entfachen oder beruhigen sich entlang von Gegensatzpaaren, die jeweils für bestimmte Haltungen stehen, und die sich beide je nach Situation positiv oder negativ auf den weiteren Konfliktverlauf auswirken können (s. Kasten).
Den Beiträgen dieser Serie liegt ein systemtheoretisches Verständnis zugrunde, das Klaus Eidenschink u.a. in seinem Buch „Die Kunst des Konflikts“ ausführt. Demnach sind Konflikte …
… kein Missgeschick im menschlichen Miteinander, sondern etwas, was überall stattfindet, wo Interessen und Sichtweisen aufeinandertreffen. Konflikte sind demnach auch nicht zu lösen, sondern nur (vorübergehend) zu beruhigen – und müssen bisweilen sogar verschärft werden.
… notwendig, um eine bestehende Ordnung aufzubrechen bzw. eine neue zu etablieren. Konflikte sind demnach nicht immer schlecht, und Konsens ist nicht immer gut, vielmehr geht es um die Frage, wann ein Konflikt bzw. ein Konsens schädlich ist oder hilfreich.
… unkalkulierbar und unkontrollierbar. Sie folgen dabei eigenen Regeln, wobei sie den Konfliktbeteiligten aber immer wieder die Wahl lassen, eskalierend oder deeskalierend weiterzumachen.
Ob sich Konflikte ausweiten oder abschwächen und welche Form sie dabei konkret annehmen, lässt sich nach Eidenschink anhand von insgesamt neun Polaritäten zeigen, die im Laufe dieser Serie thematisiert werden (s. Grafik). Im aktuellen Teil geht es um den sogenannten Machtmodus auf der Zeitdimension, genauer: um die Frage, ob der Fokus des Konflikts im Hinblick auf zukünftige Aktivitäten eher auf „drohend“ (=einer stellt für den anderen Unerwünschtes in Aussicht) oder auf „verhandelnd“ (=Vor- und Nachteile werden gemeinsam bestimmt) liegt.

„Drohend“ ist einer der beiden Pole der Leitunterscheidung „Machtmodus“. Den anderen Pol nenne ich „Verhandelnd“. Ihn braucht es, weil Konflikte ohne ihn im Machtmodus nur eskalieren könnten. Er zeichnet sich – wie alle bisher beschriebenen Gegenpole – durch Kontingenz aus. Wo die Drohung die Auswahl verengt, bleibt am Verhandlungspol offen, welche der im Spiel befindlichen Zukunftsvorstellungen realisiert werden sollen, nach dem Muster: „Wirst Du mir geben, was ich möchte, so werde ich Dir geben, was Du wünschst.“
Die Sache mit Drohungen ist, dass sie nur wirksam sind, sofern die Partei, der gedroht wird, sich davon beeindrucken lässt. Wenn zum Beispiel jemand versucht, Einfluss auf meinen Geldbeutel zu bekommen, indem er mich mit dem Tode bedroht, hat das nur Wirkung, wenn mir mein Leben wichtiger ist als mein Geld. Angenommen, ich bin mit dem Sterben einverstanden – dann zerfällt seine Macht zu Staub. Oder ich halte es für ausgeschlossen, dass er seine Drohung wahrmacht – dann zerfällt seine Macht ebenfalls zu Staub.
Macht wird so gesehen erst von mir – dem Bedrohten – verliehen. Nicht der Drohende, sondern der Bedrohte gibt der Drohung Macht, indem er sich davon abhängig macht, dass sie nicht wahrgemacht wird. Auch in anderen Fällen – beim Drohen mit Kündigung, Trennung, Ausschluss, Verrat von Geheimnissen, Rechtsstreit, Entzug von Ressourcen, Folter oder körperlichen Schmerzen, Verweigerung von Hilfe etc. – ist Macht nur wirksam, wenn der Bedrohte die Drohung für bedrohlich hält. Anders gesagt: Niemand hat Macht, sie wird verliehen.
Niemand hat Macht, sie wird verliehen. Der Bedrohte ist es, der der Drohung Macht gibt, indem er sich davon abhängig macht, dass der andere seine Drohung nicht wahrmacht.
Wenn wir zu obigem Beispiel zurückkehren, wird das sofort deutlich: „Das wollen wir doch mal sehen“, sagt der Onkel voller Selbstgewissheit, „Wer findet noch, wie meine werte Nichte, dass ich der Falsche auf dem Posten bin?“ Überraschenderweise meldet sich seine Schwester, eine Grande Dame, die in diesem Rahmen üblicherweise nie etwas sagt: „Ich denke das, Albert.“ Ein Raunen geht durch den Raum. „Ich fürchte, du hast dich neuen Realitäten zu stellen.“ Das Eingreifen der Tante raubt dem Geschäftsführer die Möglichkeit, die Drohung seiner Nichte als Geschwätz abzutun. Nur solange er sich überlegen fühlt, kann er Versuche ignorieren, ihn auf der Sachebene zu beeinflussen. Die Schwester macht ihm jedoch deutlich, dass er mit einer Gegenmacht zu tun hat, die durchaus Einfluss auf seine Zukunft zu nehmen vermag.
Allerdings hätte die Drohung, dass er den Posten verlieren könnte, ihrerseits keine Macht, würde er nun erfreut sein Amt niederlegen und seine neu gewonnene Freiheit preisen. Die Drohung ist nur wirksam, solange er an seinem Posten hängt, er ihm also mehr bedeutet als seine Weigerung, den anderen zuzuhören. Das ist das Risiko des Drohens, man muss die Drohung auch wahrmachen können – und wollen –, sonst schwächt man sich. Die Nichte geht ein Wagnis ein, weil sie nicht sicher sein kann, wie ihr Onkel empfindet.
Der schweigt zunächst und sagt dann mit eisiger Stimme: „Ihr wisst schon, mit wem ihr euch anlegt?“ Bevor der Konlfikt an dieser Stelle aus dem Ruder läuft, schalte ich – ich bin quasi zufällig anwesend, weil ich als Moderator für einen anderen Entscheidungsprozess engagiert worden war – mich ein, nachdem ich das Einverständnis beider Parteien dafür bekommen habe: „Mir scheint, dass hier für alle etwas sehr Wichtiges und vielleicht Überfälliges geschieht, auch wenn es sicher für niemanden im Raum leicht ist. Die Frage, wer sich hier mit wem anlegt, bedarf allerdings weiterer Klärung.“ Damit keine Grabenkämpfe entstehen, bei denen jede Seite die Mehrheit für sich reklamiert, fordere ich die Anwesenden auf: „Können bitte alle die Hand heben, die der Meinung sind, dass es so nicht weitergeht?“ 80 Prozent der Anwesenden heben – viele zögerlich, andere wild entschlossen – die Hand. „Und wer von ihnen wäre im Zweifel willens, die Führung des Unternehmens anders zu gestalten?“ Wieder heben fast alle die Hand, und ich wende mich an den Geschäftsführer. „Damit haben Sie eine Antwort auf Ihre sehr kluge Frage bekommen. Es steht hier Ihre Macht gegen die der meisten Anteilseigner. Ich fürchte, Sie kommen ums Ernstnehmen des Konflikts nicht herum.“
Diese Situation ist ungewohnt. Aufseiten des Onkels ist nun vor allem Souveränität gefordert, nicht nur die eigene Meinung durchzusetzen, sondern auch die der anderen wirksam werden zu lassen. Viele andere im Raum müssen vor allem die Entschlossenheit aufbringen, Verantwortung zu übernehmen und seitens ihres Geschäftsführers unerbittlich auf Zuhören zu bestehen. Der Frage „Wollen Sie sich darauf einlassen?“ stimmen trotzdem alle zu. Es wird ein aufreibender, wechselvoller, brüchiger, aber am Ende lohnender Prozess. Er endet mit einer Doppelspitze in der Leitung, da sich alle, sogar der Onkel selbst, sicher sind, dass Zuhören und das Aufgreifen von Ideen anderer in diesem Leben wohl keine Kompetenz mehr von ihm werden würden. Aber er sah das zunehmend mit Humor und fand damit zu einer Haltung, in der die Entscheidungsräume des Unternehmens wachsen konnten.
Drohungen können emotional sein, wie hier im Beispiel, sie können auch sozial sein. Meist verursachen sie jedoch eigene Nachteile und Kosten, der Erfolg ist ungewiss: Wer droht, kann immer auch bloße Anpassung und gerade nicht Einverständnis auf der Gegenseite ernten. Damit wäre keine neue stabile Ordnung erreicht, sondern nur eine aufwendig zu erhaltende Labilität. Der Onkel hätte zum Beispiel vordergründig klein beigegeben und hintergründig alles beim Alten belassen können. Die Drohung ist daher nur funktional, wenn Weiteres folgt. Beide Seiten müssen nun andere Leitprozesse bedienen, soll sich der Konflikt günstig weiterentwickeln.
Man kann sich fragen, wieso in sozialen Konflikten trotz dieser Risiken so oft, ausgiebig und mit Eifer gedroht wird. In Organisationen mit ihrem Zwang zu Entscheidungen und damit auch dem Zwang zu konformem Verhalten verschärft sich diese Neigung noch. In nicht hierarchischen Gruppen werden die Drohungen subtiler und damit noch wirksamer.
Drohungen dienen dem innerpsychischen Zweck, Ohnmachtsgefühle durch kontrollierende Überlegenheit zu ersetzen.
Eine Antwort darauf lautet: Drohungen sind eins der wenigen Mittel, Ohnmachtsgefühlen zu entkommen. Ohnmacht ist ein sehr unangenehmes Gefühl. Will man es schnell loswerden, bleibt oft nur die Flucht in die Drohung – oder gleich ins Drauflosschlagen. Damit lassen sich auch viele der unsinnigen („Ich spreche nie wieder mit Ihnen!“), selbstschädlichen („Wenn Sie das Budget nicht freigeben, kündige ich!“), aufwendigen („Wir sehen uns bei Gericht wieder!“), lächerlichen („Dann werde ich Sie von den Meetings ausladen!“) oder widersinnigen („Wenn Du nicht zustimmst, dann arbeite ich nicht mehr mit Dir zusammen!“) Drohungen erklären. Die sind weder überlegt noch auf das Gegenüber abgestimmt, sondern dienen dem innerpsychischen Zweck, Ohnmacht durch kontrollierende Überlegenheit zu ersetzen.
Eine weitere Antwort lautet: Drohungen sind so beliebt, weil der Konflikt mit ihnen leicht am Laufen zu halten ist. In Meetings lässt sich das gut beobachten: Sind erst mal Drohungen im Raum, kann man sich leicht einreden, dass mit dem anderen nicht zu reden ist. Es folgen Gegendrohungen, alle Eskalationsstufen nach Friedrich Glasl und schließlich der Abgrund, in dem man allzu oft gemeinsam endet. In unserem Beispiel waren die Drohungen der Nichte und Schwester allerdings nötig, damit die Debatte überhaupt geführt wird. Das kann als eine Grundregel von Konfliktkompetenz angeführt werden: Wenn man nicht ernst genommen wird, braucht man nicht konstruktiv inhaltlich zu reden, sondern muss zunächst dafür sorgen, dass man „im Ring“ als Gegner wahrgenommen wird.
Eine Grundregel von Konfliktkompetenz lautet: Wenn man nicht ernst genommen wird, braucht man nicht konstruktiv inhaltlich reden, sondern muss zunächst dafür sorgen, dass man „im Ring“ als Gegner wahrgenommen wird.
Drohungen befeuern Konflikte auch deshalb, weil sie vereinnahmen. Sie binden die Parteien fest aneinander durch eine wechselseitige Angststimulation, bei der alles darauf ausgewertet wird, ob man in eine benachteiligte Position kommt, wie man Drohungen beantwortet oder wie man beweisen kann, dass man unbeeindruckt ist. Dieses angstbesetzte, auf Verlustvermeidung zielende Eskalationspotenzial ist der wesentliche Grund, warum Konflikte am Machtpol „Drohend“ entweder die Hilfe von Dritten brauchen oder geregelte Formen der Konfliktentscheidung (z.B. durch Gerichte).
Trotz der Eskalationstendenzen des „drohenden“ Pols zeigt sich auch hier – wie in allen Teilen dieser Serie –, dass kein Pol immer nur nützlich oder schädlich ist, vielmehr kommt es darauf an. So kann das Aufschaukeln der gegenseitigen Drohungen eine notwendige Zwischenphase sein. Erst wenn beide Seiten erkennen, dass Drohungen nicht weiterführen, weil sie symmetrisch werden, kann Neues geschehen. Bei etablierten Ungleichgewichten brauchen die Machtlosen dafür oft spezielle Drohmöglichkeiten, man denke an (Palast-)Revolutionen, Streik in allen Varianten inklusive Hungerstreik, Dienst nach Vorschrift, die Einbeziehung Dritter, den Gang in die Öffentlichkeit etc. Oft kann man nur so bei Mächtigen die Bereitschaft wecken, auf den Pol „Verhandelnd“ zu wechseln.
In den allermeisten Konfliktfällen trifft man sich irgendwann doch wieder am Verhandlungstisch, etwa wenn Drohungen keine Partei zum Einlenken gebracht haben. Beim Verhandeln geht es im Kern um die Klärung, wer welche Verluste und Gewinne zu tragen hat – eine Konfliktarbeit, die nur selten mit guten Gefühlen verbunden ist. Auch hier braucht der Konflikt zum Herstellen neuer Stabilität eine Kompetenz: die Verliererkompetenz der Menschen und Gruppen, derer er sich bedient hat.
Der Pol „Verhandelnd“ behält – im Gegensatz zu „Drohend“ – die (künftigen) Interessen und Absichten aller am Konfliktgeschehen Beteiligten im Blick, nicht nur die eigenen. Verhandlungen verzichten auf Zwang, der den Widerstand des Konfliktpartners brechen soll. Die Beendigung des „Neins“ soll durch Dialog erfolgen. Das setzt auf beiden Seiten des Konflikts die Bereitschaft voraus, andere auf sich einwirken zu lassen. Am Pol „Drohend“ denken die Parteien meist, die jeweils andere könnte sich anders verhalten, während sie selbst keine Wahl haben. Verhandlungen beenden diese Asymmetrie, weil in der Regel beide Seiten flexibel sein müssen. Einwirkungsbereitschaft ist so gesehen immer auch ein Stück weit Selbstaufgabe.
Carl-Auer 2025, 29,95 Euro.
Das Buch beschreibt in inzwischen vierter Auflage die Kunst des Konflikts als Fähigkeit, sinnvolle Konflikte zu eröffnen, nutzlose zu beenden und die restlichen klug zu regulieren. Für jede Dimension – sachlich, sozial und zeitlich – beschreibt er, welche Haltung die Konfliktdynamik günstig oder ungünstig beeinflusst.
Unter diesem Link finden sich alle bisher erschienenen Teile der Konfliktserie. Im ersten Teil geht es um sieben Prinzipien, die Konflikte prägen. In den folgenden Teilen geht es um die insgesamt neun Polaritäten, entlang derer sich Konflikte entweder aufheizen oder entspannen.
Können beide Parteien loslassen, unterbricht dies die Eskalation zugunsten einer (teil-)attraktiven Zukunft für alle, die am Konflikt beteiligt sind. Dabei besteht die Gefahr, dass, während die eine Seite noch verhandelt, die andere die Zeit nutzt, um neues Drohpotenzial aufzubauen. Wer verhandelt, darf nicht naiv sein. Während Drohen Abhängigkeiten sucht, macht Verhandeln gleich. Darum gilt es, sehr darauf zu achten, dass diese Symmetrie gewahrt bzw. erarbeitet wird.
Erstaunlicherweise tun sich viele Menschen sowohl schwer damit, klar und eindeutig zu drohen, als auch damit, zu verhandeln. Deshalb lohnt es sich, genauer hinzuschauen, welche Kompetenzen an beiden Polen gefragt sind. Schauen wir zuerst aufs Verhandeln: Für viele steht es moralisch auf der Seite des Guten. Dadurch wird leicht unterschätzt, dass Verhandeln gelernt sein will, beste Absichten allein reichen nicht. Verhandlungskompetenz in Konflikten besteht zuallererst in Risikotoleranz. Die Bereitschaft, sich auf Verhandlungen einzulassen, korreliert ganz erheblich damit, ob man das Risiko aushalten kann, am Ende schlechter dazustehen, als wenn man es mit Drohungen versucht hätte.
Es ist zudem nicht leicht, Verhandlungen anzubieten, solange man bedroht wird, da der Verzicht auf (Gegen-)Drohungen meist als Schwäche ausgelegt wird. Es besteht die Gefahr, als „leichter Gegner“ ausgemacht zu werden und auf diese Weise Angriffe im Machtmodus erst recht zu provozieren. Deshalb ist der Pol „Verhandelnd“ nicht einfach moralisch besser, mitunter kann er sogar ins Verderben führen. Vielmehr kommt es darauf an, Zeitpunkt und Auswahl der Verhandlungsangebote klug zu wählen, aber gleichzeitig klarzumachen, dass man jederzeit selbst wieder auf den Pol „Drohend“ wechseln könnte. Denn zu kalkulierbar zu sein, kann in Verhandlungen ebenfalls schädlich sein.
Verhandeln lebt von der Glaubwürdigkeit, mit der man die Interessen beider Seiten im Blick hat. Verhandlungsstile, die ein Maximum eigener Interessen realisieren wollen, laufen Gefahr, die Eskalationsdynamik des Konflikts neu zu befeuern. Eigene Interessen aufzugeben, erfordert jedoch eine weitere Kompetenz: die innere Unabhängigkeit, sich nicht mit äußeren Verhältnissen oder Tatbeständen identifizieren zu müssen („Wenn ich XY nicht bekomme oder hergeben muss, dann bin ich ein Verlierer oder wurde über den Tisch gezogen!“).
Wie es um die eigene Kompetenz am Verhandlungspol steht, lässt sich mit folgenden Reflexionsfragen ermitteln:
Auch am Pol „Drohend“ sind Kompetenzen gefragt. Zwar ist Drohen eine elementare Fähigkeit von Säugetieren. Schon unser Überlebensinstinkt ist auf Drohung geeicht, aktiv wie passiv. Menschen können drohen und können Drohungen nur schlecht ignorieren. Das Muster dahinter: Wenn der andere nicht tut, was man möchte, dann droht man selbst etwas zu tun, was für den anderen noch viel schlimmer ist.
Anspruchsvoll wird es jedoch dadurch, dass Drohungen sich auf mögliche Ereignisse in der Zukunft richten. Der kompetente Umgang mit dem Künftigen fällt Menschen generell nicht leicht. Etwa wenn es darum geht, Ängste zu bearbeiten, die sich auf die Zukunft richten. Oder wenn es um die Fähigkeit geht, gut zu führen, die maßgeblich von den individuellen Möglichkeiten abhängt, mit der ungewissen Zukunft umzugehen. Die Zukunft zu gestalten, erfordert darüber hinaus, anderen Menschen, die andere Zukünfte wollen, drohen zu können – und damit umzugehen, dass die anderen dasselbe tun. Wir brauchen an diesem Pol also beides: die Fähigkeit, mit Drohungen anderer angemessen umzugehen, und die Fähigkeit, selbst drohen zu können, wenn dies nötig ist (und wenn es nötig ist, dann ist es klug, es auch klug zu tun).
Die Zukunft zu gestalten, erfordert, anderen Menschen, die andere Zukünfte wollen, notfalls drohen zu können – und damit umzugehen, dass die anderen dasselbe tun.
Die Herausforderung liegt darin, antizipieren zu können, was man sich aufhalst, wenn man Drohungen ausspricht – und wenn man sie wahrmachen muss. Beginnen wir mit Letzterem. Um geschickt und effektiv zu drohen, braucht man ein Gespür dafür, was der anderen Seite wichtig ist und welche Ereignisse sie unbedingt vermeiden möchte. Nur wer hier genügend Realfantasien entwickeln kann, ist in der Lage, den Konfliktpartner darauf hinzuweisen, dass man auf diese Zukunft Einfluss nehmen könnte. Der Trick einer klugen Drohung besteht darin, dem anderen zu lassen, was er derzeit genießt: Karriere, Sicherheit, Frieden, Einfluss etc. Dabei ist es nützlich, zwischen Drohungen und Warnungen zu unterscheiden. Drohungen beziehen sich darauf, was man selbst tun könnte. Warnungen sind Hinweise, welche Gefahren entstehen, wenn man sich nicht einigt oder deeskaliert. Beides kann im Konflikt nützlich sein.
Wichtig in der Regulation des Drohens ist, dass man schon beim Aussprechen einkalkulieren muss, dass man sich mit fast jeder Drohung auch selbst schadet: Man verbraucht Ressourcen, gefährdet seinen Ruf, ruft möglicherweise mächtige Drittparteien auf den Plan, lädt Schuld auf sich etc. Deshalb braucht es Mut, solche Folgen auf sich zu nehmen, und es braucht Klugheit, um sie möglichst zu begrenzen. Die Bereitschaft mitzubringen, zugunsten der eigenen Konfliktziele Schmerz und Verlust in Kauf zu nehmen, ist an diesem Pol im engen Sinn des Wortes „kriegsentscheidend“.
In Konflikten spielt der Faktor Macht eine zentrale Rolle. Die äußert sich in der Fähigkeit, anderen glaubwürdig drohen und damit ihre Zukunft beeinflussen zu können. Drohen ist in Konflikten mitunter notwendig, aber auch gefährlich: Denn wer droht, riskiert hohe Kosten für sich selbst und weitere Eskalation. Hier ist Klugheit gefragt – und die Bereitschaft zu verhandeln.
Macht hat man nicht, sie wird verliehen. Drohungen sind nur wirksam, solange die Bedrohten sie bedrohlich finden. Ist ihnen die angedrohte Konsequenz egal oder halten sie ihre Umsetzung für unwahrscheinlich, verliert die drohende Seite ihre Macht. Dasselbe passiert, wenn sie die Drohung wahrmacht: einem gekündigten Mitarbeiter zum Beispiel kann man nicht weiter mit Kündigung drohen.
Drohungen neigen dazu, Konflikte eskalieren zu lassen. Trotzdem ist Verhandeln nicht per se moralisch besser. Drohungen können nötig sein, damit eine Debatte überhaupt geführt wird. Umgekehrt kann der Verzicht auf (Gegen-)Drohungen als Schwäche ausgelegt werden und damit Angriffe im Machtmodus erst provozieren. In Verhandlungen kann es daher helfen, nicht zu kalkulierbar zu sein.
Drohungen sind ein Risiko für die Drohenden selbst. Denn die müssen sie wahrmachen können – und wollen –, weil sie sonst ihre Glaubwürdigkeit verlieren. Dabei besteht die Gefahr, dass sie mit Drohungen kein Einverständnis der Gegenseite erreichen, sondern nur eine oberflächliche Anpassung. Wer droht, kann zudem Schuld auf sich laden und Drittparteien auf den Plan rufen. Es erfordert Mut und Klugheit, solche Folgen auf sich zu nehmen – und sie möglichst zu begrenzen.
Eine weitere wichtige Kompetenz im Umgang mit Drohungen ist, verbergen zu können, dass man mit Drohungen beeindruckbar ist. Das berühmte Pokerface hilft hier ungemein. Noch besser ist es, wenn man erst gar keine Angst hat, wobei die Furchtlosigkeit dann nicht auch noch mit Tollkühnheit gepaart sein darf, da man sonst emotional unfrei wird und im Übermaß (Gegen-)Drohungen ausspricht. Wer umgekehrt in Konflikten den Eindruck erweckt, überhaupt nicht zu unschönen Mitteln greifen zu können oder zu wollen, der beschwört jedoch unter Umständen genau diese Form der Eskalation herauf, weil die Gegenseite wittert, dass sie keine Angst zu haben braucht. Damit keine Missverständnisse entstehen: Bei all dem ist nicht der Berechtigung für Mord und Totschlag das Wort geredet. Im Gegenteil – es geht darum, durch die Entschiedenheit, mit der man mit negativen Folgen droht, ernst genug genommen zu werden, um bestehendes Unrecht, Missbrauch, Missstände und Ausbeutung infrage zu stellen, ohne dass Taten notwendig werden.
Wer in Konflikten den Eindruck erweckt, nicht zu unschönen Mitteln greifen zu können oder zu wollen, der beschwört unter Umständen eine Eskalation herauf, weil die Gegenseite wittert, dass sie keine Angst zu haben braucht.
Folgende Reflexionsfragen helfen, der eigenen „Drohungskompetenz“ auf die Spur zu kommen:
Ein kleiner Nachtrag: All das lässt sich wunderbar für das Phänomen Führung verdichten. Niemand kann führen und sich führen lassen, wenn man nicht drohen kann und mit Drohungen umgehen möchte. Einfluss auf schwierige Entscheidungen, Beenden von Ambivalenzen, Aushalten von Zweideutigkeiten, Halten von Unsicherheiten – all das kann Führung nicht bearbeiten, ohne in der Leitunterscheidung „Machtmodus“ kompetent zu sein. Denn Macht ist das Medium, in dem sich jede Form des Sich-Organisierens vollzieht.
Gleiches gilt für den anderen Pol: Niemand kann führen oder sich führen lassen, wenn man nicht verhandeln und sich in Verhandlungen behaupten kann. Jedes Meeting legt davon Zeugnis ab. Organisationen können sich nur organisieren, wenn es ihnen gelingt, untilgbare Zielkonflikte durch Kompromisse zumindest zeitweise zu befrieden. Das geht nicht über Drohungen, sondern über Ausloten von Schmerzgrenzen. Denn Dialog ist das Medium, in dem die Organisation das Sich-Aufreiben in Machtkämpfen begrenzt.
Der Autor: Klaus Eidenschink berät und coacht Führungskräfte – insbesondere das Topmanagement großer Konzerne – in Fragen der Konfliktklärung, des Changemanagements und bei komplexen Entscheidungen, zudem führt er Coach- und Trainerausbildungen durch. Hintergrund seines Beratungsstils sind u.a. Ausbildungen und Erfahrungen in humanistischen Psychotherapieverfahren, Systemtheorie sowie Organisations- und Führungspsychologie. Kontakt: eidenschink.de
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