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Coach-Gutachten: Der Einzelfall zählt

Verwundert hat Harald Geißler die Bitte nicht, die anlässlich des Wiesbadener Coaching-Kongresses im November vergangenen Jahres an ihn herangetragen worden ist: Einige Vertreter der Branche baten den Wissenschaftler, der als Professor für allgemeine Pädagogik an der Universität der Bundeswehr in Hamburg lehrt, Qualitätsbeurteilungen von Coaches vorzunehmen. Als Markt-Externer, der sich in seinen wissenschaftlichen Arbeiten intensiv mit der Materie beschäftigt und auch eigene Erfahrungen als Coach gesammelt hat, bringt Geißler nämlich gute Voraussetzungen für eine solche unabhängige Offensive mit.

Was der Professor bis dato auf die Beine gestellt hat - die Forschungsstelle Coach-Gutachten, kurz F.C-G - unterscheidet sich denn auch maßgeblich von anderen Vorstößen in Richtung Qualitätskontrolle: Gemeinsam mit zwei Mitarbeiterinnen nimmt Geißler Coaches, die von ihm ein Gutachten über ihre Kompetenzen, Vorgehensweise und Persönlichkeit erhalten wollen, nämlich nicht anhand eines vorab konzipierten Kriterienkataloges ins Visier. 'Coaching ist eine Leistung, die zutiefst mit der Persönlichkeit des Beraters verbunden ist, deshalb muss stets der Einzelfall betrachtet werden', erklärt Geißler seinen Ansatz, bei dem jeder Antragsteller ein individuelles Qualitätsprofil, jenseits festgeschriebener Mindestansprüche, erhält. 'Mit Mindestkriterien kann man schließlich keine Spitzenleistungen erfassen', weiß Geißler.

Beurteilungen jenseits fixer Standards

Das individuelle Ergebnis setzt eine individuelle Vorgehensweise voraus: Mit jedem Coach wird zunächst ein ausführliches Telefonat geführt, um erste Angaben über seinen Arbeitsbereich und seine Arbeitsweise einzuholen. Weiterhin hat der Anwärter Protokolle von drei bis vier aufeinander folgenden Sitzungen mit einem Coachee einzureichen und außerdem eine mindestens 30-minütige Tonbandaufnahme eines für seinen Arbeitsalltag typischen Falles. Darauf folgt ein vierstündiges Prüfungs- und Supervisionsgespräch, bei dem der Coach begründen soll, warum er sich in dem entsprechenden Fall für die von ihm gewählten Interventionen entschieden hat. Während dieses Gespräches nimmt Geißler seine Fähigkeit zur kritischen Selbsteinschätzung und organisationsdiagnostischen Kompetenzen in Augenschein.

Das Gutachten soll mehreren Zwecken dienen: Für Geißler selbst ist es Grundlage weiterer wissenschaftlicher Forschungsvorhaben. Langfristig könnten aus einer Vielzahl von Gutachten auch Kompetenz-Checklisten abstrahiert werden. Vor allem aber ist das Gutachten eine Orientierungshilfe für jene Firmen, die als Kooperationspartner mit der Forschungsstelle zusammenarbeiten - unter anderen die Telekom, Lufthansa und TUI. 'Die Firmen sind zwar sehr an Coaching interessiert, ihr Problem aber ist, dass sie die Anbieterqualität nicht durchschauen', erklärt Geißler. Mit dem Gutachten soll ihnen dies besser gelingen - zumal ihre HR-Profis in dessen Erstellung einbezogen werden: Diese supervisieren die Erstentwürfe im Hinblick auf die Nachvollziehbarkeit der zu Grunde gelegten Beurteilungskriterien. Wenn es ihnen nötig erscheint, können sie alternative Kriterien vorschlagen, die aus ihrer Sicht Kompetenzen und Vorgehensweise des jeweiligen Coaches besser widerspiegeln als die von der Forschungsstelle gewählten.

Bislang sind 20 Bewerbungen von Coaches bei der F.C-G eingegangen, vier Gutachten-Verfahren befinden sich derzeit (Mitte März) in der Supervisionsphase. Die Zufriedenheit der Anwärter, die zukünftig - das heißt, nach der Erprobungsphase - 50 Prozent ihres durchschnittlichen Tagessatzes für das Gutachten zu zahlen haben, ist laut Geißler schon jetzt sehr groß: Offensichtlich empfinden sie die Möglichkeit zur Selbstreflexion als hilfreich. Welchen Wert das Gutachten für die Branche zukünftig hat, wird indes der Markt entscheiden.
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