Jahresforum BGM

Resilienz statt Rückenschule

Wie stärken wir nicht nur die Gesundheit einzelner Mitarbeiter, sondern werden darüber hinaus als Organisation gesund und belastungsfähig? Das Management-Forum Starnberg stellte diese Frage Mitte Februar ins Zentrum seines 4. Jahresforums zum Betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM). Klar wurde: Ohne Umdenken geht es nicht.

Ein Beitrag von Svenja Gloger

Besonders deutlich machte das Hans A. Wüthrich. Während draußen vor dem Münchner Konferenzhotel die Morgensonne helle Strahlen vom Himmel schickte, sorgte der Professor für Internationales Management gleich im ersten Vortrag des Jahresforums für erleuchtende Momente in den Köpfen der 115 Teilnehmer. „Viele Menschen glauben, sie würden denken, während sie in Wirklichkeit nur ihre Vorurteile neu ordnen“, rüttelte er die Zuhörer mit einem Zitat des amerikanischen Philosophen William James wach, um sofort mit einem ersten Vorurteil aufzuräumen – nämlich dem, das BGM könne sich darauf beschränken, den Krankenstand zu senken. „Ein vitales Unternehmen ist mehr als die Summe seiner gesunden Mitarbeiter“, hob er an. „Eine Organisation ist gesund, wenn sie mit vielfältigen Herausforderungen intelligent umgehen kann und überlebensfähig ist“.

„Resilienz“ war mithin das Stichwort, das während des Kongresses noch öfter anklingen sollte. Wüthrich, der als Berater innovative Formen der (Unternehmens-)Führung untersucht, betonte, dass die Führung einen wesentlichen Einfluss auf die Resilienz eines Unternehmens hat – aber nur dann positiv wirkt, wenn sie neu gedacht wird. Seine markante These: „Betriebliche Gesundheit bedingt Musterbrüche in der Führung.“ Damit ist im Gesundheitsmanagement angekommen, was zurzeit allerorten in der Management-Kongresslandschaft diskutiert wird – und auch auf dem parallelen Coaching-Kongress im nur wenige Kilometer entfernten Erding ein Thema war: der Ruf nach neuen Wegen der Führung angesichts des volatilen, dynamischen, komplexen und unsicheren Umfelds, in dem sich Unternehmen heute bewegen.

Vier Musterbrüche in der Führung – gleichzeitig Andockpunkte für Unternehmensgesundheit – stellte Wüthrich auf dem Kongress vor. Sie alle knüpfen an das Gesetz des Kybernetikers W. Ross Ashby an, demzufolge Organisationen der zunehmenden Außenkomplexität nur begegnen können, wenn sie eine adäquate Systemkomplexität aufbauen, die Varianz im Denken und Handeln hervorbringt:

1. Errichte ein Haus mit kantigen Steinen: Es gilt, auch Mitarbeiter zu rekrutieren, die von ihrer Lebensbiografie her nicht zur Organisation passen und schräges Gedankengut einbringen. Passgenaue Kandidaten sind selten diejenigen, die Neues und Bleibendes errichten, sagte Wüthrich, indem er die Metapher heranzog: „Kugeln rollen weg.“ 2. Baue Übereffizienz ab: Zu viele Regeln und Planungen und auf Effizienz ausgerichtete Maßnahmen bewirken das Gegenteil dessen, was sie bezwecken: Sie lähmen eine Organisation. 3. Fokussiere die Potenzialentfaltung: Statt Mitarbeiter durch Disziplinierung zu führen und sie von Defiziten zu befreien, gilt es, ihnen Vertrauen entgegenzubringen und Verantwortung zu übertragen. Eine zentrale Aussage, die Wüthrich hierzu machte, wurde auf dem Kongress noch mehrfach aufgegriffen: „Führen Sie nicht, indem Sie Antworten geben. Führen Sie, indem Sie Fragen stellen.“ 4. Verstehe die Organisation als Prototypen: Gefragt sind Experimente, die neue Erfahrungen kreieren, und der Mut, sich überraschen zu lassen.

„Es geht beim Gesundheitsmanagement um den Betrieb, genauer: um die Zusammenarbeit im Betrieb“, unterstrich Björn Wegner: „Zentral ist das „B“ im BGM.“ Der Präventionsberater von der Unfallversicherung Bund und Bahn, Wilhelmshaven, sprach über die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz, zu der Unternehmen gesetzlich angehalten sind. Seine Überzeugung: „Die Gefährdungsbeurteilung verpflichtet Unternehmen dazu, einen Kulturwandel anzustoßen.“ Würde die Zusammenarbeit und Kommunikation im Unternehmen überdacht und verträglich und transparent gestaltet, gingen psychische Belastungen zurück, und das „B“, der Betrieb, werde gestärkt.

Zusammenarbeit forderte Wegner auch für die verschiedenen Funktionen und Stellen, die im Unternehmen für das Wohl der Mitarbeiter zuständig sind: Arbeitsdirektor, Betriebsärzte, Gleichstellungsbeauftragte, Organisationsentwickler und BGM-Manager sollten nicht gegeneinander, sondern miteinander arbeiten, sich ergänzen, füreinander da sein. Wegners Appell: „Wir brauchen keine Rückenschule, sondern Rückendeckung!“

Wie Mitarbeiter Rückendeckung erfahren und gleichzeitig Rückenwind bekommen, um intrinsisch motiviert zu Höhenflügen bei der Arbeit abzuheben, verdeutlichte Mirco Hitzigrath. Er gab Einblicke in ein Unternehmen, das in der Managementwelt gegenwärtig als Musterbeispiel wertschätzender, gesunder Unternehmenskultur gehandelt wird: die Hotelkette Upstalsboom. Hitzigrath, Direktor des Upstalsboom Hotel meerSinn in Binz, beschrieb seinen persönlichen Weg von einer hierarchisch-direktiv führenden Führungskraft zu einer, die über Vertrauen und das Stellen von Fragen führt. Panickattacken als Ausgangspunkt und der Besuch eines Klosters als Auszeitort führten zum Umdenken.

Sein Film darüber, wie Mitarbeiter der Hotelkette Sinn finden, indem sie beim Aufbau von Schulen in Afrika helfen, zeigte glückliche Kinder und überglückliche Mitarbeiter. Die Bilder brachten andächtiges Schweigen in den Konferenzsaal und trieben Tränen in die Augen der Teilnehmer. Wie aber lässt sich aus dem Präsentierten ein Schuh für das BGM fertigen? Das blieb offen.

Nichtsdestotrotz rüttelte der zweitägige Kongress nicht nur auf, sondern lieferte auch etliche pragmatische Tipps, Ansätze und Lösungen – in den Vorträgen, wie auf der begleitenden Ausstellung, auf der ein Dutzend Anbieter ihre Leistungen präsentierten. Die konkreten Ansatzpunkte und gezielten Maßnahmen für das BGM bezogen sich vor allem auf den leichter zugänglichen Aspekt des Gesundheitsmanagements: die Gesundheit des einzelnen Mitarbeiters. Dass hier kleine Dinge viel bewirken können, zeigte z.B. Peter Kölln, Facharzt für Arbeitsmedizin in Bremerhaven. Er verdeutlichte u.a., wie Männer mit Hilfe von Fußballmetaphern für eine gesunde Ernährung ansprechbar werden. Und der Bewegungswissenschaftler Dieter Breithecker demonstrierte, wie schon kleine körperliche Bewegungen anschließend die geistige Leistung fördern. Seine Empfehlung: „Stellen Sie Bewegungsverführer in den Büros auf!“ Gemeint sind bewegliche Stühle, auf denen beim Sitzen zwangsläufig herumgewackelt werden muss: Trampoline, Bälle, etc.

So wurde auf dem professionell organisierten Forum deutlich: Gesundheitsmanager sind gut beraten, im Großen die Resilienz der Organisation im Blick zu haben, statt nur im Kleinen die Gesundheit des Einzelnen zu betrachten. Doch gesunde Mitarbeiter sind die Voraussetzung von allem.

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Foto 1: Professor Hans A. Wüthrich sprach über den Zusammenhang von Unternehmensgesundheit, neuen Wegen der Führung und dem Handlungsswitch durch Erfahrungslernen. Foto 2: 115 Teilnehmer - full house also in München beim Jahresforum Betriebliches Gesundheitsmanagement. Fotoquelle: Denise Vernillo.

22.02.2017
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