1. Kongress Wirtschaft und Spiritualität

Mutige Mischung

Augenhöhe, Wertschätzung, Achtsamkeit, Purpose – um solche Dinge geht es bei vielen Veranstaltungen zum neuen Arbeiten und Wirtschaften. Und die Frage nach einem tieferen Sinn und höheren Werten klingt dabei immer mit an. Bisher allerdings hat es noch niemand gewagt, genau diese Frage so offensiv in den Mittelpunkt zu stellen wie es die Veranstalter der Kongresspremiere, die von 3. bis 6. Oktober 2019 in Kirchzarten bei Freiburg stattfand, taten: Hans-Jürgen Lenz, Chef der Balance Unternehmensberatung, und die IAK GmbH platzierten im Titel ihrer Veranstaltung einen Begriff, der im Business bisher vor allem Skepsis garantiert, und luden zum „1. Kongress Wirtschaft und Spiritualität“.

Ein Beitrag von Sylvia Lipkowski

„Ich bin nicht ganz sicher, ob ich hier richtig bin...“ So beginnt Claus Eurich seinen Eröffnungsvortrag im Kirchzartener Kurhaus. Der Philosoph und Kontemplationslehrer, der vor zwei Jahren Professor für Kommunikation und Ethik am Institut für Journalistik der TU Dortmund war, kann sein Publikum offenbar nicht so recht einschätzen. Ob er mit seiner Forderung nach einem „Aufstand für das Leben“ – so der Titel seines Vortrags wie auch des Buchs, in dem er Visionen für eine lebenswerte Erde vorstellt und Richtlinien für ein entsprechendes ethisches Handeln entwickelt – bei ihnen an der richtigen Adresse sein wird? Aus dem Titel der Veranstaltung lässt es sich nicht direkt ableiten: Denn was bedeutet eigentlich Spiritualität? Und wofür steht sie in Verbindung mit dem Begriff Wirtschaft?

Mit dieser Unsicherheit ist Eurich sicher nicht allein im Saal, in dem sich rund 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer versammelt haben. Die Mischung ist bunt, und das nicht nur optisch: Sakkos sind ebenso zahlreich wie bunte Tücher, Turnschuhe stehen neben Pumps und Slippern – und die selbstständige Physiotherapeutin und der Organisationsentwickler neben der Inhaberin einer Handwerksfirma, dem Chef der Freiburger Uni-Klinik, dem Energieberater und dem Manager eines Motorsägenherstellers.

Jens Riese erstaunt die anwesende Vielfalt kaum. „Die Menschen haben eine Sehnsucht nach Spiritualität – in jedem Kontext, auch im Business“, meint der Coach und Leadership-Trainer aus München, der bis vor einigen Monaten Senior Partner bei McKinsey war. Dort betreut er noch immer das „Centred Leadership Program“ für Führungskräfte, das er mitentwickelt hat. Denn viele Menschen, so seine Erfahrung, tragen auch in ihrem Arbeitsalltag die Frage mit sich herum, ob sie „hier richtig“ sind.

Auf der Suche nach Antworten – auf diese wie auch alle anderen Fragen – scheitern sie dabei immer häufiger, da sie mit den gewohnten Ansätzen angesichts der enormen Dynamik unserer heutigen Welt an ihre Grenzen stoßen. „Nur durch Analyse lässt sich Komplexität nicht bewältigen“, erklärt Michael Böttcher, der sich bei der Lufthansa als Organisationsentwickler um die Unternehmenskultur kümmert.

Für beide Manager ist der Blick über den Tellerrand des Verstandes deshalb die logische Konsequenz. „Wir müssen unsere innere Komplexität erweitern, um mit der äußeren Komplexität zurecht zu kommen“, glaubt Führungskräfteentwickler Riese mit Blick auf die VUKA-Welt. Stabilität bietet hier die Orientierung an Werten und Ethik und das Streben nach persönlicher Integrität. Die stetige persönliche Weiterentwicklung ist für Riese deshalb ein entscheidender Aspekt von Spiritualität – auch wenn er den Begriff im Gespräch mit potenziellen Klientinnen und Klienten bisweilen lieber nicht sofort gebraucht.

Auch Böttcher wählt in seinem Job die eigenen Worte vorsichtig, um nicht in Esoterik-Verdacht zu geraten. Die zentralen Begriffe, die auf seinen Powerpoint-Folien stehen, heißen zunächst Innovation, Drive, Kollaboration und Empowerment – bereiten aber die Basis für Gespräche über Augenhöhe, Vertrauen und Verbundenheit. Erreicht hat er mit seiner Abteilung so die Entwicklung eines entsprechenden kulturellen Zielbildes. „Und wir haben auch die Führungskräfteentwicklung innerhalb der vergangenen drei Jahre einmal auf links gedreht“, berichtet Böttcher. Nun werden auch mal syrische Studenten als Impulsgeber eingeladen oder Führungskräfte in einem Seminar völlig ohne Agenda allein gelassen – und manchmal sogar zum Dialog mit einem Baum ermutigt.

Dabei nimmt der Psychologe, der als Student bei den Startbahn-Demos in den 1980er Jahren noch auf der anderen Seite stand, in Kauf, Ambivalenzen auszuhalten, mit denen er sich regelmäßig konfrontiert sieht. „Manche Dinge sind einfach nicht besprechbar“, räumt der Organisationsentwickler ein. Post-Wachstumsideen etwa oder die Frage, ob Geschwindigkeit wirklich ein so zentraler Erfolgsfaktor ist. Aufgeben will Böttcher, der ganz offensichtlich stolz ist, schon seit 20 Jahren zur Fluggesellschaft zu gehören, trotzdem nicht – sondern weiterhin „lernträchtig irritieren“ und als Brückenbauer zwischen dem Bewährten und dem Neuen agieren. Er zumindest scheint die Frage, ob er richtig ist, wo er ist, für sich beantwortet zu haben.

Wahrscheinlich folgt der Organisationsentwickler damit sogar dem ökologischen Imperativ von Hans Jonas, der im Eingangsvortrag von Eurich als handlungsleitend empfohlen wurde. Der 1993 verstorbene Philosoph hatte schon 1979 in seinem Hauptwerk "Das Prinzip Verantwortung" versuchte, eine Ethik für die technologische Zivilisation zu entwickeln, und in Anlehnung an Immanuel Kants kategorischen Imperativ den Leitsatz formuliert: „Handle stets so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“ Ein langsameres, tieferes Denken in Unternehmen zu bringen, ist da möglicherweise kein schlechter Ansatz.

Denn gerade dort gibt es entscheidende Hebel, um die notwendigen Veränderungen für eine lebenswerte Zukunft einzuleiten, ist Peter Quick überzeugt. „Wirtschaftsunternehmen sind die einzige Kraft, die schnell etwas bewegen kann, weil sie in weniger Zwängen stecken als die Politik“, meinte der Chef der Promega GmbH, der deutschen Tochter eines amerikanischen Biotechnologie-Unternehmens. Bei Promega setzt man deshalb u.a. auf nachhaltig verträgliches Wachstum, etwa beim Bau einer energieeffizienten neuen Deutschlandzentrale, und auf ein ausdrückliches Bekenntnis zur UN-Menschenrechtscharta in Zusammenarbeit mit Partnern weltweit.

Gefördert wird aber auch die persönliche Bewusstseinsbildung der international 1.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beispielsweise mit Achtsamkeit und Intuitionstrainings in regelmäßigen Bootcamps. „Das ist gerade für Naturwissenschaftler schon eine ziemliche Herausforderung“, so Quick. Immerhin 130 der Life Science Researcher haben sie im vergangenen Jahr freiwillig angenommen und unterstützen nun, so ist man bei Promega überzeugt, nicht nur eine intensivere Zusammenarbeit innerhalb des Unternehmens, sondern tragen ihre Erkenntnisse auch in den Rest der Gesellschaft hinein.

Die zentralen Inhalte, die im ProMindful genannten Programm bei Promega transportiert werden, sind Respekt, Achtsamkeit sich selbst und anderen gegenüber, Empathie und Menschlichkeit. All diese Elemente aber sind – das wird im Laufe der vier Kongresstage deutlich – auch zentral für die Definition von Spiritualität. Letztlich nämlich läuft fast jeder Beitrag und jedes Gespräch in Kirchzarten darauf hinaus, dass alles miteinander zusammen– und voneinander abhängt. Ob in der Quantenphysik, der „transrationalen“ Intelligenz, im Buddhismus, bei Gemeinwohlbilanzen oder in der Ökologie: Nichts kann isoliert verstanden oder verändert werden, ohne dass etwas anderes davon beeinflusst wird.

„Wer ein 10-Liter-Auto fährt, bekommt Klimaflüchtlinge, wer Waffen verkauft, Bürgerkriege“, fasst es Theologe und Buchautor Franz Alt in seiner Keynote zusammen. Diese Zusammenhänge müssen wir begreifen, wenn wir nicht von der Erde verschwinden wollen, so sein Appell: „Denn nur mit ganzheitlichen Ansätzen lassen sich unsere Probleme heute noch lösen.“ Damit das gelingt, sind Offenheit und eine gewisse Klugheit nötig, vor allem aber – und hier zitiert Alt den Dalai-Lama – „ein gutes, menschliches Herz.“ Denn wer das hat, wird sich immer am richtigen Platz fühlen und wissen, was zu tun und was zu unterlassen ist. Das kann man dann effiziente Komplexitätsverarbeitung, Centered Leadership oder praktische Ethik nennen. Oder – wenn man ganz mutig ist – eben auch Spiritualität.

Fotos: S. Lipkowski; Graphic Recording in Bild 2 von Mathias Weitbrecht, Visual Facilitators, Hamburg

10.10.2019
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