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Beitrag von Horst Lempart aus Training aktuell 07/25, Juli 2025
Eine Klientin hat immer wieder damit zu kämpfen, ihre eigenen Bedürfnisse mit den Bitten anderer Leute in Einklang zu bringen. Diesen Kampf verliert sie regelmäßig. Seit Jahren fühlt sie sich machtlos, gut für sich zu sorgen, sich abzugrenzen und sich selbst wichtig zu nehmen. Ein „Problemsystem“ baut sich auf. Nicht nur sie selbst spürt zunehmend körperliche und psychische Belastungen. Auch ihre Familie kennt ihre dauernden Klagen über zu viel Arbeit, fordernde Kollegen und rücksichtslose Kunden inzwischen auswendig. Aus ihrer Problemgeschichte wird eine Problemtrance. Je häufiger sie ihr Klagelied anstimmt, desto größer wird auch die Problemblase. Die Klientin sucht daher im Coaching nach einer Lösung.
„Sagen Sie doch einfach ‚Nein!‘. Am besten verbunden mit einem freundlichen Lächeln“, erwidere ich, nachdem sie mir ihre ausführliche Problemgeschichte erzählt hat. „Ach“, ernte ich als Antwort, „wenn das so einfach wäre.“ „Probieren Sie es doch gleich mal aus“, empfehle ich. „Sagen Sie bitte mal laut und freundlich ‚Nein!‘. Es ist wirklich ganz einfach!“ Die Klientin schaut mich misstrauisch an. „Es geht doch nicht um das ‚Nein‘, sondern um meine Fähigkeit, mich abgrenzen zu können. Das Problem liegt viel tiefer!“
Da mag sie recht haben. Mit tiefenpsychologischer Arbeit könnte man hier vielleicht Widerstände, Projektionen oder gar einen Komplex aufdecken. Aber das ist weder mein Job noch ökonomisch sinnvoll. Meine Empfehlung lautet daher: einfach machen! Schwerer, tiefer und komplexer können wir es später immer noch machen. Warum nicht erst einmal ausprobieren, ob sich ein „großes“ Problem auch mit einfachen Lösungen klären lässt? Manche Menschen nehmen nicht nur ihr Problem, sondern sich selbst so wichtig, dass sie einfache Lösungen nur schwer akzeptieren können.
Manche Menschen nehmen nicht nur ihr Problem, sondern sich selbst so wichtig, dass sie einfache Lösungen nur schwer akzeptieren können.
Ich lasse nicht ab von meiner Nein-Einladung, von mir auch „Neinladung“ genannt. Auf meine Bitten antwortet sie kurz und knapp mit einem liebevollen „Nein“. Dabei beobachte ich, wie sich ihre Gesichtszüge entspannen und sie mit der Zeit anfängt, sanft zu lächeln. Hier beginnt Veränderung! „Das funktioniert hier, aber Sie sind ja auch nicht mein Kollege. Das macht schon einen Unterschied.“ Da hat sie natürlich recht. Die Wirkung im Job kann ich als Coach nicht vorhersehen. Sie aber auch nicht, obwohl sie das seit Jahren glaubt. Wir spielen die Neinladung-Übung noch eine Weile weiter, damit sich die zunehmende Leichtigkeit auch körperlich verankern kann. „Was halten Sie davon, wenn Sie das mit dem Nein bei einer passenden Gelegenheit einfach ausprobieren und Erfahrungen sammeln? Muten Sie den Leuten einfach mal ein freundliches Nein zu und beobachten Sie die Wirkung. Dann sehen wir weiter.“ Jetzt heißt es abwarten, ob die Klientin bis zum nächsten Termin das eine oder andere freundliche Nein über die Lippen bringen konnte.
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