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Beitrag von Astrid Schulte aus managerSeminare 333, Dezember 2025
Wenn sich Organisationen verändern, scheitern sie selten an zu wenig Powerpoint, zu wenigen Workshops oder an „fehlender Motivation“ der Mitarbeitenden. Sie scheitern, weil sie sich selbst etwas vormachen. Nicht selten sind Veränderungsprojekte gigantische Theaterstücke mit glänzenden Visionen, emotionalen Kick-off-Events und charmanten Leadership-Mantren. Doch hinter der Bühne sitzen Menschen, die spüren: Das hier ist nicht echt. Ich habe in den vergangenen zwanzig Jahren viele Transformationen gesehen. Als Beraterin, als Führungskraft, als CEO. Kaum etwas untergräbt Wandel so zuverlässig wie Unaufrichtigkeit. Es ist der unsichtbare Sand im Getriebe, der ganze Organisationen zum Stillstand bringt.
Oft wird Partizipation inszeniert. Da werden Mitarbeitende in Workshops eingeladen, dürfen Post-its kleben und in „Open Spaces“ Ideen teilen – und bekommen anschließend den Eindruck, dass ihre Beiträge zwar nett gemeint, aber längst irrelevant waren. Das nennt man Scheinpartizipation – eine der effektivsten Methoden, Zynismus zu erzeugen. Und Zynismus ist die Antimaterie jeder Transformation. Oder: Die unangenehmen Seiten des Wandels werden kleingeredet. Man spricht von „Anpassungen“, obwohl im Hintergrund über Outsourcing und Stellenabbau diskutiert wird. Man redet von „Optimierung“, wo in Wahrheit Menschen ihre Rolle verlieren. Und man feiert Pilot-Erfolge, während die Realität in anderen Bereichen längst bröckelt. Dieses permanente „Positivdenken um jeden Preis“ ist keine Leadership, sondern Realitätsverweigerung mit Charmeoffensive.
Ehrlichkeit ist das Fundament von Vertrauen und Vertrauen ist die Währung jedes sozialen Systems. Wenn Menschen spüren, dass sie nicht das ganze Bild kennen, ziehen sie sich zurück. Aber wenn sie merken, dass auch die unbequemen Wahrheiten ausgesprochen werden, entsteht Verbundenheit. Dann wird aus Kontrolle Kooperation. Aus Angst entsteht Mitverantwortung. Ehrlichkeit ist kein „Nice-to-have“. Sie ist das strategische Betriebssystem für Wandel. In einer Zeit, in der Fake News, KI-generierte Hochglanzrealitäten und geschönte Unternehmenskommunikation allgegenwärtig sind, wächst die Sehnsucht nach Authentizität. Nach Menschen, die Dinge beim Namen nennen. Und nach Führungskräften, die das auch dann tun, wenn es ungemütlich wird.
Zur Wahrheit gehört: Veränderung schafft Verlierer. Manche Menschen verlieren Einfluss, Routinen, Sicherheit. Manche müssen sich neu erfinden. Und ja, es gibt Rückschläge, Sackgassen, Fehlentscheidungen. Wenn Führung das verschweigt, entsteht Misstrauen. Wenn sie es ausspricht, entsteht Halt. Ehrliche Kommunikation heißt nicht, jede Sorge auf offener Bühne zu sezieren. Sie heißt: Klarheit statt Schönfärberei. Sie bedeutet, die Realität weder zu dramatisieren noch zu bagatellisieren. Sie erkennt an, dass Transformation kein linearer Prozess ist, sondern ein Tanz – mit Vor-, Rück- und Seitenschritten. Wer das offen benennt, entwaffnet die Skeptiker. Weil er ihnen den größten Hebel nimmt: das „Ich hab’s ja gleich gesagt“-Argument.
Zur Wahrheit gehört: Veränderung schafft Verlierer. Manche Menschen verlieren Einfluss, Routinen, Sicherheit. Manche müssen sich neu erfinden. Und ja, es gibt Rückschläge, Sackgassen, Fehlentscheidungen. Wenn Führung das verschweigt, entsteht Misstrauen.
Das Problem beginnt jedoch oft früher: Viele Entscheiderinnen und Entscheider sind nicht einmal ehrlich zu sich selbst. Sie verwechseln Change mit Transformation. Change bedeutet: Wir optimieren Bestehendes. Gleiche Spielregeln, etwas effizienter. Transformation dagegen: Wir stellen die Spielregeln selbst infrage. Echte Transformation fordert, Macht abzugeben – oder zumindest zu teilen. Und genau das ist der Punkt, an dem viele scheitern. Denn wer Wandel anstoßen will, muss zuerst das System verändern, das ihn selbst privilegiert. Und das ist unbequem. Führung in der Transformation bedeutet: sich selbst hinterfragen. Welche Werte sind unverhandelbar? Was bin ich bereit, loszulassen? Was will ich wirklich? Ohne diese Ehrlichkeit mit sich selbst bleibt jede Transformation eine kosmetische Operation. Ehrlichkeit bedeutet auch, zuzugeben: Wir wissen es noch nicht. In Transformationsprozessen ist die Zukunft oft diffus. Und doch erwarten Menschen von Führung klare Ansagen, Richtung, Sicherheit. Die Versuchung, diese Erwartungen mit glattpolierten Visionen zu bedienen, ist groß. Aber wer so handelt, verkauft Sicherheit, die er nicht hat. Führung in unsicheren Zeiten heißt: Unschärfe aushalten. Zu sagen: „Wir wissen heute nicht, wie das in einem Jahr aussieht, aber wir werden ehrlich bleiben, miteinander lernen und Kurs halten.“ Das klingt weniger heroisch als „Wir schaffen das!“, ist aber glaubwürdiger. Und Glaubwürdigkeit schlägt Optimismus auf Dauer.
Die Gesellschaft hat sich verändert. Mitarbeitende, besonders die jüngeren Generationen, riechen Unauthentizität auf zehn Meter. Sie wollen keine polierten Change Stories, sondern echte Gespräche. Ehrlichkeit ist dabei kein Zeichen von Schwäche, sondern Ausdruck emotionaler Reife. Sie bedeutet: Ich bin bereit, mein eigenes Narrativ zu hinterfragen. Ich bin bereit, Verantwortung zu übernehmen, auch für das, was nicht funktioniert. In dieser Haltung steckt mehr Leadership als in jedem Motivationsposter dieser Welt.
Natürlich: Es gibt Momente, in denen man nicht alles teilen kann. Diskretion ist kein Verrat an der Ehrlichkeit – sie ist Teil ihrer Intelligenz. Aber die Richtung muss stimmen: weg vom „Wir machen das schon irgendwie“, hin zum „Lasst uns ehrlich hinschauen“. Ehrlichkeit erzeugt Energie, weil sie Realität freilegt. Nur wer die Realität sieht, kann sie gestalten. Wer dagegen Märchen erzählt, produziert Illusionen. Und Illusionen sind teuer. Sie kosten Vertrauen, Engagement und am Ende: die besten Leute.
Ehrlichkeit ist kein Soft Skill. Sie ist eine Haltung. Ein ehrlicher Leader verschweigt nichts Wesentliches, spielt keine Spiele, wirft keine Nebelkerzen. Er nennt die Dinge beim Namen – auch wenn es unangenehm wird.
Ehrlichkeit ist kein Soft Skill. Sie ist eine Haltung. Ein ehrlicher Leader verschweigt nichts Wesentliches, spielt keine Spiele, wirft keine Nebelkerzen. Er nennt die Dinge beim Namen, auch wenn es unangenehm wird. Er traut den Menschen zu, mit der Wahrheit umzugehen. Er weiß: Reife wächst nicht durch Schutz, sondern durch Zumutung. Ehrlichkeit heißt nicht, brutal zu sein. Sie heißt, klar zu sein – und mit dieser Klarheit verbunden zu bleiben. Denn Ehrlichkeit ohne Empathie ist Zynismus. Empathie ohne Ehrlichkeit ist Feigheit.
Wandel braucht weniger PR und mehr Wahrhaftigkeit. Weniger Choreografie und mehr Klartext. Er braucht Führungskräfte, die den Mut haben zu sagen: „Das wird schwer“, „Wir wissen es noch nicht“, „Wir haben uns geirrt.“ Und gleichzeitig: „Wir lernen. Wir gehen weiter. Und wir tun das gemeinsam.“ Wenn Organisationen diese Ehrlichkeit kultivieren, entsteht etwas, das keine Transformationsberatung der Welt liefern kann: Vertrauen. Und Vertrauen ist die eigentliche Superkraft jedes erfolgreichen Wandels.
Astrid Schulte ist Unternehmerin, CEO der Berendsohn AG in Hamburg, und Beirätin in verschiedenen Familienunternehmen, u. a. bei Margarete Steiff. Zuvor arbeitete sie in Führungspositionen bei Richemont, Kraft Foods, Roland Berger und Loyalty Partner (Payback). Ihr Fokus: Transformation, neue Geschäftsmodelle, ehrliche Führung. Sie teilt ihre Erfahrungen als Keynote Speakerin und Autorin des Buches „Bausteine des Wandels“ (Campus Verlag, zusammen mit Reza Razavi). Kontakt: linkedin.com/in/astrid-schulte-66ba2634/
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