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Übersicht AnsprechpartnerBeitrag von Henning Beck aus managerSeminare 322, Januar 2025
Als ich Biochemie studierte, war ich häufig in einem Gebäude, dessen Flure mit großen holzvertäfelten Wänden geschmückt waren. Nun sind große Holzflächen direkt neben chemischen Labors aus Brandschutzgründen keine gute Idee. Leider kam diese Einsicht ein bisschen zu spät, denn die Holzverkleidungen hingen schon so lange im Gebäude, dass sie denkmalgeschützt waren. Es kam also zum ultimativen Showdown der deutschen Risikogesellschaft: Brandschutz gegen Denkmalschutz. Wer wird obsiegen? Es war der Brandschutz. Nachdem er denkmalgerecht umgesetzt werden konnte.
Das Problem von hoch entwickelten Gesellschaften ist, dass sie in erster Linie beschützen wollen, was sie haben. Jede neue Idee muss sich deswegen in einer Risikobewertung beweisen. Und je wohlhabender und gesünder eine Gesellschaft ist, desto mehr Angst hat sie davor, ebenjenen Lebensstandard aufs Spiel zu setzen. In einer repräsentativen YouGov-Umfrage vor vier Jahren gaben über zwei Drittel der Europäer an, dass man gentechnisch veränderte Lebensmittel nur freisetzen darf, wenn „wissenschaftlich erwiesen ist, dass ihre Freisetzung weder die Biodiversität, die menschliche Gesundheit, die Landwirtschaft oder den Frieden schädigt“. Mit dieser ultimativen Forderung nach dem Nullrisiko hat sich das Thema ein für alle Mal erledigt. Denn es ist philosophisch beweisbar: Der Beweis einer Nichtexistenz (auch von Gefahren) ist unmöglich.
Es ist an dieser Stelle egal, was man von Gentechnik hält, der Punkt ist: Wir konzentrieren uns viel zu häufig auf das Risiko dessen, was passieren könnte. Bei Künstlicher Intelligenz fragen wir: Was droht uns, wenn wir diese Technik einsetzen? Viel seltener fragen wir: Was ist die Gefahr, wenn wir diese Technik nicht nutzen? Wie viele Menschenleben werden wir nicht retten? Wie viele Geschäftsmodelle werden wir nicht entwickeln? Welche Ideen werden wir alle nicht haben? Omission Bias, Unterlassungsfehlschluss, wird dieses Denkprinzip genannt, dass man nie sehen will, was einem entgeht. Die nicht ausgedachte Idee hat in einigen Jahren ja keine Lobby. Niemand beschwert sich über das, was niemals ausgedacht werden konnte, weil man ja gar nicht wissen kann, was möglich gewesen wäre.
Stattdessen konzentriert man sich darauf, die Risiken des Handelns zu minimieren. Das kann man so weit treiben, dass man sich mit allerlei Vorschriften die Zukunft verbaut. Ein offenes Denken setzt hingegen voraus, dass man auch die Optionen des Nichthandelns berücksichtigt. Ich hatte im Studium immer wieder Kurse, in denen man das geübt hat: Was passiert, wenn man nichts tut – und wie könnte man das mit guten Ideen verhindern? Das ändert die Denkperspektive und ist vor allem motivierend. Denn man erfährt, welche Möglichkeiten sich erst dadurch ergeben, dass man aktiv wird. Wundertechnologien fallen schließlich nicht vom Himmel. Aber wer heute anfängt, Probleme anzupacken, wird in Zukunft auf Ideen kommen, an die man heute nicht denken kann.
Diesen Punkt darf man nie verpassen. Die Geschichte ist voller Beispiele dafür: Das Osmanische Reich, jahrhundertelang technisch führend, verlor seine wissenschaftliche Vorherrschaft auch deswegen, weil die Koranschreiber aus Angst vor Arbeitslosigkeit den Buchdruck verbieten ließen. Kein Buchdruck, keine freie Verbreitung von Wissen, kein wissenschaftlicher Fortschritt. Das sollte uns eine Warnung sein.
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