Friederike Müller-Friemauth in Speakers Corner
Friederike Müller-Friemauth in Speakers Corner

„New Work ist Opfer eines Game of Thrones“

Derzeit hört man ihn überall: den Abgesang auf New Work. In Zeiten der Polykrise könne man sich das alles nicht mehr leisten – Hierarchieabbau, Selbstverwirklichung, Freiheiten in Bezug auf Arbeitsplatz und -zeit. Jetzt sei Ranklotzen angesagt, heißt es. Einspruch, ruft Friederike Müller-Friemauth. Die Zukunftsforscherin ist überzeugt: Das Gerede über nachlassende Produktivität durch neues Arbeiten ist nicht nur falsch, die Sorgen darüber sind auch vorgeschoben. Denn eigentlich steckt etwas anderes hinter der Abkehr von New Work.

Nichts altert schneller als das Neue. In der westlichen Transformationsgesellschaft hat es diese Binse inzwischen auf Champions-League-Niveau gebracht. Kaum ist New Work aus dem Schlangenei der Pandemie geschlüpft, siecht die Neue Arbeit auch schon wieder dahin. Pokale gewinnen derzeit diejenigen, die die Leichenfledderei am dramatischsten verkaufen und New Work als gescheitert beziehungsweise als nicht mehr tragbar deklarieren. „Gesunder Menschenverstand“ steht dabei hoch im Kurs, genauso wie Sorgen um den Wirtschaftsstandort und die gesellschaftliche „Verantwortung“ von Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern: Brauchen wir in Zeiten von Geldnot und Polykrise nicht etwas anderes als New Work? Mehr Leistung und Innovation zum Beispiel? Produktivitätsfortschritte, um mithalten zu können am Weltmarkt? Können und dürfen wir uns Vier-Tage-Woche-Träumchen, den Luxus einer Dauer-Work-Life-Balance und Achtsamkeit für Gesundheit und Sozialkontakte jetzt noch erlauben? Driftet hier nicht das nächste Thema in einen allzu „woken“ Zeitgeist ab? Anders gefragt: Müssen die Mitarbeitenden den (Fach-)Kräftemangel nicht irgendwie mittragen, wenn wir unseren Wohlstand erhalten wollen?

Einspruch! Die aktuelle Konterrevolution von oben kann und darf nicht das letzte Wort zur neuen Arbeit sein! Was diesen Widerstand unter anderem kennzeichnet, ist der ständig wiederholte Mythos, dass New-Work-Bedürfnisse etwas seien, was typisch für die angeblich leistungsunwillige Gen Z sei. Doch wissenschaftlich gibt es dafür keine Belege. Vielmehr entsprechen die modernen Arbeitsorientierungen einem allgemeinen sozialen Wertewandel, der das alte Achievement-Berufsethos der Boomer gerade pulverisiert. Lösungsorientierung als Problemreflex, die gute alte „Extrameile“ als Karrierebasis, alternativlose Krisenbewältigungsmuster à la „Noch 'ne Schippe drauflegen“ – das alles finden immer weniger Menschen attraktiv. Weil die Pandemie ihre Biografie besonders stark geprägt hat, stellen sich diese Einstellungen bei den Jüngeren lediglich homogener dar.

Bei sich verschärfendem Personalmangel und zahlreichen globalen Ungewissheiten verunsichert die Werteverschiebung die Top-Etagen verständlicherweise. Aber ist damit, dass Managementrepräsentantinnen und -repräsentanten eine „Us Versus Them“-Attitude” kreieren („Wir Leistungsträger gegen die anderen, mit ihren unrealistischen New-Work-Ansprüchen“), irgendetwas gewonnen? Das im Grunde einzig Interessante an der Debatte ist die verblüffende Geradlinigkeit, mit der die heute in Amt und Würden stehende Führungsgeneration ihr 50 Jahre altes Weltbild auf die Nachkommen projiziert. Diskurstaktik: „Anpassungsdruck gab’s schon immer. Als Führungskraft musste ich auch andauernd lernen und mich verändern! Egal ob Pandemie, VUCA-Welt, Klimawandel, quer liegende Tanker, irgendwas ist immer.“ Andersherum werde dagegen ein Schuh draus! Wenn die Lage aktuell derart grundstürzend anders sei als bisher, dann gelte doch nur umso mehr: reinhauen und ranklotzen! Jetzt erst recht! Wo ist euer Stolz? Ist auf euch Verlass? (Wer hier den hässlichen Vorwurf des Vaterlandsverräters wittert, liegt wohl nicht falsch.)

Schwenk in die USA: Eine Studie der Cornell University weist aus, dass die Geschichte von der Leistungsschwäche und Bequemlichkeit der Gen Z ein Märchen ist. Worum es der Gen Z (wie auch vielen anderen, älteren Menschen) geht, ist schlicht Zufriedenheit am Arbeitsplatz – die vor allem davon abhängt, wie viel Kontrolle bzw. Entscheidungsautonomie Angestellte haben. Entscheidungsautonomie über inhaltlich-fachliche Fragen der Arbeit ebenso wie über ihre zeitliche und örtliche Arbeitseinteilung. Leistungsbereitschaft korreliert mit Arbeitszufriedenheit. Und Arbeitszufriedenheit korreliert mit diesem Souveränitäts- und Autonomieempfinden.

Vor diesem Hintergrund wirkt die öffentliche Kontroverse um New Work – pardon, Homeoffice, denn genau das wird darunter in einer Verzwergung des Begriffs ja meist verstanden – kurios. Denn steigt die Performance der Mitarbeiterschaft tatsächlich, wenn Mitarbeitende ins Büro zurückgezwungen werden? Wenn Work-Life-Balance relativiert, auf ein „realistisches“ Maß gestutzt wird? Zieht dann wirklich mehr Leistungsdisziplin ein?

Der Ifo-Forscher Jean-Victor Alipour hat beobachtet, dass die derzeit grassierenden „Return to Office & Performance“-Parolen häufig von Unternehmen vertreten werden, die in wirtschaftlichen Schwierigkeiten stecken. Dazu passt, was die Autoren der Cornell-Studie beschreiben: Präsenzpflichten werden ihnen zufolge oft als „Machtmittel“ genutzt und dafür, Beschäftigte für eine „schwache Leistung“ zu bestrafen. Ist der derzeit vielerorts zu beobachtende Rückbau von New-Work-Elementen wie dem Homeoffice demnach eine Disziplinarmaßnahme für Mitarbeitende, die für die erfolgsarme Unternehmensführung der Chefetagen büßen sollen? Geht es dabei also primär um Machtausübung?

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Leider ist die Datenlage hierzulande undurchsichtig. Nehmen wir das aktuelle New-Work-Barometer: Zu New Work äußert sich in dieser Umfrage nur die Blase selbst: New-Work-Praktizierende definieren und bewerten ihre Arbeitsweise. Hier gibt’s also nur den Tunnelblick der Fans. Der ist, wenig überraschend, äußerst positiv: Fast 81 Prozent der Befragten sehen in den nächsten drei Jahren einen erheblichen Bedeutungszuwachs von New Work kommen. 86 Prozent halten New Work für ein wichtiges Zukunftskonzept. Ein Confirmation Bias, Frösche mögen eben Sumpf. Und beim Erfolg von New Work geht es nur um normatives Klein-Kein: Nimmt die Bedeutung von psychologischem Empowerment zu oder ab? Wie kalibriert sich neue Arbeit jeweils auf individueller, Team- bzw. Organisationsebene? Da die Top-Etagen (oder andere, die nicht zur Bubble zählen) gar nicht erst zu Wort kommen, bleiben Machtfragen und -themen hier außen vor. Genau die sind aber entscheidend, wenn es um die unternehmerische Qualifikation und Zukunftsfähigkeit des Konzepts New Work geht.

Mir drängt sich – bei aller empirischen Unklarheit im aktuellen Datenwust – ein Verdacht auf: Die schöne neue Arbeit ist ein Kampfmittel in einem verdeckten ideologischen Krieg (nicht: Konflikt). Es geht um viel. Auf der Seite der Guten stehen die mitarbeiterfreundlichen Bergmann-Fans in alter, frühsozialistischer Tradition, die für die „freie Tätigkeit“ kämpfen, die bereits Karl Marx ausgerufen hat. Auf der Seite der Bösen stehen Vorstandsetagen, die ihre Betriebe gegen zunehmenden Druck globaler Märkte immunisieren und gesamtunternehmerische Interessen bedienen müssen. Dass es hier nicht um Moral, sondern um Durchsetzungsmacht geht, ist offensichtlich; um ökonomische Not, um den Zwang zu Prioritäten. Aber auch um Status und Reputation von Unternehmensspitzen, um das tradierte Sozialgefüge der Entscheidungs- und Leistungseliten der alten Republik. Das ist kein Streit zwischen Freunden, das ist Game of Thrones in der Arbeitswelt.

Der Preis, den das Top-Management derzeit für seine Strategie zahlt, ist hoch: Womöglich verabschiedet sich eine ganze Generation aufgrund von Scheinheiligkeit und machtpolitischen Spielchen tatsächlich ins mentale Wellness-Retreat: „Ich hänge mich in vieles rein, aber sicher nicht in diese toxische Kulisse.“ Ich zumindest könnte das verstehen. Wir haben Arbeitnehmermärkte! Die Mitarbeitenden sitzen derzeit am längeren Hebel. Wäre diese Situation nicht das perfekte Motiv für – zur Abwechslung mal – praktisches Empowerment statt psychologisches? Also für die Delegation von Macht an die, die das Steuer in Kürze ohnehin übernehmen? Geht es nicht genau darum bei New Work? Ja – und das ist wahrscheinlich der wahre Grund dafür, dass das Konzept zerfleddert wird.

Was das New-Work-Barometer ebenfalls zeigt, ist, dass es positiv mit Leistung und Innovation korreliert, wenn eine Firma neues Arbeiten auch als sozialen Prozess jenseits der Homeoffice-Verzwergung akzeptiert und stützt. Deal? Auf „endlich wieder mehr Leistung“ müssten sich doch eigentlich alle verständigen können ...

Friederike Müller-Friemauth ist Co-Inhaberin von „Denken auf Vorrat“, einer Agentur für angewandte Zukunftsforschung, und Professorin an der FOM Hochschule. Sie beschäftigt sich mit langfristigen Veränderungen der Erfolgsfaktoren für Unternehmen. Kontakt: denkenaufvorrat.de

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