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Buchkritik

Uwe Peter Kanning betreibt Aufklärung für Leichtgläubige

Die Gleichung ist einfach: 'Menschen mit gerade sitzenden Ohren haben nur ein geringes Bestreben, sich durch Leistung hervorzutun. Menschen mit tief sitzenden Ohren sind Realisten. Hoch sitzende Ohren spiegeln eine positive Lebenseinstellung ... Wer hätte das gedacht. Da hat man Tag für Tag mit unzähligen Ohren zu tun und würdigt sie keines Blickes, wo sie uns doch so viel zu erzählen hätten.' Die Ohrenkatalogisierung und der spöttische Kommentar dazu entstammen dem neuen Buch 'Von Schädeldeutern und anderen Scharlatanen' von Uwe Peter Kanning.

Der Professor für Wirtschaftspsychologie an der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Fachhochschule Osnabrück hat sich in dem Werk einige Zünfte vorgenommen, die – so fürchtet Kanning – ihre Dienste seit einiger Zeit vermehrt auch im Business-Kontext feilbieten, u.a. zum Zwecke der Personaldiagnostik: Es sind dies neben den 'Schädeldeutern', also Physiognomen, die meinen, aus Gesichts-, Schädel- und Körperform Charaktereigenschaften einer Person herauslesen können, unter anderem auch Grafologen, die angeblich aus dem Schriftbild einer Person deren Charakter erschließen können, Namenspsychologen, die sich rühmen, Persönlichkeitseigenschaften aus dem Namen einer Person ableiten zu können, und Farbdeuter, die nach dem Motto verfahren: 'Sage mir, welche Lieblingsfarbe du hast, und ich sage dir, wer du bist.'

Kanning nennt Ross und Reiter

Kanning hat die esoterischen Lehren analytisch zerpflückt, um ihre Widersprüchlichkeiten und Ungereimtheiten aufzudecken. Er tut das mit beißendem Spott und scheut sich nicht, manchen 'Scharlatan' beim Namen zu nennen, ja regelrecht vorzuführen. Das ist polemisch und sicher nicht jedermanns Geschmack, doch auch verständlich. Gut vorstellbar jedenfalls, dass Kannings Spottlust teilweise auch daher rührt, dass der Autor (selbst Experte zum Thema Personaldiagnostik) wie so mancher seriöse Wissenschaftler zusehen muss, wie ihm geschäftstüchtige Personen mit pseudo- und unwissenschaftlichen Ansätzen in der öffentlichen Wahrnehmung den Rang ablaufen.

Subjektive Deutungen statt Empirie

Wer sich wie Kanning schon lange darüber ärgert, dass es viele Menschen gibt, die den Gurus auf den Leim gehen, der wird daher seine Freude an der ironischen Lektüre haben ­– und manch erhellenden Moment. In seinem Buch liefert der Psychologe reihenweise Argumente dafür, dass hinter all den esoterischen pseudowissenschaftlichen Lehren von Physiognomik bis Farbpsychologie weder eine in sich schlüssige Theorie noch eine empirisch belastbare Methodik stecken: Alles unterliegt letztlich der subjektiven Deutungshoheit der Gurus. Teils mit ganz einfachen Fragen macht Kanning diese Beliebigkeit deutlich: Ab wann z.B. ist ein Ohr – wie es die Physiognomen nennen – 'zu knorpelig'? Ab wann 'passt es nicht zum Kopf'? Wann ist eine Stirn 'zu breit'? Alles klar wie Kloßbrühe, Richtlinien sucht man vergebens.

Ein Kapitel in Kannings Buch mag allerdings auf den ersten Blick erstaunen: das über Körpersprache. Zum Thema Körpersprache gibt es immerhin seriöse Forschung. An der Körpersprache ist zweifelsohne etwas dran. Das schreibt auch Kanning in seinem Buch. Das Problem sei allerdings, so der Autor: 'Neben der realen Wissenschaft von der Körpersprache existiert eine Pseudowissenschaft der Körpersprache.' Diese sei für Laien nicht immer ohne Weiteres von der seriösen Forschung über Körpersprache abzugrenzen. Die 'Pseudo-Körpersprachewissenschaft' jedoch hantiere allzu sehr mit detaillierten Deutungskatalogen, will heißen: weist isolierten Gesten und Ausdrucksweisen spezifische Bedeutungen zu à la 'Menschen, die anderen den Handrücken zudrehen, haben etwas zu verbergen' oder 'Wer die Beine in Richtung einer neben ihm sitzenden Person überschlägt, fühlt sich zu dieser Person hingezogen'.

Alltagsbeobachtungen werden zu Gesetzmäßigkeiten

In der Wissenschaft indes gebe es bislang nichts, was solche dezidierten, verallgemeinernden Deutungen stützen würde. Sie sind bloß Interpretationen bzw. – so Kanning – 'wohlwollend betrachtet, bestenfalls Hypothesen, die erst noch empirisch überprüft werden müssten'. Kanning schreibt, oft sattelten die Deutungen auf schlichten Alltagsinterpretationen auf, wie wir sie alle ständig vornehmen – womit wir allerdings auch ständig in der Gefahr schweben, falschzu- liegen. Die Deutungen aber adeln diese Alltagsinterpretationen nahezu zu Gesetzmäßigkeiten, die dann erst recht nicht mehr hinterfragt werden. Das Zusammenspiel zahlloser Aspekte von Mimik, Gestik und Körperhaltung, der Kontext, die Interaktion mit dem Gegenüber, der soziokulturelle Hintergrund der Person, der Zeitablauf – all das müsste bei der Analyse von Körpersprache eigentlich miteinbezogen werden. Denn wer z.B. sitzt schon stundenlang da, ohne je die Position zu wechseln? Woher aber weiß ein Körpersprachedeuter dann, welche Bewegung schlicht der Suche nach einer bequemeren Lage geschuldet ist und welche aus Sympathie oder Antipathie zum Gegenüber resultiert, fragt Kanning. Aus seiner Sicht hilft es auch nichts, dass sich die Körpersprachedeuter, etwa in Büchern, mit dem Hinweis rückversichern, dass es natürlich immer auch alternative Deutungsmöglichkeiten gebe und die Gesamtsituation zähle. Denn schließlich folgten auf solch eine Versicherung eben doch seitenweise einfache Einzeldeutungen.

Wie viel Relevanz hat das alles tatsächlich?

Kanning liefert eine ganze Bandbreite an Argumenten gegen simple Lehren und eifrige Geschäftemacher, deren Vermarktungsstrategien er mit ebenso viel Verve auseinandernimmt wie ihre Angebote. Fast jede Seite atmet Empörung darüber, dass sich mit der Leichtgläubigkeit der Menschen Geld verdienen lässt. Stellt sich indes die Frage: Welche Relevanz hat das alles tatsächlich im Business? Ist davon auszugehen, dass Personaler, die z.B. schon mal ein simplifizierendes Körperspracheseminar besucht haben, einen Bewerber tatsächlich abweisen, weil er eine verdächtige Handbewegung gemacht hat? Überwiegt nicht vielmehr der schlichte Unterhaltungswert der Angebote? Zahlen dazu gibt es freilich nicht. Kanning selbst hat manch alarmierenden (Einzel-)Fall erlebt: etwa einmal die dreiköpfige Geschäftsführung eines mittelständischen Unternehmens, die bekundete, Außendienstmitarbeiter zukünftig nach Sternzeichen auswählen zu wollen, weil Skorpione im Außendienst am besten seien. Und noch Anfang 2010, Kannings Buch kam da gerade auf den Markt, kündigte die IHK München und Oberbayern – ganz harmlos zwischen EDV- und Bilanzierungskursen – ein zweitägiges Seminar zum Thema Psycho-Physiognomik an. Sie zog das Angebot zwar rasch wieder zurück. Doch zeigt auch dieser Fall: Überflüssig sind Kannings Warnungen offensichtlich nicht.

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