Udo Kords in Speakers Corner
Udo Kords in Speakers Corner

„Der Wert von Fragen wird massiv unterschätzt“

Wertgeschätzt werden in unserer Arbeitswelt Menschen, die immer eine Antwort parat haben, nicht jene, die Fragen stellen. Und wenn hierarchisch höhergestellte Personen in einer Organisation doch Fragen stellen, dann nutzen sie diese häufig nur als Mittel der Kontrolle. Um andere auf Kurs zu bringen oder Druck auf sie auszuüben. Ein Fehler, meint Udo Kords. Der Dozent für Transformationsmanagement ist überzeugt: Durch Verkennung des Wertes, den Fragen tatsächlich haben, geht Unternehmen sehr viel Entwicklungspotenzial verloren.

Oscar Wilde empfahl, dass man sich immer die Zeit nehmen sollte, eine Frage zu stellen, aber nicht immer, eine Frage zu beantworten. Konfuzius hat gesagt: „Wer fragt, ist ein Narr für eine Minute. Wer nicht fragt, ist ein Narr sein Leben lang.“ Und selbst die Sesamstraße ließ ihre jungen Zuschauerinnen und Zuschauer wissen: „Wer nicht fragt, bleibt dumm.“ Doch ungeachtet dieser zeitlosen Einsichten hat die Frage in unserer Gesellschaft – und nicht zuletzt in der Arbeitswelt – einen schweren Stand. Fragen zu stellen, wird nicht als wichtige Kompetenz betrachtet. Die Fähigkeit, Fragen zu stellen, wird nicht gezielt entwickelt. Und Orte, an denen eine Kultur des Fragens gelebt wird, sind schwer zu finden.

Wir leben stattdessen in einer Antwortgesellschaft, die wir auch Wissensgesellschaft nennen. In der wissenschaftlichen Forschung, wo oft eine Frage Ausgangspunkt für ein Forschungsprojekt ist, mag es zwar anders sein, aber ansonsten dienen Fragen selten dem gemeinsamen Lernen. Das gilt insbesondere für das Management in Unternehmen: Wenn Führungskräfte Fragen stellen, dann tun sie das kaum je, um etwas besser zu verstehen. Sie wollen vielmehr Druck ausüben, Aufmerksamkeit ausrichten, Schuldfragen klären.

Nach einer These des Kommunikationswissenschaftlers William Isaacs sind nur rund ein Fünftel aller gestellten Fragen wirkliche Fragen. Der Rest besteht aus verkleideten Aussagen und getarnten Urteilen. Und auch bei den wirklichen Fragen kann noch einmal nach der dahinterstehenden Motivation differenziert werden: Fragen, um zu kontrollieren. Fragen, um Überlegenheit und Wissen zu demonstrieren. Fragen, um Konflikte auszutragen. Hinter der überwiegenden Mehrzahl der Fragen, die wir stellen oder die uns gestellt werden, steht kein ehrliches Interesse an anderen Menschen und neuer Erkenntnis.

Dass viele Führungskräfte Fragen vor allem auf diese Art nutzen – und ansonsten darauf gepolt sind, Antworten zu geben –, erklärt sich nicht zuletzt daraus, dass sie häufig über den langjährigen Beleg von Fachkenntnis auf ihre Position gelangt sind. Sie haben in der Regel das Entscheidungsmonopol oder fordern für sich ein, diejenigen zu sein, die wissen, was richtig ist. Deswegen können sie sich selten bremsen, Lösungen vorzuschlagen, es besser zu wissen, immer eine Antwort zur Hand zu haben. Immerhin bietet jede Frage eines Mitarbeitenden eine willkommene Möglichkeit, die eigene Kompetenz unter Beweis zu stellen und zu demonstrieren, warum man zu Recht eine übergeordnete Rolle bekleidet.

So scheint es in den meisten Organisationen ein stilles Ordnungsverständnis in Bezug darauf zu geben, wer in welchem Kontext Fragen stellt und von wem Antworten gegeben werden. Meistens spielt dabei das hierarchische Verhältnis der beteiligten Personen eine wichtige Rolle: Wer über einer anderen Person steht, darf Wissen abfragen und Antworten auf Entscheidungsfragen geben – wobei dies meist sogar erwartet wird. Eine hierarchisch weiter unten stehende Person muss dagegen einerseits Informationsfragen beantworten können, andererseits aber auch bei Unklarheiten und Entscheidungsangelegenheiten außerhalb festgelegter Kompetenzgrenzen Entscheidungen erfragen. Und unabhängig vom hierarchischen Status gilt: Die gefragte Person sollte im Interesse ihrer Reputation stets in der Lage sein, eine Antwort zu geben. Denn letztlich geht es immer um Antworten. Fragen bleiben Mittel zum Zweck. Fragen zu stellen, hat nicht den Stellenwert einer zu fördernden und anerkennenswerten Fähigkeit. Die Qualität einer Antwort hat gemeinhin ein höheres Gewicht als Beleg für die Kompetenz und Klugheit einer Person als eine gute Frage.

Man könnte jetzt einwenden, dass in diesem Verständnis nun einmal zum Ausdruck kommt, dass es letztlich doch tatsächlich immer um Antworten geht, nicht zuletzt auch deshalb, weil diese einfach wichtiger sind. Eine Frage führt schließlich nicht zum Handeln, erst die Antwort zeigt den Weg. Das ist einerseits richtig, andererseits aber zu eindimensional. Denn was bei dieser Sichtweise weitgehend ausgeblendet bleibt, ist die große Bedeutung von Fragen für die Qualität von Antworten. Gerade dieser Rolle des Fragens aber kommt eine zunehmende Bedeutung zu, wenn in einer Welt, die sich immer schneller wandelt, immer unübersichtlicher und komplexer erscheint, die Anforderungen an Lösungskompetenz kontinuierlich steigen. Es wird immer deutlicher, dass lang bewährte Antworten nicht mehr weiterhelfen, weil sich die Rahmenbedingungen und die Probleme verändert haben und weiter verändern. Es werden neue Perspektiven, neue Denkansätze, neue Lösungskonzepte gebraucht. Und diese haben ihren Ursprung in neuen Fragen.

Fragen sind daher weit mehr als nur ein Instrument zur Informationsbeschaffung, zur Kontrolle oder Machtausübung. Fragen sind vielmehr ein Motor für Lernprozesse. Sie ermöglichen die Nutzung kollektiver Intelligenz. Sie helfen, Beziehungen zwischen Menschen aufzubauen und zu intensivieren, weil sie Ausdruck von gegenseitigem Interesse sind. Sie können die Motivation verbessern, wenn Mitarbeitende durch unvoreingenommene und von wirklichem Interesse geprägte Fragen partizipieren können, sich wertgeschätzt und gesehen fühlen. Fragen können die gemeinsame Aufmerksamkeit auf neue wichtige Themen lenken. Sie können die Kreativität fördern. Sie können zum Prüfstein dafür werden, ob das Bestehende eine Chance auf Bestand hat und welche besseren Handlungsoptionen es gibt. Eine offene Fragekultur ermöglicht, zu verstehen, was im Unternehmen wirklich vor sich geht. Sie macht es möglich, die aktuell vorherrschende Gedankenwelt zu verlassen, eingefahrene Denkweisen zu verändern und neue, möglicherweise hilfreichere Perspektiven, aus denen eine Problemstellung betrachtet werden kann, zu entdecken.

Anzeige
Lernen, lehren, begeistern
Lernen, lehren, begeistern
Eine fundierte Train-the-Trainer-Ausbildung verbindet Didaktik, Persönlichkeit und Neurodidaktik. Dieses Buch bietet Know-how, Methoden und Impulse für eine erfolgreiche und sinnstiftende Trainertätigkeit.

Fragen eröffnen damit Handlungsmöglichkeiten, oder, um es ein wenig pathetischer zu formulieren, kreieren neue Welten. Diese Wirkung können sie aber nur entfalten, wenn ihr Wert erkannt wird – und wenn dann Räume entstehen, in denen Fragen mit Interesse, Offenheit und Unvoreingenommenheit begegnet wird. Räume in denen Menschen aus unterschiedlichen Hierarchieebenen, Unternehmens- und Fachbereichen zusammenkommen, um – gleichberechtigt und ohne Scheu vor negativen Konsequenzen – Fragen zu stellen, Unwissenheit zu zeigen, bestehende und neue Sichtweisen zur Diskussion zu stellen. Eine neue Fragekultur mit den dafür erforderlichen Kommunikationsräumen wird in Organisationen aber nur dann entstehen können, wenn die Entscheidungsträger eine neue Haltung gegenüber Fragen und damit eine neue Haltung gegenüber dem Lernen, der positiven Kraft von Meinungskonflikten und dem eigenen Unwissen einnehmen. Doch solch eine Haltung, die die Frage als Werkzeug von Lernen und Entwicklung wertschätzt, kann nicht verordnet werden; sie muss sich entwickeln.

Der erste Schritt besteht, wie in jedem Entwicklungsprozess, darin, sich der Bedeutung von Fragen und dem eigenen Umgang mit Fragen bewusst zu werden, zu verstehen, wie man selbst agiert und reagiert. Welche Fragen man beispielsweise aus welcher Motivation heraus in einem Feedbackgespräch mit Mitarbeitenden stellt. Wen man wann aus welchen Gründen fragt, und welches Selbstverständnis hinter diesen Verhaltensweisen steht. Unterstützt werden kann dieser Prozess der individuellen Selbstreflexion dadurch, dass in Organisationen die Kommunikationskultur zum Untersuchungsgegenstand gemacht und ein offener Dialog darüber initiiert wird, wie miteinander kommuniziert wird und welche Faktoren kollektive Lernprozesse blockieren. Fragen zu stellen, ist eine zentrale Fähigkeit, die nur über individuelle Haltungsveränderung und organisatorischen Kulturwandel aufgebaut werden kann. Damit wird die Art, wie mit Fragen umgegangen wird (und deren Veränderung), zu einem Indikator für die Kommunikationskultur in einer Organisation und die Fähigkeit, grundlegende Transformationsprozesse zu initiieren und durchzuführen.

Udo Kords ist Unternehmensberater und Investment Director bei der PRA Group. Der promovierte Politikwissenschaftler ist außerdem als Dozent für Nachhaltigkeitstransformation an der European University of Applied Sciences– in Hamburg tätig. Kontakt: bit.ly/4mCcIna

Vielen Dank für Ihr Interesse an diesem kostenfreien Artikel der Zeitschrift managerSeminare!

Sie möchten regelmäßig Beiträge des Magazins lesen?

Für bereits 10 EUR können Sie die Mitgliedschaft von managerSeminare einen Monat lang ausführlich testen und von vielen weiteren Vorteilen profitieren.

Wir setzen mit Ihrer Einwilligung Analyse-Cookies ein, um unsere Werbung auszurichten und Ihre Zufriedenheit bei der Nutzung unserer Webseite zu verbessern. Bei dem eingesetzten Dienstleister kann es auch zu einer Datenübermittlung in die USA kommen. Ihre Einwilligung bezieht sich auch auf die Erlaubnis, diese Datenübermittlungen vorzunehmen.

Wenn Sie mit dem Einsatz dieser Cookies einverstanden sind, klicken Sie bitte auf Akzeptieren. Weitere Informationen zur Datenverarbeitung und den damit verbundenen Risiken finden Sie hier.
Akzeptieren Nicht akzeptieren
nach oben Nach oben