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Übersicht AnsprechpartnerBeitrag von Sylvia Jumpertz aus managerSeminare 326, Mai 2025
Führung als Dienst an der Gemeinschaft, als inspirierende Kraft, die zur Erreichung höherer Ziele motiviert – im modernen Leadership-Diskurs wird ein solches transformationales Modell von Leadership häufig bürokratischen, formalisierten und transaktionalen Modellen als weit überlegen dargestellt. Einer, der solche „Managementmoden“ seit Jahren beforscht, ist der Organisationssoziologe Stefan Kühl. Furcht davor, mit unpopulären Einlassungen aufzufallen, hatte Kühl noch nie. Bereits in den 1990er-Jahren wies er in seiner Publikation „Wenn die Affen den Zoo regieren“ auf die Tücken der schon damals gehypten flachen Hierarchien hin.
Chefseminar in Bad Harzburg mit dem ehemaligen NS-Ideologen Reinhard Höhn im Jahr 1965.
Ahrens-Archiv/Bad Harzburg-StiftungKühls neuestes Buch heißt „Führung und Gefolgschaft“ und reiht sich ein in sein langjähriges Projekt, Managementkonzepten, die oft unkritisch als Lösung sämtlicher Organisationsprobleme propagiert werden, auf den Zahn zu fühlen. Aufhänger ist der Fall Reinhard Höhn. Höhn war mit seiner Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft in Bad Harzburg und dem von ihm entwickelten „Harzburger Modell“ Ausbilder Hunderttausender deutscher Führungskräfte der Nachkriegszeit – so lange, bis der Spiegel Ende der 1970er-Jahre über Höhns Vergangenheit als Größe im NS-Staat berichtete. Angesichts dessen schaute man zunehmend kritisch auf sein Führungsmodell, vermutete hinter der personellen Kontinuität auch eine inhaltliche. Kühl indes legt mit seinem Buch dar, dass das Harzburger Modell das Gegenteil der NS-Führungsideologie war: ein durch und durch transaktionales, formalistisches Modell von Führung, das im Kern auf die Steuerung von Mitarbeitenden über Zweckprogramme und die Delegation von Verantwortung, allerdings bei engen Kontrollen, setzte. Vor allem als neue Leadership-Ideen aus den USA nach Deutschland schwappten, wurde das Modell (auch jenseits der NS-Problematik) ob seiner Starrheit kritisiert. Höhns größtes Problem dabei, laut Kühl: Als ehemaligem NS-Funktionär, der sich keinesfalls in den Verdacht bringen durfte, noch in irgendeiner Form nationalsozialistischem Gedankengut anzuhängen, war es ihm unmöglich, an die „modernen“ Führungsideen anzuknüpfen. Der Grund: Sie erinnerten schlicht zu sehr an die des NS-Staates.
Denn Führung via Inspiration, Charisma, Sinn und der Erweckung des Gemeinschaftsgeistes gehörte, wie Kühl anhand zahlreicher Dokumente der NS-Zeit belegt, zum Führungsideal der Nazis, ob in Politik oder Wirtschaftsorganisationen. Einem Ideal, dem sie das „Management“ als bürokratische, formalisierte, weniger zielführende Führungsform entgegenstellten (auch wenn das nicht heißt, dass in der NS-Realität nicht auch bürokratisch und formalisiert geführt worden wäre).
Wie Kühl unmissverständlich verdeutlicht, gibt es natürlich keine ideologischen Gemeinsamkeiten von Nazi-Führungslehre und modernen transformationalen Führungsideen. Was heute als guter Purpose verstanden wird, ist etwas anderes als das, was die Nazis darunter verstanden. Doch mit seinem Rückgriff auf ein historisches Extrembeispiel zeigt Kühl einmal mehr: Auch Konzepte, die so durchweg Zustimmungsfähiges propagieren wie die Stärkung der Gemeinschaftsidee oder die Orientierung an einem höheren Sinn, können nach hinten losgehen. Denn jedes Managementkonzept hat seine eigenen Schwächen und Fallstricke. Genauso gilt indes: Auch die heute oft diffamierten durchbürokratisierten Formen von Führung haben nicht nur Schwächen und Fallstricke. Vielleicht kann man es am Boom des ohne Purpose und Co. auskommenden Harzburger Modells in den frühen Nachkriegsjahren ablesen: Es gibt auch für sie gute Begründungen.