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Pro und Contra

Hat sich Bologna in Luft aufgelöst?

Vor zehn Jahren ist die Reform des Hochschulsystems verabschiedet worden. Sie sollte die studentische Mobilität in Europa erhöhen und die Studienzeiten verkürzen, um Unternehmen schneller den ersehnten Nachwuchs zu bescheren. Das Konzept: Die Mehrheit der Studenten sollte mit Bachelor-Abschluss rasch ins Berufsleben einsteigen, der darauf aufbauende Master-Abschluss war gedacht für einige wenige. Der Plan ging bislang nicht auf. Ein Signal für das Scheitern der Reform?

Pro: 'Die Beteiligten haben die verunglückte Reform abgeschafft – zum Glück' von Christian Scholz

Mit der Bologna-Reform verhält es sich wie mit dem Schokoriegel-Werbespruch: 'Raider heißt jetzt Twix, sonst ändert sich nix.' Denn wir stehen fast wieder dort, wo wir schon vor zehn Jahren waren. Nehmen wir die Studierenden. Sie gehen mehrheitlich nach dem Bachelor sofort in den Master – und zwar ohne den eigentlich vorgesehenen Fach- und Hochschulwechsel. Nur: Jetzt brauchen sie dafür länger, lernen weniger und haben weniger Spaß am Studium als in Zeiten der alten Diplomstudiengänge. Dann die Unternehmen: Von speziellen Angeboten für Bachelor will hier niemand mehr etwas wissen. Für Unternehmen gibt es wie früher die einheitliche Klasse 'Akademiker', in der man die Absolventen mit der besten Qualifikation sucht und sich deshalb im Regelfall für jene mit Diplom oder ersatzweise Mastertitel entscheidet.

Dann sind da noch die zentralistischen Universitätspräsidenten, die ihren Rückzug aus Bologna am stärksten kaschieren wollen, weil sie ehemals den meisten Druck gemacht haben. Sie versprechen spätestens dann, wenn sie bei ihrer Wiederwahl die Stimmen der Studierenden brauchen, jedem Bachelor seinen Masterplatz und bewegen sich damit zurück in die Welt der faktischen Einstufigkeit. Nur: Wozu dann die ganze Verunsicherung durch die ursprüngliche Regelung, wonach nur ein kleiner Teil der Bachelor als wissenschaftliche Elite zum Master zugelassen werden sollte? Der Bologna-Irrweg hat viele Milliarden gekostet, der deutschen Wirtschaft geschadet und Hunderttausende Studierende frustriert. Doch zum Glück bewegen wir uns faktisch in die Welt der sowieso schon weitgehend bolognakompatiblen Diplomstudiengänge zurück. Die kollektive Schwarmintelligenz vieler Realisten beginnt sich gegen die Realitätsferne deutscher Bologna-Bürokraten durchzusetzen. Das stimmt positiv in Richtung auf die Vision 'Europa als Verbund von Vielfalt'.

Professor Dr. Christian Scholz ist Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken und Gründungsdirektor der wirtschaftswissenschaftlichen Sektion des dortigen Europa-­Instituts.
Kontakt: scholz (at) orga.uni-sb.de


Contra: 'Bologna ist nicht gescheitert, sondern hat ein Akademisierungsfeuer entfacht' von Thomas Sattelberger

Das deutsche Hochschulsystem ist im Jahr dreizehn der Bologna-Reform immer noch durch eine ideologisch gefärbte Debatte gelähmt, in der die wahren Motive oft hinter einem Dunst aus Idealen einer vergangenen Epoche verborgen sind. Die deutschen Universitäten haben im Unterschied zu vielen Fachhochschulen viel zu spät und ohne Herzblut ihre Studiengänge umgestellt. Nun jammern mit den Professoren genau diejenigen über die Defizite der Studienpläne, die den Stoff in viel zu kleinteilige Lehrmodule zusammengepresst haben. Sie aber sind es, die die Entscheidungskompetenz über die Inhalte und die Reforminstrumente in der Hand haben. Welch eine Farce!

Die Wirtschaft hat bereits früh die entscheidenden Vorteile der Reform erkannt und seit 2004 mit der Bachelor-Welcome-Initiative den Prozess unterstützt. Zahlreiche Studien bestätigen, dass Bachelor- und Masterabsolventen nicht nur in der Mitte des Arbeitsmarktes angekommen, sondern dass sie auch hochzufrieden mit dem Studium sind. 70 Prozent aller größeren Unternehmen haben inzwischen Bachelor eingestellt. Aktuell sind dort bis zu zwei Drittel aller Neueinstellungen Bachelorabsolventen. Deutlich mehr Studierende als früher schließen in der Regelstudienzeit ihr Studium ab. Die Absolventen senken so ihre Bildungsausgaben und erhöhen ihre individuelle Bildungsrendite. Gerade für junge Menschen aus nicht akademischen Elternhäusern sind die kürzeren Studiengänge mit praxisnahen Inhalten attraktiv. Die gestiegene Studierneigung – inzwischen studiert fast die Hälfte eines Jahrgangs, vor Bologna war es ein Drittel – zeigt, welches Akademisierungsfeuer durch Bologna entfacht wurde. Ist es demnach nicht doch die Angst um den Verlust einer überkommenen bildungsbürgerlichen Universitätswelt, die die Bologna-Kritiker umtreibt? Warum fällt es den Universitäten im Unterschied zu den Fachhochschulen so schwer, passende Studienprogramme für die wachsende Zahl von beruflich Qualifizierten ohne Abitur berufsbegleitend anzubieten und für in Teilzeit Studierende, für junge Mütter mit Kindern, für Menschen mit Migrationshintergrund? Die Welt draußen wird diverser und drängt in die Hochschulen. Dem endlich Rechnung zu tragen, ist ein Gebot der Bildungsgerechtigkeit.

Thomas Sattelberger war bis Frühjahr 2012 Personalvorstand der Deutschen Telekom AG. Er ist Vorsitzender des Arbeitskreises Hochschule/Wirtschaft der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, des Bundesverbandes der Deutschen Industrie und der Hochschulrektorenkonferenz sowie Sprecher der Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA).
Kontakt: bildung (at) arbeitgeber.de

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