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Debatte auf dem Zukunftsforum Personal

Vom Glanz und Elend der Macht

Macht ist schön. Und Macht ist schrecklich. Auf jeden Fall aber ist Macht ein Thema, das aus der Dunkelkammer herausgeholt und diskutiert werden muss, wenn Unternehmen zukunftsfähig bleiben wollen. Dieser Meinung war man beim diesjährigen Zukunftsforum Personal. Und tatsächlich: Auf der Veranstaltung entspann sich eine offene Debatte über Fragen der Macht.

120:70 statt 180:120. Was das ist? Die Blutdruckwerte von Thomas Sattelberger. Nach seiner Zeit als Personalvorstand der Deutschen Telekom. Und während seiner Zeit als Personalvorstand. Der ehemalige Topmanager erzählte einem rund 200-köpfigen Publikum von der Verbesserung seines Gesundheitszustandes Mitte September 2014 auf dem Zukunftsforum Personal in Bonn.

Das Thema der Veranstaltung lautete 'HR 4.0'. Es ging um Innovation. Es ging um organisationale Resilienz. Und es ging um Fragen der Macht. Mit denen hatte Sattelbergers Blutdruck mehr zu tun, als man meinen könnte. Denn die veränderten Werte des Personalprofis stehen für eine wesentliche Veränderung in seinem Leben. Genau genommen stehen sie für einen Verlust: den Verlust der institutionalisierten Macht, die Sattelberger bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2012 innehatte.

Der Abschied davon war für ihn eine so befreiende wie auch schwierige Erfahrung. Schwierig deshalb, weil mit dem Machtverlust plötzlich auch das Steuerrad weg war. 'Mir fehlte der Apparat, der mir bisher geholfen hatte, meine Themen zu treiben', drückte Sattelberger es aus. Stattdessen war erstmals Netzwerken auf Augenhöhe angesagt, um die Dinge, die ihm am Herzen liegen, weiter vorantreiben zu können. 'Das musste ich erst mühsam lernen', bekannte der Ex-Manager.

Fehlentscheidungen aufgrund von Loyalitätskonstrukten

Auf der anderen Seite war aber auch der hohe Blutdruck weg –  was einiges darüber verrät, dass auch die Zeit mit der Macht ihre Schattenseiten hatte. 'Der hohe Blutdruck war der Preis, den ich für die Macht bezahlt habe', meinte Sattelberger. Denn Macht bedeutet eben immer auch Druck. Mit Grausen erinnerte sich Sattelberger zum Beispiel an den Druck, in geschlossener Reihe mit den Vorstandskollegen mitmarschieren zu müssen. 'Und zwar auch, als mir selbst längst klar war, dass der Kurs, auf den wir uns eingeschworen hatten, ein falscher war.' Sich an seine Zeit als Personalvorstand beim Automobilzulieferer Continental erinnernd, gestand Sattelberger ein: 'Ich habe eine meiner schlimmsten Fehlentscheidungen in so einem Loyalitätskonstrukt getroffen.'

Sattelberger war nicht der Einzige, der Klartext redete über solche negativen Seiten institutionalisierter Machtausübung. Zur Elefantenrunde Ehemaliger, in der er auf dem Podium saß, gehörten auch die Ex-SAP-Personalchefin Angelika Dammann und der ehemalige Lufthansa-Personalvorstand Stefan Lauer. Lauer sprach sehr offen über den Drang vieler Spitzenmanager, die eigene Positionsmacht  abzusichern – einen Drang, dem auch er selbst in seiner Laufbahn nicht immer habe widerstehen können: 'Hat sich jemand auch nur einmal eine kleine Illoyalität zuschulden kommen lassen, dann habe ich ihn den Schreibtisch räumen lassen. Heute würde ich mich für so etwas gern entschuldigen.'

Viele Entscheidungen von Topmanagern werden eher aus einer Macht- denn aus einer Sachlogik heraus getroffen, räumten die drei Ehemaligen auf dem Podium ein. Und auch, dass an der Spitze manchmal die für viele Entscheidungen nötige Bodenhaftung fehle. Jedenfalls bekannte sich Thomas Sattelberger dazu, dass ihm im Topmanagement zuweilen die Sensorik dafür abhanden gekommen sei, was innerhalb und außerhalb der Firma jenseits seiner Sphäre passierte. Das lag, so Sattelberger, auch daran, dass Spitzenmanager in ihrer Machtposition extrem abgeschottet sind – und sich oft auf die Diens­te ihrer Zuarbeiter verlassen: 'Als Mächtiger bist du eingehüllt von Hofschranzen. Du bekommst dein Briefing und liest dann in der Situation nur einen Zettel ab.'
 
Das Interessante an diesen Enthüllungen war, dass hier nicht etwa Fehlgeleitete sprachen, die in einer öffentlicher Beichte endlich einmal ihre außergewöhnlichen Sünden loswerden wollten. Sattelberger und Co. redeten lediglich offener, als man es sonst von Managern kennt, über die Nebenwirkungen klassischer hierarchischer Strukturen. Ihr sehr persönlicher Rückblick auf Glanz und Elend der Macht half vor allem, eines zu verstehen: dass Unternehmen im Großen werden nachvollziehen müssen, was die pensionierten Manager im Kleinen erlebt haben. Nämlich den Verlust von Macht, beziehungsweise, im Fall der Unternehmen: den gezielten Abbau von institutionalisierter Macht. Denn an dieser Macht prallt vieles ab, was Firmen heute, unter den Bedingungen einer volatilen Wirtschaft, dringend brauchen: Kreativität und Innovationsgeist, Mitarbeiter, die mitreden und mitgestalten, freier Meinungs- und Wissensaustausch.

Streitfrage: Wie viel Hierarchieabbau muss sein?

Die Frage ist nur: Wie viel Hierarchieabbau wird in Zukunft nötig sein, damit Unternehmen offen, flexibel, agil und damit innovativ und resilient werden können? Braucht es dazu die völlige Hierarchielosigkeit? Auf dem Zukunftsforum Personal gab es Stimmen, die genau das meinten. Eine davon gehörte beispielsweise Holm Friebe, der sein Unternehmen, die Zentrale Intelligenz Agentur in Berlin, gemeinsam mit Freunden gegründet hat. Friebe ist stolz darauf, dass er mit ihnen bis heute ein Business ganz auf Augenhöhe betreibt. Und das sehr erfolgreich.

Doch inwieweit ist totale Hierarchiefreiheit in den hochkomplexen Strukturen großer Unternehmen möglich? Nach Sattelbergers Einschätzung mag die Lösung für viele eher in einer Hierarchiearmut als in der totalen Hierarchielosigkeit liegen. Diese Sichtweise fand auch die Zustimmung derer, die sich mit der Vorstellung komplett hierarchiefreier Firmen aus einem bestimmten Grund schwertun. Stefan Lauer beispielsweise gehört zu dieser Fraktion. Der ehemalige Lufthansa-Personalchef warnte davor, dass sich Unternehmen unter solchen Bedingungen in Endlosdebatten verlieren könnten. Dann verlieren sie am Ende genau das, worauf es ihnen eigentlich ankommt: ihre Fähigkeit, schnell und flexibel zu reagieren und Marktchancen wahrzunehmen, meinte Lauer.

'Wir brauchen mehr Eulen'

Geht es also doch nicht ganz ohne Macht? Aus Sicht des Organisationsberaters und Coachs Wolfgang Looss, der auf dem Zukunftsforum Personal einen Vortrag hielt, geht es jedenfalls nicht ohne Formen der Machtausübung. Auch dann nicht, wenn institutionalisierte Macht reduziert wird oder wegfällt. Macht ist laut Looss eine Eigenschaft, die in Beziehungen immer wieder aufs Neue sozial konstruiert wird. 'Sie ist in einer Beziehung dann vorhanden, wenn eine Seite die Verfügungsgewalt über Ressourcen besitzt, die von der anderen Seite begehrt werden', so der Berater. Wer in einem komplexen sozialen Gefüge, in dem Macht dynamisch fließt und immer wieder neu verteilt wird, temporär eine Führungsrolle übernehmen, wer ein Projekt anstoßen, eine Innovation umsetzen will, der muss demnach den Umgang mit Macht lernen. 'Denn politisches Handeln ist unter solchen Bedingungen unverzichtbar für alle Arten von Implementierungen', betonte Looss.
 
Vor allem auf das HR-Management sieht der Berater hier große Herausforderungen zukommen. Denn es muss dafür sorgen, dass politische Skills gesichtet und ausgebaut werden – auch schon auf den mittleren Ebenen. Was darüber nicht aus dem Blick geraten dürfe, sei allerdings, dass sich Machtbewusstsein und politische Skills mit Integrität paaren müssen. 'Wir brauchen mehr Eulen', erklärte Looss in Anlehnung an eine Typologie von Simon Baddeley und Kim James. Eulen sind demnach politisch wache und gleichzeitig selbstreflektierte, wertegeklärte Typen. Im Gegensatz zu 'Füchsen', die zwar politisch wach sind, ihre Kompetenzen aber zu egoistischen Zwecken einsetzen. Ob künftig mehr Eulen als Füchse in den Unternehmen anzutreffen sein werden, wird vermutlich auch davon abhängen, wie offen in den Firmen über Fragen der Macht diskutiert wird – und zwar auch unter denen, die ihre Karriere noch lange nicht hinter sich haben.

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