Akademie-Symposium 2016

Wenn sich Führungskräfte neu erfinden

Die Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft ist 60 Jahre alt geworden. Mit einem Symposium in Köln hat sie Ende November 2016 ihr Jubiläum gefeiert. Freilich gab es auch Rückblicke, im Mittelpunkt stand aber die Zukunft: das Thema Führung 4.0.

Ein Beitrag von Sylvia Jumpertz und Nicole Bußmann

Das Chart an der Wand weckt bei den etwa 25 Führungskräften im Raum Jugenderinnerungen: Zu sehen ist Nena als Bravo-Starschnitt. Einst zierten Poster wie dieses die Jugendzimmer, man sammelte Ausgabe um Ausgabe Fotoausschnitte und setzte sie zusammen, bis der Star Kontur annahm. Das Ziel im Workshop ist ähnlich. Der Star, der jetzt allerdings Kontur annehmen soll, ist kein Promi, sondern etwas denkbar Postheroisches: die Führungskraft 4.0. Workshopleiterin Friederike Müller-Friemauth nennt sie den "liquid leader".

Um die Führungskraft 4.0 geht es heute schon den ganzen Tag. Die Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft hat ins Kölner Hyatt Regency Hotel eingeladen, um gemeinsam mit Partnern und Kunden im Rahmen ihres zehnten Symposiums ihr 60-jähriges Bestehen zu feiern. Gemäß des historischen Anlasses lässt der Weiterbildungsanbieter aus Überlingen durch Gastredner Artur Wollert auf sechs Dekaden Führungskräfteentwicklung zurückblicken. Doch so interessant die Vergangenheit auch sein mag, schnell wird klar: Es ist die Zukunft, die unter den Nägeln brennt.

Welche Herausforderungen diese für Führungskräfte bereit hält, fasst Julia Sander, Vorstandsmitglied der COGNOS AG – des Bildungskonzerns, zu dem die Akademie für Führungskräfte gehört – in ihrer Eröffnungsansprache so zusammen:

+ Die Prozesse werden durch die Digitalisierung immer schneller. + Die Arbeitsbeziehungen müssen – auch auf Distanz – immer intensiver werden. + Die Arbeitsstrukturen werden komplexer. Auch in kultureller, werteorientierter Sicht. + Tradierte Rollenverständnisse werden aufgehoben. Es wird nötig sein, je nach Bedarf in Führung zu gehen – und wieder zurück in die Reihe. + Motivieren tritt an die Stelle von Kontrollieren. + Das Verhalten und die Wirkung von Führungskräften wird transparenter werden. + Vertrauensbildung und Kommunikation sind Schlüsselbegriffe.

Wie die Zukunft aussehen könnte, ist das Thema im Workshop „Liquid Leader – Führen im Netzwerk“. Organisationsentwicklerin und Zukunftsforscherin Müller-Friemauth zeigt den Teilnehmern zum Einstieg ein paar Ausschnitte aus dem Dokumentarfilm Augenhöhewege. Zu sehen sind Szenen aus der Firma Saint Gobain Performance Plastics Rencol UK in Bristol. Das Unternehmen hat bereits heute die klassischen Hierarchien abgeschafft. Zusammengearbeitet wird im Netzwerk, auf Augenhöhe. Im Film reden Firmenchef Alexander Maier und die anderen Führungskräfte offen über die Vorteile dieser neuen Form der Zusammenarbeit, aber auch über Schwierigkeiten, gemischte Gefühle, eigene Ängste, die dadurch heraufbeschworen werden. „Was bleibt von mir, wenn mein Titel weg ist? Kann ich jetzt noch mein Gehalt, meine Bezüge rechtfertigen?“, fragt sich einer. Und auch diese Überlegung geht ins Mark: „Vielleicht werde ich keinen Platz mehr haben in der neuen Organisation, die ich mir wünsche.“

Film aus, Licht an – im Raum steht die entscheidende Frage: Was heißt das für mich als Führungskraft? Wo sehe ich mich im Jahr 2030? Also dann, wenn wahrscheinlich nicht nur ein paar Ausnahme-Firmen neue Wege gehen, sondern ein Großteil der Unternehmen – weil die schnelllebigen, disruptiven Zeiten, das komplexe Umfeld nichts anderes mehr zulassen?

Was soll aus mir mal werden? – Die Frage haben sich die Anwesenden vermutlich zum letzten Mal gestellt, als sie die Bravo-Starschnitte von den Wänden ihrer Jugendzimmer knibbelten. Als junge Berufsstarter. Jetzt stellt sie sich wieder: 40-, 50-jährige Chefs müssen sich neu erfinden. Müssen klären, welchen (Mehr-)wert ihre Rolle als Leader überhaupt noch hat in einer Organisation, in der ein Großteil von dem, wofür Chefs früher mal bezahlt worden sind, wegbricht – das Planen, das Richtung vorgeben, das Anleiten und Kontrollieren. „Es ist eines der best gehüteten Geheimnisse, ob Führungskräfte das überhaupt wollen“, sagt Müller-Friemauth und ergänzt: „Niemand hat gelernt, wie man in einem Netzwerk führt.“

Die Kontur der Führungskraft anno 2030, die die Workshop-Teilnehmer in Kleingruppen à la Bravo-Starschnitt an Flipcharts herausschälen, ist denn auch bunt, etwas diffus, noch kontursuchend. Begriffe, die immer wieder auftauchen sind: Loslassen, (Selbst)Vertrauen, Respekt und Wertschätzung leben, Individualität zulassen, Mitarbeiter entscheiden lassen, Irritation zulassen, Musterbrüche suchen, Stärken stärken, Mut machen und selbst mutig sein und vor allem: sich immer wieder reflektieren.

„Der Job wird umfassender und komplizierter als er es je war“, konstatiert Akademie-Leiterin Lucia Sauer Al-Subaey einige Tage nach dem Symposium im Telefoninterview. Auch für die Akademie für Führungskräfte wird es damit komplizierter. Auch sie muss sich die Frage stellen, was in Zukunft aus ihr werden soll: Mit welchen Inhalten, welchen Formaten lässt sich der Bedarf der Unternehmen heute und in Zukunft decken?

Klar ist: Offene Seminare zu Standard-Themen nach dem Motto „One Size fits it all“ verlieren an Bedeutung. Sauer Al-Subaey sieht die Aufgabe der Akademie darin, Unternehmen und Führungskräften als Partner von außen Content für selbstbestimmte Weiterentwicklung zu liefern bzw. ad hoc Hilfen zu bieten – etwa in Form von Coaching und Einzelberatungen oder Expertise bei Inhouse-Entwicklungsvorhaben. Inhaltlich sieht die Akademie-Chefin den größten Bedarf zum einen beim Thema Führung unter komplexen Bedingungen, zum anderen beim Thema Persönlichkeit. Denn, so Sauer Al-Subaey: „Loszulassen und Verantwortung abzugeben ist eine schwierige Sache. Und etwas nicht zu wissen, ist gerade für deutsche Führungskräfte immer noch schwer zu ertragen. Die Erlaubnis dazu muss man sich erst mal geben können. Und das geht nur, wenn man eine starke Persönlichkeit entwickelt.“

Eine Persönlichkeit, die auch die Größe hat, ihren eigenen Weg zu gehen, sich nicht verbiegen zu lassen. „Willst du perfekt sein? Oder perfekt du sein?“ steht am Ende des Workshops auf einem der Flipcharts. Ein Spruch, der spontan großen Beifall findet – und das zum Ausdruck bringt, was schon Gastredner Artur Wollert zum Symposiumsstart in etwas anderen Worten auf den Punkt gebracht hat: „Die ideale Führungskraft existiert nicht“, erteilte der ehemalige Personalmanager und heutige Honorarprofessor der Uni Karlsruhe (KIT) sämtlichen Patentrezepten eine Absage.

Und doch gibt es Wollert zufolge einen entscheidenden Ankerpunkt: Eine wirklich gute Führungskraft bringt auch in Zukunft Gewinnorientierung und Menschlichkeit in Einklang. Denn, so der Führungsexperte: „Ohne Wirtschaftlichkeit schaffen wir es nicht. Ohne Menschlichkeit ertragen wir es nicht.“

30.11.2016
Wir setzen mit Ihrer Einwilligung Analyse-Cookies ein, um unsere Werbung auszurichten und Ihre Zufriedenheit bei der Nutzung unserer Webseite zu verbessern. Bei dem eingesetzten Dienstleister kann es auch zu einer Datenübermittlung in die USA kommen. Ihre Einwilligung bezieht sich auch auf die Erlaubnis, diese Datenübermittlungen vorzunehmen.

Wenn Sie mit dem Einsatz dieser Cookies einverstanden sind, klicken Sie bitte auf Akzeptieren. Weitere Informationen zur Datenverarbeitung und den damit verbundenen Risiken finden Sie hier.
Akzeptieren Nicht akzeptieren
nach oben Nach oben