Zukunft Personal Europe 2022

Konzepte gegen den Mangel

Mittwoch, 14. September 2022, halb zehn Uhr vormittags: Auf der Keynote Stage der Messe Zukunft Personal Europe in Köln sind noch die Blue Collar Worker zu Gange. Auf einer Leiter mitten auf der Bühne arbeiten sie daran, eine undichte Stelle im Hallendach zu kitten, durch die es eben noch hereingeregnet hat. Auch sonst hat die erste Keynote am zweiten Messetag mit ein paar Startschwierigkeiten zu kämpfen: Hier sollen gleich drei HR-Profis über „Arbeit im Überfluss und die Mangelware Mensch“ diskutieren. Doch einer von ihnen, der wissenschaftliche Direktor des Instituts für Public Management (ifpm) der FOM Hochschule, Gottfried Richenhagen schafft es – eben wegen der „Mangelware Mensch“ – nicht rechtzeitig auf die Bühne. Der Shuttle-Bus zu den Messehallen kam nicht, der Professor musste sich im strömenden Regen zu Fuß auf den Weg machen.

HR-Pain-Point Nummer eins: Arbeitskräftemangel

Man nimmt die kleinen Bugs mit Humor, und doch kann man sie auch als Metapher für den Hintergrund deuten, vor dem die ZP Europe diesmal stattfindet. „Schlechte Bedingungen im Überfluss“, bringt es Inga Dransfeld-Haase, Mit-Diskutantin in der Plenumsrunde und Präsidentin des Bundesverbandes der Personalmanager:innen, auf den Punkt. Von der Noch-Pandemie über den Krieg, die Energiekrise, die Inflation und die Klimakrise bis hin zum akuten HR-Pain-Point Nummer eins, dem Arbeitskräftemangel, sieht sich das Personalmanagement mit einer geballten Ladung Ungemach konfrontiert. Christina Bösenberg, Managing Director beim BCG-Unternehmen Brighthouse, spricht in ihrem Vortrag von Stapelkrisen, die sich zu einer komplexen Gemengelage addieren.

Foto: Spring Messe Management GmbH

Der düstere Background verhindert allerdings nicht, dass die Messe ihrem Motto „Celebrating Connections“ gerecht wird. 500 Aussteller verteilen sich auf zwei Hallen mit insgesamt 30.000 Quadratmetern Fläche. Weniger freilich als in Vorpandemie-Zeiten, als 2019 noch 770 Aussteller in vier Hallen 40.000 Quadratmeter belegten. Der Unterschied zur aufgrund der Corona-Pandemie hybrid stattfindenden Vorjahresveranstaltung – die ohne klassische Messestände, mit einem Bruchteil analog anwesender Anbieter und sehr wenigen Besuchern auskommen musste – könnte dennoch kaum größer sein. 16.095 Menschen, auffallend viele junge, finden den Weg in die Kölner Messehallen (2019 waren es über 20.000). Es ist wieder laut, es ist wieder bunt. Die Anbieter locken mit Goodies aller Art und die Messe mit neuen Programmpunkten, die die Konnektivität ihrerseits fördern und feiern sollen. Etwa den Culinary Talks, bei denen auf der Bühne gekocht, gleichzeitig über HR-Themen parliert und anschließend das Publikum verköstigt wird.

Auch die Aussteller profitieren von der Freude an persönlicher Begegnung, die das Publikum mitgebracht hat. Sie registrieren ein überraschend großes – und auch ernsthaftes – Interesse an ihrem Angebot. Auch die Weiterbildungsanbieter, die einen Stand auf der ZP gebucht haben. Allerdings erscheint gerade deren Zahl diesmal überschaubar. Sie finden sich eher in einer kleinen Ecke der Halle wieder, mit auffallend kleinen Ständen. Viele haben sich wohl nach ernüchternden Erfahrungen mit dem verhaltenen Besucherzustrom auf den regionalen Messen Zukunft Personal Süd und Nord im Frühjahr 2022 mit Buchungen zurückgehalten.

Foto: Spring Messe Management GmbH

Der größte Radau findet auf der Messe ohnehin an den zahlreichen Ständen statt, die Lösungen rund um Recruiting, Personalplanung, Employer Branding und Co. anbieten. Vielleicht ein Zeichen dafür, dass das HR-Management derzeit vor allem auf der Suche nach schnellen Lösungen für sein aktuell größtes Problem, den Arbeitskräftemangel, ist?  

Schon das Riesen-Werbeplakat der neu gelaunchten Talent-Acquisition-Plattform onlyfy by Xing in Messe-Empfangshalle spricht jedenfalls Bände. Darauf: eine junge Frau, Nasenpiercing, die Augen genussvoll geschlossen, verzücktes Lächeln im Gesicht … und das Ganze garniert mit den Worten „Ja, ich will!“. Erstaunlich, dass Derartiges in woken Zeiten nicht gleich einen Shitstorm vom Zaun bricht. Aber so sehen sie wohl aus, die Träume der HR-Managerinnen und -Manager dieser Tage: Mitarbeitende, die begeistert „ja“ sagen zum Unternehmen.

Mitarbeiter rekrutieren, die bislang durchs Raster fielen

Wenn aber Mitarbeitende ständig aufs Neue „Ja“ sagen, angelockt von Employer-Branding-Versprechen, haben es die Unternehmen letztlich mit „Drehtür-Mitarbeitenden“ zu tun. Also Arbeitnehmenden, die sich zum Wechsel animieren lassen, weil man ihnen woanders das Blaue vom Himmel verspricht, die dann aber enttäuscht zum alten Arbeitgeber zurückkehren, erklärt Christian Stadler, Abteilungsleiter und Leiter Personal und Organisation bei der Gemeindeprüfungsanstalt NRW. Wie klügere Konzepte aussehen könnten, wird auf der Messe intensiv diskutiert. Da geht es zum Beispiel darum, wie brachliegendes Erwerbspotenzial gehoben werden kann – etwa das von Frauen, älteren Mitarbeitenden oder auch Studierenden. Aber auch um eine verbesserte Recruitingpraxis. Christina Bösenberg etwa rät zum „Skill Based statt Degree Based Hiring“. Statt klassische Jobprofile, Bildungsabschlüsse und Qualifikationen zu fixieren, sollten Unternehmen frühzeitig mögliche Skillgaps identifizieren – und diese versuchen zu schließen.

Mitarbeitende zu rekrutieren, die bisher durchs Raster fallen, ist aber nur eine Strategie, der Arbeitskräftenot beizukommen. Eine andere besteht darin, mit den vorhandenen Arbeitskräften mehr zu erreichen, oder, wie es Arbeitsmarktforscher Enzo Weber in einer Diskussionsrunde mit Ex-Personalvorstand Thomas Sattelberger und Eva Degener von ada Learning ausdrückt: „Wir müssen mehr aus dem einzelnen Arbeitsplatz herausrausholen.“ Eine zentrale Rolle spielt dabei das altbekannte Lifelong Learning: Mitarbeitende müssen sich stetig neue Kompetenzen aufschaufeln – und Unternehmen müssen sie dabei bestmöglich unterstützen. Für Eva Degener heißt das: „Sie müssen Lernen positiv besetzen und sich als Plattform für Weiterbildung verstehen.“

Foto: Spring Messe Management GmbH

Selbstbestimmtes Lernen gewinnt an Bedeutung

Positiv besetztes Lernen ist heute vor allem selbstbestimmtes Lernen, das angepasst an individuelle Bedarfe und Needs im Job stattfindet. Wie das aussehen kann, skizziert Swetlana Heidebrecht, Head of Learning and Development bei Axel Springer, in einem Praxisbeitrag über die New-Learning-Strategie des Medienkonzerns: Wurde dort bis vor zweieinhalb Jahren noch ausschließlich auf klassische Präsenztrainings gesetzt, hat das Unternehmen jüngst eine lernstrategische Kehrtwende hingelegt. Jetzt gibt es bei Axel Springer z.B. eine Learning Experience Platform, auf der sich die Mitarbeitenden nach eigenem Gusto weiterbilden können. Allerdings räumt Heidebrecht ein: „Das selbstgesteuerte Lernen funktioniert noch nicht so gut, wie wir es uns erhofft haben.“ Ein Problem scheint z.B. zu sein, dass manche Mitarbeitenden aufgrund des Arbeitsdrucks gar nicht die Zeit finden, sich auf der Lernplattform umzutun.

Foto: Spring Messe Management GmbH

Eine neue Lernkultur entsteht demnach nicht so leicht, wenn sich nicht auch das Arbeitsumfeld ändert. Und ein positives Arbeitsumfeld ist (wenig überraschender Tenor auf der Messe) ohnehin einer der wichtigsten Hebel im Kampf um Arbeitskräfte. Vor allem die Gen Z steht im Ruf, diesbezüglich gern hemmungslose Forderungen zu stellen, etwa in Sachen Work-Life-Balance. Manche heften ihr daher gar das Etikett „faul“ an. In ihrer Keynote über das Wesen der Gen Z, hält Annahita Esmailzadeh, Führungskraft bei Microsoft, dagegen: Faul sei diese Generation keineswegs. „Sie ist nur sehr selbstbewusst und zieht eine klare Trennlinie zwischen Arbeit und Freizeit.“

„The war for talent is over. Talent has won“

Allein steht die Gen Z damit freilich nicht da. Die Aussage „The war for talent is over. Talent has won“ bringt es auf den Punkt und führt auch zu gesellschaftlichen Debatten über Annehmlichkeiten wie eine Vier-Tage-Woche für alle, bei vollem Lohnausgleich. Arbeitsmarktforscher Enzo Weber erteilt solchen Ideen zwar eine Absage (wirtschaftlich untragbar), empfiehlt Unternehmen aber gleichzeitig, Mitarbeitenden sehr wohl mit individuellen Modellen der Arbeitszeitgestaltung entgegenzukommen.

Daneben geht es auch um eine gute Führungs- und Feedbackkultur, um ein Arbeitsumfeld, das Menschen gesund und motiviert erhält, es geht um Care-Faktoren und Selbstbestimmung, aber auch knallharte Machtfragen. So warnt Thomas Sattelberger in der Runde mit Weber und Degener davor, das Thema New Work auf Faktoren wie Arbeitszeitflexibilität und Co. zu verengen. Vielmehr stelle sich auch „die Frage nach Beteiligungs- und Entscheidungsprozessen, nach Mitarbeiterbeteiligung und Mitsprache bei Führung“.

Wenn von der Messe ein Eindruck bleibt, dann dieser: Es ist ein weites Feld, das HR beackern muss. Jedenfalls konnte einen das Programm mit seinen 550 Beiträgen auf 17 Bühnen und anderen Flächen fast erschlagen. Geschuldet ist die enorme Themenbreite dem Anspruch des Veranstalters, einen „Kosmos“ bieten zu wollen, der alle HR-Bedarfe adressiert, ob PE, Gesundheitsmanagement, Recruiting, Employer Branding oder Personalmanagementsoftware. Man verstehe sich, so Astrid Jäger, Geschäftsführerin des Veranstalters spring Messe Management, als „wichtigster Impulsgeber der Branche“. Und das erfordere – angesichts von immer diverseren HR-Jobprofilen – die Bandbreite an Angeboten und Themen.

Ob die Breite und Masse auch in Zukunft zieht, wird sich zeigen. Fürs Erste aber haben sich mit der ZP Europe 2022 die Spekulationen aus dem vergangenen Jahr, die Zeit der HR-Messen sei vorbei, nicht bestätigt. Im Gegenteil: Auf der Welle ihres Erfolges surfend, plant die Veranstalterin spring Messe Management, die Messe im nächsten Jahr noch um eine zusätzliche Halle zu erweitern.

 


Der Beitrag wurde geschrieben von

Sylvia Jumpertz
Sylvia Jumpertz, langjährige Redakteurin im Verlag managerSeminare, Bonn.
21.09.2022
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