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„Mitarbeiter-Segmentierung ist ein organisationaler Amoklauf“

Die Softwarefirma ​SAP, ein Vorzeigeunternehmen der deutschen Wirtschaft, veranlasst ihre Führungskräfte neuerdings, Teammitglieder in drei Leistungsgruppen einzuteilen: „Performer“, „Achiever“ und „Improver“. Das Ganze heißt „Winning Culture“. Aus der Sicht von Managementberater Reinhard K. Sprenger ist das System jedoch alles andere als ein Gewinn. ​

SAP, Leuchtturmfirma der deutschen Wirtschaft, hat ein Problem. Welches es ist, weiß man nicht. Nur die Lösung des Problems liegt auf dem Tisch: Chefs sollen ihre Teammitglieder in drei Kategorien einteilen: „Performer“, „Achiever“ und „Improver“. Erstere bekommen Boni, Letztere Nachhilfe, „Achiever“ lässt man in Ruhe. Das Ganze heißt „Winning Culture“. Es ist ein lehrreiches Beispiel dafür, wie Wirklichkeit nicht abgebildet, sondern geschaffen wird.

Im Grunde ist die Segmentierung von Mitarbeitern ein vom deutschen Arbeitsrecht gezähmtes Fragment amerikanischen Managementdenkens der 1980er- und 1990er-Jahre. Damals warf man leistungsschwache Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen einfach raus – man erinnere sich an die Quotenregelungen der GE-Ikone Jack Welch oder der Yahoo-Chefin Marissa Mayer: Jeder Chef müsse sich jährlich von einem bestimmten Prozentsatz seiner Mitarbeiter trennen. Der Hintergrund: Jedes Unternehmen schleppt mindestens 15 Prozent Minderleister und Minderleisterinnen mit; das ist wissenschaftlich gut gestützt. Und diesen Prozentsatz halten manche noch für untertrieben. In Wirtschaftsbereichen mit strengem Kündigungsschutz liegt der Anteil auch höher.

Das SAP-Management hat insofern ein veritables Argument. Zweifellos gibt es Leistungsunterschiede zwischen Mitarbeitern. Es gibt sogar die bösartig Bequemen, die sich auf Kosten der Kolleginnen und Kollegen einen lauen Lenz machen. Und es gibt ganze Unternehmenskulturen der Selbstzufriedenheit. Aber richtet sich der Blick auf die richtigen Erfolgstreiber? Und wovon lenkt die Problemlösung ab?

Mitarbeitersegmentierung als Problematisierungskonzept bemüht sich, aus einer „unbestimmten“ Situation eine „bestimmte“ zu machen, indem man schrittweise die erfolgskritischen Faktoren verengt. Der Unternehmenserfolg wird auf die Unternehmensleistung reduziert – Zufall, Glück und Pech werden herausgerechnet. Die Unternehmensleistung wird dann auf die allgemeine Mitarbeiterleistung reduziert – Strukturen und Institutionen bleiben sakrosankt. Im nächsten Schritt wird die Mitarbeiterleistung auf ein individuelles Phänomen reduziert – die Wechselwirkungen im Team fallen unter den Tisch. Die individuelle Leistung wird letztlich auf die Dimensionen Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit beschränkt – die Leistungsmöglichkeit wird ausgeblendet. Vor allem die organisierende, beobachtende und beurteilende Führungskraft spielt dabei keine Rolle. Die Kurzfassung dieses Problematisierungskonzepts lautet: Einzelne Mitarbeiter sind schuld! Selbst wenn das partiell stimmen mag, hat man vor allem klargestellt, dass man als Management selbst keine Schuld trägt.

Wichtig ist hier der Prozess der Problematisierung, der Kausalität zu beobachten glaubt und sich auf eine Ursache festlegt. Diese „Ingenieureinstellung“ lässt grundsätzlich nur Ursachen zu, für die Instant-Lösungen im Regal liegen. Dabei springt die Beratungsindustrie hilfreich zur Seite: „Ich habe die Lösung, wo ist das Problem?“ Nicht eine Frage entscheidet, wie eine Antwort lauten könnte, sondern die Antwort entscheidet, wie die Frage lauten darf. Im konkreten Fall wird nicht gefragt „Wie heißt das Problem, für dass die Beurteilung die Lösung ist?“, sondern die zur Verfügung stehende Lösung entscheidet, was als Problem überhaupt zugelassen wird. Häufig tendiert die Diskussion dann dazu, sich auf die Frage „Einführung des Instruments – ja/nein?“ zu verengen. Im Zweifel entscheidet nicht die Qualität der Lösung, sondern die Massenhaftigkeit ihres Vorkommens: „Alle machen es so!“ So sucht man simplifizierende Lösungen für komplexe Probleme – und ist dann über das Ergebnis enttäuscht.

Im Regelfall haben wir es also mit einer Individualisierung struktureller Schieflagen zu tun. Ambivalenzen und Widersprüche der institutionellen Verfasstheit bleiben tabu. Dieser Triumph des personenzentrischen Denkens hat eine geradezu perverse Pointe: Kluge Menschen haben in dummen Organisationen keine Chance.

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Nun muss ein verantwortliches Management auch die Probleme der Problemlösung kalkulieren. Schauen wir uns also die Spät- und Nebenwirkungen der Mitarbeitersegmentierung an: Zunächst wird das Image des Unternehmens auf den Personalmärkten geschädigt. Wer mit Fachkräftemangel zu kämpfen hat, den sollte das kümmern. Ein Schaden entsteht auch auf den Absatzmärkten. Denn bei der Mitarbeitersegmentierung handelt es sich um eine typische Kundenablenkungsinstitution. Man verlagert den Wettbewerb von außen nach innen, von den Absatzmärkten auf den internen Personalmarkt. Das bindet Energie, die das Unternehmen beim Kunden keinen Meter weiterbringt. Hat man noch nie etwas von Transaktionskosten gehört? Und entwickeln Mitarbeiter in dem so erzeugten Einschließungsmilieu unternehmerische, nach außen gerichtete Initiative? Wohl eher nicht. Wahrscheinlich verkümmern sie eher zu jenen, die ängstlich aufpassen, dass sie im Vergleich mit Kollegen gut dastehen. Die Kundschaft interessiert sich jedoch nicht dafür, dass die firmeninternen Unterscheidungsmärkte mit Spielmaterial versorgt werden. Bei ihr aber muss ein Unternehmen den Wettbewerb gewinnen, nicht auf den Kinderspielplätzen der Organisation.

Paradoxer noch: Bei der Einteilung in drei Kategorien steht von vornherein fest, dass es Verlierer geben wird, und zwar auch dann, wenn in einer Abteilung alle gleich gut sind. Man ist daher allseits motiviert, schlechte Leute einzustellen: Es verbessert das eigene Ranking. Zudem ist es ratsam, sich schwachen Teams anzuschließen, in denen man als Einäugiger König ist. Man muss ja nicht wirklich gut sein, nur besser als die anderen. Im Ergebnis eine Abwärtsspirale.

Verlieren werden auch die Guten unter den Führungskräften. Wenn zum Beispiel eine Führungskraft in ihrer Abteilung eine hervorragende Personalentwicklung betrieben hat, eine andere in ihrer aber nicht, dann vergleicht der Einteilungszwang Unvergleichbares. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen werden zu „Improvern“ gestempelt, die im Vergleich zu anderen im Unternehmen „Performer“ sind. Aber nur die guten Chefs sind Verlierer; sie werden für ihre Arbeit bestraft – nicht die schwachen.

Zudem: Da wir Mitarbeiter nicht objektiv vergleichen können, besteht die Neigung, ihre Tätigkeit in Zahlen zu verwandeln. Die Mitarbeitersegmentierung verschärft mithin die Tendenz zum Messen von Quantitäten. Sie verwandelt qualitative Unterscheidungen in quantitative oder reduziert das Leistungsspektrum auf Messbares. Dann versteckt sich eine persönlich zu verantwortende Bewertung hinter der Scheinobjektivität von Zahlen.

Mitarbeitersegmentierung als Problemlösung wird also vor allem selbst zum Problem, wenn man sich des Ursprungs eines Unternehmens erinnert. Auf die Frage „Warum gibt es Unternehmen?“ lautet die Antwort: Weil es Aufgaben gibt, die man nur gemeinsam bewältigen kann. Das ist der Kern: Unternehmen sind um die Idee der Zusammenarbeit herum gebaut. Unternehmen sind Kooperationsarenen. „Zusammen arbeiten“, das ist – ausdrücklich! – nicht die Addition von Einzelleistungen. Sondern Synergie, das Nutzen von Pool-Ressourcen, unterschiedliche Qualifikationen ergänzen sich, ungleiche Kräfte verstärken sich, verschiedene Rollen greifen ineinander, man kennt sich und kann Vertrauensvorteile nutzen. Auf den Begriff gebracht ist das eine „kooperative Freundschaft“. Leistung entfaltet sich im Unternehmen stets im Geflecht mit anderen, was bedeutet, dass man individuelle Leistung kaum isolieren kann.

Grundsätzlich also vergiften zugespitzte Segmentierungen, die entsprechende Konsequenzen mit sich bringen, das Kooperationsklima. Es ist unter solchen Bedingungen unwahrscheinlich, gemeinsam besser zu werden, weil Führungskräfte immer Verlierer in ihren Teams finden müssen. Was auch eine Frage der Angemessenheit aufwirft: Selbst wenn man von einem Anteil von 15 Prozent klar identifizierbarer Minderleister ausgeht, löst man das Problem nicht, wenn man 85 Prozent der Mitarbeiter gegeneinander in Stellung bringt. Stattdessen dementiert man den Kooperationsvorrang, ohne die scheinbaren Gewinner glücklich zu machen. Dann ist das Einzige, was einen Mitarbeiter an seinem Teampartner wirklich interessiert, dessen Versagen.

Die vom SAP-Management geplante Intervention ist mithin ein Angriff auf die vertrauensbasierte Substanz des Unternehmens, im Grunde ein organisationaler Amoklauf. Die Zusammenarbeit, als der Wesenskern des Unternehmens, wird zwischen den Mühlsteinen der Mitarbeitersegmentierung zerrieben. Man spielt vielleicht noch in einer Mannschaft, aber nicht mehr als Mannschaft. Sollten zudem suizidale Strukturen für den Misserfolg verantwortlich sein, blinken die Ampeln der Mitarbeitersegmentierung ins Leere. In dem Falle wäre wohl das SAP-Management das Problem, für dessen Lösung es sich hält.

Reinhard K. Sprenger …

Reinhard K. Sprenger …

... ist Managementberater und zählt zu den profiliertesten Führungsexperten im deutschsprachigen Raum. Sein neuestes Buch: Gehirnwäsche trage ich nicht – Selbstbestimmt leben und arbeiten (Campus 2023). Kontakt: sprenger.com

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