Katja Karg in Speakers Corner
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„Alpha-Tiere sind ganz anders als ihr Ruf“

Biologische Vergleiche sind beliebt – weil sie einfach erscheinen und unterhaltsam sind. „Der ist ein Alphatier“, heißt es zum Beispiel, wenn eine Führungskraft ein eher dominantes, unsoziales Verhalten an den Tag legt. Doch dieser Vergleich ist grundfalsch, sagt die Verhaltensbiologin und Führungskräftetrainerin Katja Karg. Von echten Alphatieren könnten Führungskräfte sogar jede Menge lernen.

Out-of-the-Box-Denken liegt im Trend. Und was könnte mehr out of the Box sein als der Rückgriff auf das Tierreich, um Führungsverhalten zu erklären? Biologische Vergleiche sind beliebt – weil sie einfach und griffig erscheinen und weil sie unterhaltsam sind. Wer hat noch nichts vom berühmten Silberrücken gehört, der die Affenhorde dank seines Dominanzgehabes im Griff hat? Oder vom Leitwolf, der im Wolfsrudel den Ton angibt?

Eine Parallele zum Menschen ist dann schnell gezogen. So wird das herrische, dominante Verhalten einer Führungskraft gern mit „Der ist halt ein Alpha-Tier“ kommentiert. Solche Aussagen zementieren bestimmte Führungsstereotype – auch wenn natürlich längst klar ist, dass sich erfolgreiche Führung durch ganz andere Qualitäten als Dominanzgehabe auszeichnet, und sich „wie ein Alpha“ aufzuführen, aus dem Munde anderer sicher selten als Kompliment aufzufassen ist.

Gleichzeitig liegt in „Der ist halt ein Alpha-Tier“ oft genug eine Art Rechtfertigung für ein eigentlich inakzeptables Verhalten. Durch den Verweis auf angeblich dasselbe Verhalten im Tierreich wird es jedoch als „natürlich veranlagtes“ (damit freilich aber auch kaum zu änderndes) Verhalten etikettiert.

Das Ganze hakt schon daran, dass auch der Blick auf das Tierverhalten keineswegs immer objektiv war. Tatsächlich fiel – und fällt – dieser Blick immer auch durch die gesellschaftliche Brille derjenigen, die die Tierwelt erforschen. Selbst nüchterne, nach objektiven Maßstäben arbeitende Wissenschaftler sind nie ganz frei davon, denn auch sie sind Kinder ihrer Zeit. So lag es nur nahe, die strikten Hierarchien, die die Gesellschaft früherer Jahrzehnte prägte, auch im Tierreich zu suchen – und zu finden.

Auch prägte man damals die Begriffe der „höheren“ und der „niederen“ Säugetiere – ganz so, als gäbe es eine Rangfolge, selbstverständlich zum Menschen hin aufsteigend. Erst ein unverstellterer Blick der jüngeren Geschichte deckte auf, dass viele der früheren Erkenntnisse so nicht haltbar sind. Etwa der Irrglaube, dass wir „vom Affen abstammen“ – in dem Sinne, dass wir Menschen „die Stufenleiter der Evolution“ weiter aufgestiegen sind, während „der Affe“ in seiner Entwicklung stagnierte. Was für ein Quatsch! Welche neuen Verhaltensweisen und Strategien Affen in der Zwischenzeit erworben haben, wird auch heute noch gerne vergessen.

Mittlerweile gelten in unserer Gesellschaft Werte wie Kollaboration und Augenhöhe als besonders erstrebenswert. Und ergo entdeckt man entsprechende Verhaltensweisen auch verstärkt im Tierreich. Auch das mag – neben dem wissenschaftlichen Fortschritt – der kulturell gefärbten Brille geschuldet sein, durch die wir auf die Natur schauen. Allerdings ist unser Bild der tierischen Verwandtschaft dadurch tatsächlich ein gutes Stück differenzierter – und damit mit Sicherheit auch realistischer – geworden.

Leider jedoch dauert es oft lange, bis sich neue wissenschaftliche Erkenntnisse durchgesetzt haben – in der Forschung und erst recht in der breiteren Öffentlichkeit. Mieses Führungsverhalten wird dementsprechend immer noch gern als Alpha-Männchen-Getue gelabelt. Dabei könnten wir vom tatsächlichen Alpha-Männchen-Verhalten, etwa in einer Schimpansengruppe, ziemlich viel über gute Führung lernen. Denn auch Schimpsansen haben, wie der Mensch, über Jahrmillionen komplexe Verhaltensweisen als Anpassung an ihr vielschichtiges Gruppenleben entwickelt.

Nach sechs Jahren eigener Forschungsarbeit mit Schimpansen kann ich sagen: Als erfolgreiches Alpha-Tier benötigt ein Schimpanse weit mehr als nur ein lautes Organ und ein breites Kreuz. Die Annahme, im Reich unserer nächsten Artverwandten setzt sich immer der Stärkste und Kräftigste durch, ist weit gefehlt. Tatsächlich leben Schimpansen, mit denen wir immerhin 98 Prozent unserer Gene teilen, in hochkomplexen sozialen Gefügen, in denen viel machtpolitisches Geschick und Taktieren gefragt ist, um in der Gruppe erfolgreich zu sein.

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Um Macht zu erringen und aufrechtzuerhalten, nutzen Alpha-Schimpansen kluge Strategien, die weit über reine Dominanz und körperliche Stärke hinausgehen. So schmieden Schimpansen sehr strategisch und geschickt Allianzen mit ihren wichtigsten „Stakeholdern“ – dies können mächtige Männchen, aber auch einflussreiche Weibchen sein: Sie sitzen stundenlang in deren Nähe, pflegen deren Fell, spielen liebevoll mit deren Kindern und teilen sogar ihr Futter. Kurzum: Sie nehmen sich viel Zeit für intensive Beziehungspflege und zeigen sich als generöse Anführer, unter denen es sich gut und sicher leben lässt.

Spannend ist auch das Verhalten der Alpha-Tiere in Konfliktsituationen: Alphas behalten ihr „Team“ stets sehr genau im Blick, um bei Konflikten blitzschnell eingreifen zu können. Dabei sorgen sie für möglichst ausgeglichene Machtverhältnisse. Werden beispielsweise deutlich schwächere Tiere angegriffen, stellen sich Alphas oft schützend vor diese. Kommt es dagegen zu Konflikten zwischen gleich starken Parteien, vermeidet das Alpha-Tier, ähnlich wie ein Mediator, klar Stellung zu beziehen. Es treibt die Streithähne lediglich auseinander und sorgt so dafür, dass die Gruppe weiterhin schlagfertig bleibt – und es selbst gleichzeitig seine Position wahren kann.

Für die sensible Zeit nach Konflikten haben Schimpansen im Laufe der Evolution sogar spezifische Gesten der Aussöhnung entwickelt, die sie nach Auseinandersetzungen nutzen, um belastete Beziehungen gekonnt wieder zu reparieren und zu pflegen.

Nur Tiere, die sich den Support der Gruppe dauerhaft sichern und andauernde Beziehungspflege leisten, können auf der Alpha-Position verbleiben. Sogenannte „Bullies“, die zwar physisch überlegen sind, sich aber ihre Machtposition hauptsächlich durch aggressive Verhaltensweisen sichern, werden im Schimpansenreich oft nicht lange als Alpha-Tier geduldet. Denn Alpha-Tiere sind vor allem eines: Individuen, unter deren Führung sich die Gruppe sicher und geschützt fühlt.

Eine abwertend gemeinte Nutzung des Begriffs Alpha-Tier ist also völlig verfehlt. Ich finde sogar: Der Vergleich eines sich übel aufspielenden menschlichen Exemplars mit einem Alpha-Tier ist eine Beleidigung für das tierische Pendant!

Anstatt also müde lächelnd auf unsere „primitiven“ Verwandten aus dem Tierreich zu blicken oder gar unterirdisches menschliches Verhalten damit zu rechtfertigen, dass es vermeintlich „alten biologischen Wurzeln“ entspringt, lohnt sich ein offenerer Blick: Was kann ich von meinen Kollegen aus dem Primatenreich lernen? Sorge ich eigentlich selbst für ausreichend Nähe zu meinem Team und zeige echtes Interesse? Nehme ich mir Zeit, um Beziehungen zu pflegen? Gelingt es mir, bei Konflikten unparteiisch zu bleiben?

All das gelingt vielen tierischen Alphas weit besser als manchem menschlichen „Alpha-Tier“. Ich plädiere daher dafür, von unserem hohen Ross herunterzusteigen und mit mehr Demut auf andere Lebensformen zu blicken. Dort findet sich ein viel breiteres und differenzierteres soziales Verhaltensspektrum, als uns irregeleitete Hypothesen, wie die vom Alpha-Männchentum als Sinnbild für archaisches Dominanzgehabe, glauben machen wollen.

Dr. Katja Karg ...

Dr. Katja Karg ...

... ist Verhaltensbiologin mit Promotion in Psychologie. Im Rahmen ihrer Tätigkeit als Coach, Trainerin und Beraterin bei Profil M setzt sie sich mit dem Thema Führung auseinander. In ihrer Promotion am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie hat sie sich mit dem Verhalten von Menschen und Menschenaffen beschäftigt, u.a. verbrachte sie dafür viele Monate mit Schimpansen in Uganda. Kontakt: www.profil-m.de

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