Andreas Syska in Speakers Corner
Andreas Syska in Speakers Corner

„Durch die Digitalisierung wird die Arbeit weniger – das sollte uns freuen!“

Digitalisierung lässt – wie jede Art von Rationalisierung – Arbeit weniger werden. Ein Umstand, der von vielen geleugnet wird, weil er ihnen Angst macht, so die Beaobachtung von Andreas Syska. Dabei steckt in einer solchen Entwicklung überhaupt keine Bedrohung, sondern eine echte gesellschaftliche Chance, ist der Professor für Produktionsmanagement überzeugt.

Um es gleich vorwegzunehmen: Digitalisierung lässt – wie jede Art von Rationalisierung – Arbeit weniger werden. Sie schafft keine zusätzliche. Denn zusätzliche Arbeit entsteht nur dort, wo das Wachstum größer ist als der Rationalisierungsgewinn.

Diejenigen, die diese Tatsache aussprechen, ernten in der Regel heftigen Widerspruch und werden wahlweise als Botschafter des Untergangs oder rückwärtsgewandte Menschen diskreditiert. Der vehemente Widerspruch basiert weniger auf Fakten als auf Angst. Die von dieser Angst ausgelösten Denkblockaden und Abwehrreaktionen sind so heftig, dass man oft noch nicht einmal Geduld hat, der Gegenseite zu Ende zuzuhören – obwohl sie recht hat. Denn Digitalisierung ist Rationalisierung – und damit nichts Schlechtes. Rationalisierung kommt von Ratio und das bedeutet: „Vernunft“. Diejenigen aber, die – fälschlich – sagen, dass Digitalisierung mehr Arbeit schafft als sie eliminiert, werden gefeiert. Wohlgemerkt: in einer Zeit des Arbeitskräftemangels! Mehr Arbeit: Ist das nicht das Letzte, was wir brauchen? Mit anderen Worten: Das Versprechen, Digitalisierung schaffe Arbeit, ist in Wirklichkeit eine Drohung.

Angst frisst Verstand. Woher aber kommt diese Angst vor dem Verlust von Arbeit? Ein Blick auf unser Sozialsystem liefert Erklärungen. Dieses System finanziert sich fast ausschließlich aus Abgaben auf Erwerbsarbeit. Die Gelder nennen sich Sozialabgaben und sollen die Kosten für Krankheit, Pflege, Renten und Arbeitslosigkeit decken. Außerdem basiert über die Hälfte der Steuereinnahmen hierzulande auf der Besteuerung von Erwerbsarbeit und der weiteren Abschöpfung von Einkünften durch das Instrument der Umsatzsteuer. Dies sind Steuereinnahmen, die zur Finanzierung der genannten Kosten bitter benötigt werden, da die Sozialabgaben hierfür längst nicht mehr ausreichen.

Wer also sagt, dass Arbeit weniger wird, der sagt gleichzeitig, dass Sozialabgaben und Steuern weniger werden. Er ist also nicht der Freund des Finanzministers. Und auch nicht der des Gesundheitsministers. Und der des Arbeitsministers schon mal gar nicht. Schlimmer noch: Er hat die gesamte Sozialindustrie gegen sich. Denn das Mantra lautet, dass der Umfang der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nicht weniger werden darf. Deshalb muss der Produktivitätsfortschritt aus der Digitalisierung durch Wirtschaftswachstum kompensiert werden. Dies ist kein Wachsen-Wollen, es ist Wachsen-Müssen. Was Mutter Erde hiervon hält, teilt sie uns gerade mit …

Was für eine Ironie: Ausgerechnet das Sozialsystem, das doch für bessere Lebensbedingungen der Menschen sorgen soll, verhindert das. Es verhindert nicht nur, dass eben diese Menschen das Hamsterrad der Erwerbsarbeit verlassen können. Es zwingt sie auch dazu, dort zu bleiben und immer schneller zu laufen. Dass dieses Hamsterrad digitalisiert wird, macht den Aufenthalt in ihm nicht angenehmer.

Hinzu kommt die Angst, dass der Mensch mit der gewonnenen Zeit nichts Vernünftiges anfangen könne oder gar auf dumme Gedanken käme und deshalb beschäftigt werden müsse. Wie immer man das dahintersteckende Menschenbild auch nennt, meines ist es jedenfalls nicht. Was ich dagegen wahrnehme, ist bei vielen Menschen eine große Bereitschaft, sich wieder der Familie zuzuwenden, sich für die Allgemeinheit zu engagieren oder Kreatives zu tun. Mit dem Begriff „Care-Arbeit“ hat dies schon ein geschmeidiges Branding bekommen. Auf die Frage aber, wie man dahin kommt, dass Care-Arbeit und Co. möglich wird, findet sich jenseits der Forderungen nach Flexibilisierung von Arbeitszeit bislang nur wenig Erhellendes.

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Was also tun? Verschaffen wir doch den Menschen die hierfür nötige Zeit! Die Digitalisierung bietet uns eine großartige Chance dafür. Wenn sie aber zu unser aller Wohl beitragen soll, dann braucht es drei Leitplanken. Die erste Leitplanke ist Zeit: Jahrzehntelang ist Mitarbeitern eingetrichtert worden, unternehmerisch zu denken und zu handeln, und sie wurden in Verbesserungsworkshops geschubst. Wenn es aber darum ging, diese Mitarbeiter an den entstandenen Produktivitätsgewinnen teilhaben zu lassen, wurden Arbeitgeber recht schmallippig. Das muss sich ändern, und deshalb gehören die Früchte der Digitalisierung – die ja im Kern Rationalisierung ist – den Unternehmen nicht allein. Konkret heißt das: Statt den Produktivitätsfortschritt für Wachstum von Umsatz und Gewinn zu verwenden, sollten die Unternehmen diesen in Zeit umwandeln. Das heißt, sie sollten die weniger gewordene Arbeit auf alle Arbeitswilligen verteilen, selbstverständlich bei gleichen Bezügen.

Leitplanke Nummer zwei sind die Steuern. Unser Steuersystem ist absurd, denn es besteuert den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen und deren Mitarbeitern und subventioniert die Zerstörung der Grundlagen unserer Existenz. Wir brauchen ein neues Steuersystem, das nicht den wirtschaftlichen Erfolg besteuert, sondern den hierfür getätigten Verbrauch an natürlichen Ressourcen und die Inanspruchnahme von Infrastruktur. Also keine Steuern auf Arbeit, Unternehmensgewinne oder erwirtschaftetes Vermögen, sondern Steuern auf Transaktionen von Gütern, Energie und Menschen. Steuern auf Landschaftsverbrauch durch Flächenversiegelung oder Tagebau sowie auf die Inanspruchnahme von Infrastruktur wie Verkehrswege, Datenleitungen oder Stromtrassen. Diese Steuern wären hoch genug, um die Sozialleistungen zu finanzieren, und haben den Charme, dass sie nicht erhöht, sondern getauscht werden. Nicht der wirtschaftlich Erfolgreiche würde dann besteuert, sondern der Rücksichtslose.

Leitplanke Nummer drei ist die Arbeit. Bisher gelten diejenigen als Leistungsträger, die ihr eigenes Vermögen oder das Vermögen Dritter mehren. Damit wird der Begriff der Leistung auf das Materielle reduziert – mit der Konsequenz, dass wir die Gesellschaft in Leistungsträger und Leistungsempfänger spalten, also in Bürger erster und zweiter Klasse. Aber sind wir nicht alle Leistungsträger? Es braucht eine Neubewertung der Arbeit, denn diese besteht nicht nur aus Erwerbsarbeit. Privates, Soziales, Familiäres, Kreatives, Ehrenamtliches und Künstlerisches – all das muss den gleichen Stellenwert haben und braucht die gleiche Anerkennung wie die klassische Erwerbsarbeit.

Immer schneller, immer höher, immer weiter – und von allem immer mehr. Und das in einer Zeit, in der eine wachsende Anzahl von Menschen ein mulmiges Gefühl hat und sich fragt, ob diese Art des Wirtschaftens noch Zukunft hat und ob Digitalisierung nichts anderes ist, als der Turbolader für das Hamsterrad. Die Digitalisierung lässt Arbeit verschwinden – und das ist das Beste, was uns passieren kann. Frei vom Zwang, Erwerbsarbeit leisten zu müssen, wären wir wieder bei uns. Wir hätten Zeit, unsere Persönlichkeit weiterzuentwickeln oder uns in unseren Gemeinwesen zu engagieren. Vor allem: Es wäre das Ende des größten Outsourcing-Projekts der Menschheitsgeschichte: des im großen Stil praktizierten Aushändigens von Familienmitgliedern an Erzieher, Pfleger und andere. Die Sozialindustrie als Begleiterin der Industrialisierung würde zu einer Episode.

Natürlich wären wir weiterhin eine Industriegesellschaft, aber was für eine! Wir würden in eine neue Phase eintreten, in der die Befriedigung der materiellen Bedürfnisse deshalb in den Hintergrund tritt, weil sie leicht von der Hand geht und wir wieder wir selber sein können. Die Welt wäre eine bessere, wenn die Digitalisierung von der Gesellschaft und den Menschen her gedacht werden würde. Also, mir gefällt diese Vorstellung – und Ihnen?

<strong>Dr. Andreas Syska …</strong>

Dr. Andreas Syska …

... ist Professor für Produktionsmanagement an der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach. Kontakt: bit.ly/2QPbudS 

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