Für alle Fragen rund um unsere Webseite, unsere Medien und Abonnements finden Sie hier den passenden Ansprechpartner:
Übersicht AnsprechpartnerBeitrag von Silvia Balaban aus Training aktuell 01/23, Januar 2023
Das Kartenset „Menschen beim Wachsen begleiten: Coaching mit Impulsen aus der Positiven Psychologie“ von Daniela Blickhan beinhaltet 75 Karten, die jeweils eine Intervention aus der Positiven Psychologie vorstellen. Laut Anbieter Junfermann bilden die Interventionen zentrale Themen der Positiven Psychologie ab und können Coachingprozesse bereichern. Die Karten haben zum Ziel, das Positive im Leben von Klientinnen und Klienten zu fördern, ihnen neue Wege aufzuzeigen und dabei zu helfen, einen guten Umgang mit Belastungen zu finden. Zudem soll das Kartenset Coachs dabei unterstützen, auf unkomplizierte Art einzelne Interventionen der Positiven Psychologie in den Gesprächsprozess zu integrieren bzw. die Konzepte der Positiven Psychologie systematisch einzubeziehen.
Das Kartenset hat eine angenehme Größe (10,5 Zentimeter mal 15 Zentimeter), und die Karten weisen eine gute Qualität auf. Jede von ihnen stellt eine Intervention vor und zeigt kurze Einführungen zum Hintergrund und Nutzen der jeweiligen Übung sowie eine ausführliche Erläuterung, wie der Coach diese anleiten kann und was dafür gebraucht wird.
Neben den 75 Interventionskarten enthält das Set auch ein kleines Booklet zur Einführung. Hier wird erklärt, was Positive Psychologie ist, wie die Autorin Coaching definiert und wie sich beides verbinden lässt. Der Punkt „Gebrauchsanweisung“ gibt wertvolle Hinweise dafür, was die Wirkung der Interventionen beeinflusst, wie die Karten im Coachingprozess anzuwenden sind und wie Interventionen der Positiven Psychologie grundlegend funktionieren.
Die Autorin teilt die vorgestellten Interventionen in folgende acht Themenfelder ein: „Emotionen“, „Ziele“, „Stärken“, „Werte“, „Grundbedürfnisse und Motivation“, „Stress, Selbstregulation und Selbstmitgefühl“, „Positive Beziehungen“ und „Gelingendes Leben“. Diese Unterteilung erleichtert sowohl die Auswahl einer passenden Intervention als auch ihren schnellen Einsatz im Coaching. Auf den Rückseiten der Karten befinden sich Bildmotive, die allesamt aus dem asiatischen Kulturraum zu stammen scheinen und sich ebenfalls in den Coachingprozess miteinbeziehen lassen.
In einer gesonderten Tabelle sind alle Impulse noch einmal aufgeführt, in die Themenfelder unterteilt und mit Wirkung sowie dem originalen Autor bzw. Begründer benannt. Das verschafft einen guten Überblick und erleichtert zusätzlich die Einordnung der Interventionen. Ich teste das Kartenset in einer Sitzung mit einem Klienten. Er ist Abteilungsleiter und kommt sichtlich aufgewühlt ins Coaching. Er berichtet, in seiner Abteilung habe es einige Umstrukturierungen gegeben, auf die sein Team sehr unverständlich reagiert. Beim letzten Meeting sei die Situation regelrecht eskaliert und einige wortstarke Mitglieder des Teams hätten ihren Unmut an ihm ausgelassen.
Um seinen Emotionen erst einmal Raum zu geben, wähle ich die Übung „Emotionsdifferenzierung“ aus, die, wie wohl naheliegt, zum Themenfeld „Emotionen“ gehört. Ich leite meinen Klienten, wie auf der Übungskarte beschrieben, an, sich in die Situation des Meetings zurückzuversetzen und seine Gefühle zu beschreiben. Seine Erläuterung schreibe ich stichpunktartig mit. Der Klient berichtet, er habe sich vor allem frustriert und wütend gefühlt; gleichzeitig überfordert, als hätte man ihn in eine Ecke gedrängt. Während er sich in die Situation zurückversetzt, wird anhand seiner Mimik und Körperhaltung deutlich, wie sehr ihn dieser Moment belastet hat.
Dann bitte ich ihn, die Situation gedanklich zu verlassen und einen spürbaren Abstand dazu zu schaffen. Wie in der Übungsbeschreibung empfohlen, stehen wir beide kurz auf, bewegen uns im Raum und öffnen für einen Moment das Fenster. Anschließend soll mein Klient sich wieder der Situation zuwenden und die Haltung eines Forschers einnehmen, der den Emotionen auf einer anderen Ebene auf den Grund geht. Er fasst seine Gefühle noch einmal in Worte. Wieder benennt er die Frustration als dominierendes Gefühl.
Ich ermutige ihn dazu, die Frustration noch tiefer zu beschreiben. Er antwortet: „Ich bin frustriert, weil ich mich hin- und hergerissen fühle. Einerseits soll ich die wichtigen Veränderungen anstoßen, andererseits verstehe ich den Unmut meiner Mitarbeitenden. Denn ihnen verlangt das alles ein hohes Maß an Bereitschaft zur Umstellung sowie zusätzliche Arbeit ab. Gleichzeitig lässt sich die Umstrukturierung aber nicht mehr rückgängig machen. In diesem Meeting hatte ich den Eindruck, zwischen den Stühlen zu stehen.“
Ich frage meinen Klienten, was bei dieser Betrachtung der Situation anders ist als zuvor. Er erklärt, dass eine tiefere Ebene dazugekommen ist. Er nimmt nicht nur die Emotionen wahr, sondern vor allem auch den Grund dahinter. Die Haltung eines Forschers einzunehmen, hat ihm dabei geholfen, die Situation von der Metaebene zu betrachten und seine kognitive Dissonanz als Ursache für seinen intrapsychischen Konflikt wahrzunehmen.
Ich frage ihn, welchen Unterschied es macht, wenn er das Gefühl der Frustration im Sinne von „Ich erlebe Frustration“ betrachtet, statt im Sinne von „Ich bin frustriert“. Nach einer kurzen Nachdenkpause antwortet er: „Ich merke, dass ich aus diesem Zustand auch aussteigen kann. Ich betrachte die Situation etwas objektiver.“ Ich hake nach, welche Möglichkeiten er erkennt, um mit der Situation zukünftig umzugehen. „Ich glaube, das, was ich in diesem Prozess erkannt habe, mehr einzubeziehen, wäre künftig hilfreich“, antwortet er und führt weiter aus: „Also das Verständnis für mein Team auszusprechen und auf Sorgen einzugehen. Ich möchte ehrlich damit sein, in welcher Position ich mich befinde. Ich glaube meine Mitarbeitenden denken, ich würde sie gar nicht verstehen, aber das stimmt nicht. Außerdem möchte ich diese Übung in Zukunft nutzen, um hitzige Meetings zu reflektieren. Die gibt es nämlich öfter mal“, sagt er lachend.
In der restlichen Sitzung erarbeiten wir konkrete Schritte, die mein Klient zukünftig gehen möchte, um die Situation mit seinem Team zu klären. Die Übung aus dem Kartenset hat dafür einen wichtigen Grundstein gelegt.
Insgesamt bietet das Kartenset „Menschen beim Wachsen begleiten“ eine hohe Bandbreite an Übungen aus der Positiven Psychologie, die im Coaching einsetzbar sind. Vor der ersten Anwendung sollte man sich allerdings Zeit nehmen, um die Übungsbeschreibungen in Ruhe durchzulesen. Vor allem, weil einige Übungen Vorerfahrung vonseiten des Klienten oder eine Vorbereitung vonseiten des Coachs voraussetzen. Auch mit einigen Definitionen und Modellen aus der Positiven Psychologie (z.B. PERMA, Signaturstärken) sollte man sich vorab vertraut machen. Für Einsteigerinnen und Einsteiger in die Thematik der Positiven Psychologie wäre ein zusätzliches Glossar im Booklet sicher hilfreich gewesen.
Bei der Umsetzung der Übungen ist darauf zu achten, dass ein eigener Weg gewählt wird, der zu einem selbst und in die Coachingsitzung passt. Beispielsweise habe ich bei der Übung „Emotionsdifferenzierung“ für meinen Klienten mitgeschrieben, statt ihn selbst schreiben zu lassen, und zudem einige Fragen, die auf der Karte genannt waren, weggelassen. Die individuelle Anpassung der Übung an die Situation und Vorlieben der Klientinnen und Klienten wird aber ohnehin von der Autorin empfohlen. Im Fall meines Klienten hat die Übung dadurch genau dazu geführt, was sie bezwecken sollte, und war demnach sehr erfolgreich.
Die Kartenbox lohnt sich für alle Coachs, die Interventionen der Positiven Psychologie vermehrt in ihre Praxis einbauen möchten. Vorwissen über Positive Psychologie ist hilfreich, während das Vertrautmachen mit den Übungen und den Beschreibungen im Booklet eine Voraussetzung für den erfolgreichen Einsatz darstellen.
Sie möchten regelmäßig Beiträge des Magazins lesen?
Für bereits 10 EUR können Sie die Mitgliedschaft von Training aktuell einen Monat lang ausführlich testen und von vielen weiteren Vorteilen profitieren.