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Studie über atypische Beschäftigung

Die falschen Versprechungen der Zeitarbeit

Der klassische sozialversicherte, tariflich abgedeckte, unbefristete Vollzeitjob hat zunehmend mehr atypische Geschwister: Zeitarbeitsjobs, befristete Jobs und Minijobs. Wo Deutschland im europäischen Ländervergleich in puncto atypische Beschäftigung steht, als wie prekär diese Formen der Beschäftigung zu werten sind und inwiefern sich davon ausgehend der Bedarf ergibt, sie stärker zu regulieren – diesen Fragen ging die Bertelsmann Stiftung in einer aktuellen Benchmarking-Untersuchung nach. Demnach ist der Anteil der befristeten Arbeitsverhältnisse mit 15 Prozent der Gesamtarbeitsverhältnisse in Deutschland zwar relativ hoch. Doch geht rund die Hälfte davon auf Ausbildungs- und Probezeiten zurück. Was unfreiwillig befristet Beschäftigte angeht, weist Deutschland immer noch den drittniedrigsten Wert unter 23 europäischen Staaten auf. Stärkeren Regulierungsbedarf sieht die Bertelsmann Stiftung in diesem Bereich daher kaum. Sorgenvoller bewertet die Studie dagegen den deutschen Niedriglohnsektor, der im internationalen Vergleich stark gewachsen ist, was auf den wachsenden Dienstleistungssektor zurückgeht, in dem atypische Beschäftigungsformen häufiger anzutreffen sind als in der Industrie. Der Blick fällt hier v.a. auf die Minijobs, mit denen Arbeitgeber ihre Arbeitskosten senken, die aber weder existenzsichernd sind, noch Aufstiegschancen bieten und vor allem – so heißt es in der Untersuchung – 'die Finanzierung des sozialen Sicherungssystems unterminieren und zu dessen Problemen beitragen'.

Empfehlung für moderaten Mindestlohn

Daher raten die Autoren, beschäftigungspolitische Aktivierungsmaßnahmen zukünftig stärker am Prinzip einer Vollzeittätigkeit auszurichten als an Teilzeit- oder Minijobs. Auch ein moderater gesetzlich festgeschriebener Mindestlohn sei 'nicht unter allen Umständen schädlich'. Wenn dadurch niedrig entlohnte Minijobs wegfallen würden, so sei dies ein durchaus wünschenswerter Effekt, weil auf diese Weise Anreize zur Bündelung in umfassenderen Teilzeit- und Vollzeittätigkeiten geschaffen würden.

Im 'unauffälligen' hinteren Mittelfeld liegt Deutschland im europäischen Vergleich bei der Zeitarbeit, der laut Studie überall dort Grenzen gesetzt seien, wo sich der Transfer von Wissen als schwierig erweist und betriebsspezifisches Humankapital erforderlich ist. Indes: In Deutschland sind Zeitarbeitskräfte überproportional im produzierenden Gewerbe tätig. 670.000 Personen arbeiten derzeit hierzulande als Zeitarbeitskräfte – Tendenz beständig steigend, seit in Deutschland die Regeln für den Einsatz temporär Beschäftigter seitens der Politik gelockert wurden. Der Anteil dieser Beschäftigungsform ist zwischen 2000 und 2007 jedenfalls um 0,8 Prozent auf 1,6 Prozent aller geleisteten Arbeitsstunden angestiegen. Nur das Krisenjahr 2009 brachte einen vorübergehenden Einbruch. Die Zahl der Zeitarbeitskräfte war Mitte des Jahres 2009 nach Daten der Bundesagentur für Arbeit um ein Viertel niedriger als noch Mitte 2008. Auch nach Schätzungen der Lündendonk GmbH ging das Marktvolumen für Zeitarbeit und Personaldienstleistungen 2009 um 18,8 Prozent auf 12,1 Milliarden Euro zurück, wobei die größten Unternehmen besonders unter der Krise litten: Der Umsatz der Top 25 jedenfalls sank laut der aktuellen Lünendonk-Liste 2010 'Führende Zeitarbeits- und Personaldienstleistungs-Unternehmen in Deutschland' im Schnitt um 23,8 Prozent.

Den Übergang in eine reguläre Beschäftigung ermöglicht Zeitarbeit kaum

Der Knick wird indes nur als vorübergehendes Intermezzo gesehen. Für Unternehmen sind die Zeitarbeitskräfte schließlich attraktiv. Und zwar offensichtlich nicht nur, weil sie flexibel einsetzbar sind. 'Arbeitnehmerüberlassung ist in Deutschland längst nicht mehr nur ein kurzfristiger Flexibilitätspuffer für Unternehmen', konstatiert Dr. Gunter Thielen, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung. Will heißen: Es gibt jene Zeitarbeitskräfte, die immer wieder kurz im Einsatz und zwischendurch arbeitslos sind. Und es gibt jene, die als quasi dauerhaft eingesetztes Personal die Stammbelegschaft ergänzen und nur dann entlassen werden, wenn eine arge Krisensituation eingetreten ist. Sie bilden somit ein billiges Arbeitskräftepotenzial neben der Stammbelegschaft, da die Tarifverträge in der Zeitarbeitsbranche deutlich unter denen der Metall- und Elektroindustrie liegen. Eine Chance auf den Übergang in eine reguläre Beschäftigung ergibt sich für die Zeitarbeitskräfte dabei in den allerseltensten Fällen.

Die Studie wertet die Lage als problematisch, da eine auf Dauer angelegte Ungleichbehandlung nicht dem Grundverständnis der sozialen Marktwirtschaft entspricht. Sie empfiehlt daher ein über die Dauer der Tätigkeit bei einer Zeitarbeitsfirma wachsendes Maß an Beschäftigungsstabilität sowie eine Annäherung an die Arbeitsbedingungen und die Entlohnung der Stammbelegschaften mit gleichartigen Tätigkeiten, was mit einer systematischen Reform des Kündigungsschutzes verbunden sein sollte, die die Grenze zwischen atypischer und regulärer Beschäftigung durchlässiger macht. Denn, so die These: je stärker das reguläre Arbeitsverhältnis reguliert ist, desto stärker auch die 'Flucht' der Arbeitgeber in atypische Beschäftigungsformen.

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