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Interview zur Krise des Personalmanagements

'Personaler geben dem Unternehmen, was es will, nicht, was es braucht!'

Immer mehr Personalabteilungen drohen in der unternehmenspolitischen Bedeutungslosigkeit zu versinken. Dabei gäbe es neue wichtige Aufgaben für sie – die aber nur vorsichtig angegangen werden. Heiko Roehl hat mit zwei Co-Autoren ein Buch über die Krise des Personalwesens geschrieben – und darüber, wie sie sich lösen ließe. Ein Gespräch über die 'Akte Personal'.

Herr Roehl, Sie und ihre Mitautoren werfen in Ihrem Buch ein kritisches Licht auf die Personalwirtschaft. Sie schreiben, dass sie immer mehr in die unternehmenspolitische Bedeutungslosigkeit abzudriften droht, von der Unternehmensspitze und den operativen Führungskräften immer weniger ernst genommen wird und diesem Zustand nur wenig Adäquates entgegenzusetzen hat. Ich könnte mir vorstellen, die Zunft ist nicht begeistert.
 
Heiko Roehl: Die Reaktionen sind keineswegs negativ, im Gegenteil, wir haben viel positive Resonanz bekommen! Es scheint, als würden wir mit dem Buch etwas aussprechen, dass vielerorts bereits geahnt wird. Und unsere Kernthese ist ja keineswegs ganz neu. Hinzu kommt, dass wir ja für eine deutlich strategisch gestärkte Personalfunktion in den Unternehmen argumentieren. Wir haben frühe Fassungen des Buchs mit verschiedenen Funktionsträgern in den Personalbereichen besprochen, vor allem Personaler mit Leitungsfunktion haben uns versichert: Genau so ist es.
 
Dieses Problembewusstsein erstaunt. Denn viele Studien attestieren dem Personalmanagement eine sehr positive Selbstsicht, die stark von der negativen Fremdsicht anderer Bereiche auf das Personalwesen abweicht.

Roehl: Stimmt, in den empirischen Untersuchungen stellt sich immer wieder heraus, dass Personaler ihre Leistung, ihre Nähe zum Geschäft und ihre strategische Orientierung für deutlich besser halten, als es von den operativen Bereichen und den oberen Führungskadern gesehen wird. Die Zahlen zeigen eindeutig, dass zwischen der Selbst- und der Fremdwahrnehmung eine enorme Lücke klafft. Aber es gibt eben auch ein anderes, sehr selbstkritisches Selbstbild der Personaler. Das begegnet einem aber nicht in Umfragen, sondern eher in persönlichen Gesprächen.
 
Können es sich Personaler offiziell nicht leis­ten, Tacheles zu reden?

Roehl: Tatsächlich unterliegen Personaler einem hohen Legitimationsdruck in den Unternehmen – mehr als andere interne Dienstleistungsbereiche. Weil aber heute vor allem Umsatz und Rendite den Diskurs im Unternehmen beherrschen, wird der quantitative Nachweis von Mehrwert der HR-Arbeit immer wichtiger. Das nimmt mancherorts mit Zielvereinbarungssystemen, überdifferenzierten Leistungsindikatoren und Ähnlichem drastische Züge an. Kritisch könnte man sagen: Da wird ein Geist von Messbarkeit verbreitet, hinter dem aber dann oft nur Scheinobjektivität steckt. Das geht am Bedarf des Gesamtunternehmens vorbei und dient dann eher der eigenen Positionssicherung. Wir haben das unter dem – überzeichneten – Bild des 'HR-Bootcamps' dargestellt.
 
Haben die Personaler selbst Schuld?

Roehl: Das ist aus meiner Sicht die falsche Frage. Wenn im Unternehmen die Jagd nach den 'Schuldigen' beginnt, verlieren alle. Wichtig ist jetzt zu schauen, wie man am besten weiterkommt.  Ein wichtiger Ansatzpunkt ist das Selbstverständnis der Personaler, das ja im Wesentlichen durch das Geschäft des Unternehmens geprägt sein sollte. Nur so lässt sich die Unternehmensmission wirksam mitgestalten. Personalarbeit ist inzwischen eine hoch anspruchsvolle Profession, die eine strategische Seite hat, Kreativität erfordert, und hohe Konfliktfähigkeit mit erheblichen Kommunikations- und Kooperationskompetenzen. Aber es gibt auch Ursachen, die im System liegen. Die Komplexität des Geschäfts hat in vielen Organisationen dazu geführt, dass sich in vielen Unternehmen erhebliche organisatorische Zentrifugalkräfte entwickelt haben: Die Verantwortung wurde zunehmend in die einzelnen Wertschöpfungseinheiten übertragen. Im Prinzip ist das richtig, das Problem ist aber, dass es irgendwann außerhalb der Geschäftsführung keinen zentralen Ort im Unternehmen mehr gibt, an dem der Ãœberblick gewahrt wird.
 
Was ist so schlimm daran?

Roehl: Je stärker die Zentrifugalkräfte, desto mehr sollten sie darauf achten, die einzelnen Wertschöpfungseinheiten in eine gute Koordination zu bringen, sonst weiß die rechte Hand bald nicht mehr, was die Linke tut. Es ist erstaunlich, wie schnell entkoppelte Unternehmenseinheiten eigene Missionen entwickeln. Da ist HR übrigens keine Ausnahme.
Aus unserer Sicht hat die Personalfunktion im Unternehmen eine wichtige Funktion im Bändigen dieser Kräfte: Sie ist als bereichsübergreifende, interne Dienstleistungsfunktion eigentlich perfekt positioniert, die oft brachliegende Funktion des Wissensbrokers zu erfüllen, die den Überblick über die Kompetenz-Ressource wahrt. Im Buch sprechen wir vom 'Privileg des Überblicks'. Auf dieser Basis könnte HR tatsächlich die Unternehmensstrategie mitgestalten und das operative Geschäft durch heilsame Irritation voranbringen.
 
Irritation?

Roehl: Lassen Sie es mich an einem Beispiel verdeutlichen: Nehmen wir an, der Abteilungsleiter X im operativen Bereichs Y hat eine Tendenz, Mitarbeiter insgeheim danach auszuwählen, ob sie ihm gegenüber möglichst unkritisch sind. Nehmen wir weiter an, dass es unternehmensstrategisch wichtig wäre, dass diese Abteilung möglichst viele Innovationen produziert. Für Sie wäre es wahrscheinlich offenkundig, dass Sie mit dieser Führungskraft in Bezug auf seine Einstellungspolitik ins Gespräch kommen sollten, dass er möglicherweise einen Querdenker in seinem Team braucht oder dergleichen. Bei der gegenwärtigen unternehmenspolitischen Aufstellung vieler Personalbereiche wäre ein solcher Eingriff aber wohl nicht gern gesehen. Ein Personalwesen mit ausreichender Nähe zum operativen Geschäft legt hier den Finger auf die Wunde, irritiert und macht seine Überblickskompetenz geltend. Ein weiteres Beispiel ist übrigens das Thema Organisationsentwicklung, das in vielen Unternehmen keine organisatorische Heimat hat. Hier gibt es aus der Überblicksfunktion heraus für HR viel zu tun.
 
Wie sollen Personaler denn diese Nähe zum Operativen bekommen?

Roehl: Sie könnten sich wieder in die Fabriken begeben, mit den Menschen dort ins Gespräch kommen. Oder sich in den Verkaufsraum stellen und die eigenen Produkte des Unternehmens verkaufen, um das Geschäft besser zu verstehen und echte Bedarfe zu erkennen. Alles, was HR nach außerhalb ihrer eigenen Organisationseinheiten orientiert, ist hilfreich. Voraussetzung ist dabei übrigens, dass ein intensiver Diskurs zwischen dem operativen Geschäft und der Personalfunktion über Mandat, Rolle und Funktion von HR stattfindet.
 
Dazu gehören aber zwei Seiten.

Roehl: Richtig. Die Personalfunktion sollte von der Geschäftsleitung ein entsprechendes Mandat be­­kommen. Das ist unserer Erfahrung nach vielerorts nicht der Fall. Aber wir erleben auch immer wieder: Dort, wo Personaler eine größere Nähe zum operativen Geschäft haben und entsprechend mandatiert sind, geraten sie viel seltener in diese strategische Entkopplung. Das findet im Übrigen häufiger statt, wenn Personaler keine Kaminkarrieren innerhalb ihrer Be­­reiche hinter sich haben. Außerdem standen die Chancen zur Überwindung dieser Entkopplung noch nie so gut wie heute: Wir leben in einer Wissens­ökonomie, in der das Wissen immer noch eine stark personengebundene Ressource ist, die aber zusehends und auf inzwischen schmerzhafte Weise knapper wird. Der Fach- und Führungskräftemangel ist endgültig in den Geschäftsführungen angekommen. Da braucht die strategische Schlüsselfunktion von HR nicht mehr erklärt zu werden.
 
Und nutzen die Personaler nach Ihrer Beobachtung diese Chance?
 
Roehl: Vielerorts noch nicht. Es findet zwar beispielsweise in kleineren und mittelständischen Unternehmen ein enormer Kreativitätsschub bei der Personalgewinnung statt. Ob es dadurch aber auch zu einer Veränderung der Rolle der Personalfunktion im Unternehmen kommt, wird sich erst noch zeigen. Aber wir hoffen, mit unserem Buch dazu beitragen zu können, dass sich das ändert.


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