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„Diversity Management erzeugt auf allen Seiten Verlierer“

Diversity Management soll vieles, etwa für Fairness und Chancengleichheit sorgen. Aber auch, Unternehmen erfolgreich machen, weil durch das Vorhandensein einer diversen Belegschaft auch die Perspektivenvielfalt steigt. Tatsächlich jedoch ist das Diversity Management – so die Psychologin Johanna Degen, die zum Thema geforscht hat – in vielen Unternehmen bislang nur eines: eine große Enttäuschung. Und zwar für alle Beteiligten.

Gegen Diversity Management kann man doch gar nicht sein, oder? Tatsache ist, dass es schwierig ist, das Diversity Management von Unternehmen kritisch zu hinterfragen. Denn wer sich kritisch dazu äußert, gerät schnell in den Verdacht, gegen Vielfalt zu sein – und diskreditiert sich damit. Das ist schade, denn in Sachen Diversity Management liegt tatsächlich einiges im Argen, und das Tabu der Kritik verhindert, dass Probleme genau betrachtet und Diversity-Maßnahmen kritisch reflektiert und evaluiert werden können.

Diversity Management hat seinen Ursprung in den Bürgerrechtsbewegungen der USA um die 1950er-Jahre. Damals kämpften marginalisierte Gruppen für ihre Rechte und gegen Diskriminierung und soziale Benachteiligung. Dieser Bottum-up-Widerstand war erfolgreich und führte unter anderem zum Civil Rights Act: Vor dem Gesetz sollten alle Menschen gleich sein, unabhängig von Herkunft und Hautfarbe. Später haben sich Unternehmen das Thema in Form des Diversity Managements angeeignet – und es in diesem Zuge umgedeutet. Und dieser Wechsel ist bedeutsam. Thematisch geht es in den Betrieben, die sich Diversity Management auf die Fahne geschrieben haben, ebenfalls um Gleichstellung (unter anderem in Bezug auf Ethnie, Geschlecht und Behinderung), es geht um Schutz vor Diskriminierung und Marginalisierung sowie um Teilhabe am Arbeitsmarkt. Doch während einst die marginalisierten Gruppen selbst für ihre Interessen und Rechte eintraten, sind es heute Akteurinnen und Akteure in der Wirtschaft, die über Interessen und Anliegen der benachteiligten Gruppen verhandeln.

Diversity Management wird, das zeigen Experteninterviews, die wir geführt haben, in den Unternehmen aus drei Perspektiven betrachtet. Am häufigsten ist die Business-Case-Perspektive: Diversity soll sich bezahlt machen. In dieser Logik stellen Unternehmen zum Beispiel Personen mit Migrationshintergrund ein, um neue Märkte zu erschließen. Aus der Justice-Case-Perspektive betrachtet, ist Diversity dagegen ein Wert an sich. Das Ziel ist eine gerechtere Welt. In der Praxis zeigt sich allerdings, dass sich der Justice Case in der Regel dem Business Case unterordnet – mit reversen Effekten: Man erhofft sich, dass ethische Werte kostenfrei – quasi als positiver Spill Over – in einer vorherrschend wirtschaftlichen Logik abfallen. Man verordnet zum Beispiel eine Quote, aber man legitimiert diese dadurch, indem man betont, dass die Quote die Business Performance verbessert. Die kritische Theorie unterstellt gar, dass ethische Werte (und damit auch das Diversity Management) innerhalb eines Systems, das auf Utilisieren basiert – das also die Strategie verfolgt, letztlich alles im Sinne einer ökonomischen Logik nutzbar zu machen – gar nicht durchsetzbar sind.

In manchen Fällen wird Diversity Management auch zur reinen Fassade. Dann werden Internetauftritte visuell divers dargestellt und das Wording wird inklusiv, aber mehr passiert nicht. Ähnlich wie beim Greenwashing schmückt man sich mit ethischen Motiven, die aber nach innen nicht gelebt werden. Die Perspektive hier: Diversity Management sorgt dafür, nach außen hin Stakeholder-Erwartungen zu befriedigen, um hinter dieser Kulisse in Ruhe wie bisher weiterwirtschaften zu können. Die Mechanismen des Diversity Greenwashings sind subtil und intransparent, Angestellte wittern trotzdem oft, dass sie es mit faulem Zauber zu tun haben – und das wirkt sich auf ihr Vertrauen, ihre Loyalität, ihre Zufriedenheit und Performance aus, und zwar negativ.

Was aber ist Diversity Management eigentlich? Eine Frage, die oft nur vage beantwortet werden kann – und von Organisation zu Organisation unterschiedlich beantwortet wird. Ein Blick in die Praxis zeigt jedenfalls: Diversity Management beschäftigt in Organisationen viele Funktionen. Es werden Richtlinien erstellt, um Personalentscheidungen und Prozesse zu steuern. Es werden Newsletter und Webseiten verfasst. Diversity-gerechte Stellenanzeigen werden erstellt, die Teilnahme an Demos organisiert, Workshops durchgeführt. Mancher behauptet angesichts dessen auch, Diversity Management sei als Token „einfach nur da“, weil jede Organisation dieses Thema nun mal abdecken müsse.

Fragt man indes die beteiligten Statusgruppen, stellt man fest: Zufrieden mit dem Thema ist niemand. So werfen Führungskräfte dem Diversity Management Praxisferne vor. Ihre Kritik ähnelt auffallend der Kritik, die Keith H. Hammonds 2005 in seinem Text „Why we hate HR” formuliert hat. Warum hassen wir Diversity Management? Nicht wegen der Ideale dahinter, sondern wegen der Praxis. Oft, so die Klagen der Managerinnen und Manager, seien die Kollegen und Kolleginnen aus dem Diversity-Ressort selbst nicht divers aufgestellt: Sie folgten ihren eigenen Ansprüchen nicht und hätten außerdem wenig Erfahrung in der Wirtschaft vorzuweisen. Ihre Maßnahmen träfen die Problemlage nicht, vielmehr bremsten sie sie aus: Man suche zum Beispiel händeringend Angestellte, und werde dabei von Diversity-Kriterien behindert, die man als unpassend empfindet. Man werde als Fehlerquelle diffamiert, die ihren Vorurteilen und Verzerrungen unterliegt, und deswegen in Trainingsmaßnahmen gesteckt. Ein Manager berichtete im Rahmen der Untersuchung beispielsweise, dass eine Diversity-Maßnahme den bisher üblichen Girls‘ Day in der technischen Branche abgeschafft und zu einem „Day for everyone“ umgewandelt habe – mit dem Ergebnis, dass seither kaum noch Mädchen kommen. Ein anderer sagte, dass er Diversity Management nur dazu nutze, seine Entscheidungen zu begleiten, damit die Organisation nicht verklagt werden kann.

Das Klima ist also vergiftet, eine zielorientierte Zusammenarbeit findet nicht statt. Und so scheint aus der einstigen Bürgerrechtsbewegung, einverleibt in den neoliberalen Kapitalismus, allerlei Absurdes zu entstehen. Und es sind nicht nur die Führungskräfte, die sich mit dem Diversity Management schwertun. Auch die Benachteiligten selbst äußern sich in Befragungen desillusioniert und misstrauisch gegenüber den Akteurinnen und Akteuren des Diversity Managements. Sie nehmen das Diversity Management nicht als vertrauensvolle Anlaufstelle wahr. Und sie lehnen Fördermaßnahmen ab, die sie doch eigentlich voranbringen sollen; nicht zuletzt, weil sie sie als nutzlos oder stigmatisierend erleben. Gleichzeitig werden sie durch das Diversity Management ihrer Stimme beraubt. Da ihr Anspruch auf Gleichberechtigung qua Diversity Management stellvertretend (zumindest dem Anschein nach) schon gedeckt ist, besteht für sie wenig Möglichkeit zum Widerstand. Das heißt: Das Diversity Management nimmt benachteiligten Gruppen den Wind aus den Segeln, das Unternehmen kann sich immer darauf zurückziehen, dass es „doch schon so viel tut“. Letztlich wird Diversity Management so ein Organ zum Schutz der inhärenten Strukturen von Organisationen. Was benachteiligten Subjekten bleibt, ist die inkorporierte Liberalisierung. Man schürt in ihnen die Überzeugung, dass es eben doch nur an ihnen selbst und ihrer Leistungskraft liegt, ob sie vorankommen oder nicht.

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Nicht einmal die Diversity-Akteurinnen und -Akteure selbst sind mit der Situation zufrieden, denn auch sie erleben vielfach Enttäuschung. Oftmals im sozialen Bereich ausgebildet, sind sie mit großen Erwartungen in ihren Beruf gestartet und erleben dort strukturelle und soziale Grenzen: Ihre Maßnahmen greifen nicht, dürfen nichts kosten und haben zudem reverse Effekte. Und sie selbst werden nicht als Expertinnen und Experten adressiert. Dann bleibt nichts anderes übrig, als sich dem Business Case unterzuordnen. Denn man hat auch Eigeninteressen – zum Beispiel, seine Position zu behalten. Oftmals entsteht ein beklemmendes Gefühl, gemischt mit Projektionen. So berichten viele Diversity Managerinnen und Manager, wie enttäuscht sie von den Gruppen seien, denen sie helfen wollen, die aber ihre Maßnahmen nicht annehmen oder umsetzen würden. Es sei zum Beispiel enttäuschend, wenn Frauen keine Führungsposition übernehmen wollten, oder eben nicht unter den gegebenen, als rigide erlebten Bedingungen – an denen die Diversity-Beauftragten aber auch nichts ändern.

So befinden sich Diversity Managerinnen und Manager in einer schwierigen Position, und nicht selten ist ihr Berufsalltag von einem dauerhaft schlechten Gefühl begleitet. Viele schützen sich, indem sie ihre eigenen Netzwerke aufsuchen und pünktlich Feierabend machen. Das hat Sinn – aus Sicht des Individuums. In der Organisation entsteht so aber eine Außengruppe, die sich fernab vom Habitus der anderen verhält und dadurch Respekt einbüßt – ein Teufelskreis.

Im Diversity Management schieben sich also abwertende Gruppendynamiken, fehlende Kommunikation und ihr Ziel verfehlende Maßnahmen vor das eigentlich legitime und geteilte Anliegen, Ungleichheiten entgegenzuwirken. Dabei verlieren alle, eine Gruppe aber ganz besonders: die im Vorhinein marginalisierten Gruppen. Es ist daher dringend notwendig, die Probleme endlich offen zu benennen und das Diversity Management kritisch auf seine Wirkweisen hin zu überprüfen.

<strong>Johanna Degen … </strong>

Johanna Degen …

… ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung Psychologie an der Europa-Universität Flensburg und beschäftigte sich in ihrer Promotion mit den vielfach negativen Auswirkungen von Diversity Management. Im Jahr 2022 ist im Psychosozial-Verlag ihr Buch „Unmasking Diversity Management – Die kapitalistische Einverleibung von Subjekt, Moral und Widerstand“ erschienen. Kontakt: bit.ly/43WET6q

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