Recherche-Erlebnis

Ein Telefonat der dritten Art

Intuition ist in der Weiterbildungswelt derzeit ein großes Thema. Immer mehr Anbieter haben Seminare zur Verbesserung der intuitiven Fähigkeiten im Programm. Unter diesen gibt es allerdings auch esoterische Exoten, wie Andree Martens im Zuge der Recherche für unsere aktuelle Titelgeschichte über Intuition im Business erfahren hat. Ein Erfahrungsbericht. Gastbeitrag von Andree Martens

Den Begriff „Institut“ im Namen, Verweise auf Kooperationen mit Universitäten, Hinweise auf eigene Forschungsveröffentlichungen zum Thema Intuition – der Webauftritt macht einen vielversprechenden Eindruck. Zumal auch direkt auf der Startseite versprochen wird, dass das Institut die Anwendung von Intuition lehrt. Das interessiert mich besonders: Im Artikel soll es vor allem darum gehen, wie sich Intuition trainieren und dann in der Arbeitswelt nutzen lässt.

Telefontermin mit der Institutsleiterin vereinbart, angerufen, freundliche Stimme am anderen Ende der Leitung, kurzer Smalltalk, rein ins Thema: „Was ist Intuition?“, lautet meine Frage. „Wofür halten Sie denn Intuition?“, kommt die Gegenfrage. Ich habe mich eingelesen: „Nun ja, Experten wie Gerd Gigerenzer vom Max-Planck Institut bezeichnen Intuition ja als eine Art unterbewusster Ratgeber …“ Ein tiefes Seufzen unterbricht mich: „Da müssen wir tatsächlich ganz von vorne anfangen. Also mit dem Unterbewusstsein hat Intuition gar nichts zu tun. Intuition kommt aus dem Überbewusstsein.“ „Meinen Sie so eine Art Über-Ich wie bei Freud?“ „Nein, nein, nein, nein, nein … das Überbewusstsein wird nicht entwickelt, es ist einfach.“ „Äh … und was ist es?“ „Ein kosmisches Bewusstsein, es ist allumfassend. Sie können zu diesem auch einen Zugang entwickeln. Das können wir jetzt direkt am Telefon machen.“

Was ich dann machen soll, nennt sich Objektreading: mit meiner Intuition einen Gegenstand erkennen oder besser gesagt erspüren, den die Institutsleiterin in ihrem Büro aufstellt. Ich wiegle ab: „Ich bin für so was nicht empfänglich, das klappt bei mir nicht.“ „Das klappt bei jedem“, kommt zurück. „Immer?“, frage ich. „Ja … wenn man sich weit genug dem kosmischen Bewusstsein öffnet.“ Erinnert mich an die religiöse Totschlagargumentation: „Vertraue auf Gott, und er wird es richten.“ Und wenn es doch nicht gut ausgeht, heißt es: Du hast eben nicht tief genug vertraut.

Tatsächlich funktioniert Objektreading – zumindest dem Anschein nach – in der Praxis wohl sogar manches Mal, wie mir später ein Intuitionsexperte in einem weiteren Recherchegespräch berichtet, der ein Seminar zum Thema mitgemacht hat. Er ist sich sicher, hinter das Geheimnis der Methode gekommen zu sein. „Im Seminar möchte man natürlich, dass es klappt, und ist deshalb nicht so kritisch“, sagt er. Später wurde ihm klar: „Der Seminarleiter gab uns perfide Hinweise auf den verdeckten Gegenstand und führte unsere Gedanken langsam zu ihm hin.“ Zur Verdeutlichung die platte Variante: Erkennen Sie erste Umrisse dieses großen bequemen Gegenstandes, auf dem man abends vor dem Fernseher sitzt? „Ich glaube sogar, dass der Seminarleiter das gar nicht bewusst gemacht hat, sondern der Wunsch, dass so etwas rein intuitiv funktioniert, bei ihm so groß war, dass ihn sein Unterbewusstsein entsprechend gesteuert hat“, erklärt mein Interviewpartner. „Und weil er selbst daran glaubte, gelang es ihm auch, uns daran glauben zu lassen.“

Gerd Gigerenzer, der hierzulande der bekannteste Erforscher der Intuition ist, findet solche Seminarveranstaltungen einfach nur ärgerlich: „Sie sind mit dafür verantwortlich, dass das Thema Intuition in die esoterische Ecke gerückt ist. Es da wieder herauszuholen, ist harte Arbeit.“ Die sich aber lohnt, wie Gigerenzer und andere Intuitionsexperten, die sich wissenschaftlich mit dem Thema beschäftigen, überzeugt sind. Denn wenn man die eigene Intuition trainiert und anzuwenden weiß, kann sie das eigene Entscheidungsverhalten deutlich verbessern und erleichtern. Einige sprechen von ihr gar als eine der wichtigsten Managementkompetenzen der Zukunft.

Wie man die eigene Intuition trainieren kann und sich diese im Business nutzen lässt, lesen Sie in unserem Beitrag „Intuition lernen: Klüger spüren“. Der ist – versprochen – frei von Esoterik.

03.08.2015
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