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Persönlichkeitstrainings und der 'machiavellistische Zug im Management'

Ein umstrittener Gesetzesantrag, Positionspapiere, Scientology-Distanzierungserklärungen und obendrauf ein Buch der Münchener Journalistin Bärbel Schwertfeger - das Thema Persönlichkeitstrainings sorgt weiterhin für Zündstoff. Grund genug für die im Presseclub Tagung und Weiterbildung (PTW) vernetzten Fachjournalisten auf ihrem Treffen am 4. April 1998 im Seehotel Seminaris, Potsdam, Dr. Jürgen Keltsch, Mitglied der Enquêtekommission 'Sogenannte Sekten und Psychogruppen' des Deutschen Bundestages, einzuladen.

Keltsch, mitverantwortlich für den seit Monaten heiß diskutierten Gesetzesentwurf 'zur Regelung der Rechtsbeziehungen zwischen Anbietern und Hilfesuchenden auf dem Gebiet der gewerblichen Lebensbewältigungshilfe', erläuterte aus seiner persönlichen Sicht die Motive und Ziele des Vorhabens. Schnell wurde deutlich, daß sich hinter dem profanen Anliegen des Verbraucherschutzes nicht weniger als eine ethische Grundsatzdiskussion verbirgt, die sich um die zentralen Fragen dreht: Welches Menschenbild wird durch unser gegenwärtiges Wirtschaftssystem geprägt? Und was dürfen in diesem Zusammenhang Persönlichkeitstrainings?

Keinen Zweifel ließ Keltsch daran, was Persönlichkeitstrainings können: Es gäbe inzwischen ein umfangreiches 'psychologisches Herrschaftswissen', dessen sich Trainer zunehmend bedienten. Das Problem sei, daß viele Trainer aufgrund völlig unzureichender Qualifikation oder auch schlichter Unverantwortlichkeit grob fahrlässig damit umgingen und ihre Teilnehmer über die möglichen Konsequenzen im unklaren ließen. Häufig sei die bewußte Nicht-Information bereits der erste Griff in die 'psychologische Trickkiste', um die Teilnehmer zu überrumpeln und damit im Sinne des Seminar-Settings zu instrumentalisieren. Keltsch plädiert für eine rigorose Öffnung des Herrschaftswissens: Trainer sollten ihre Auftraggeber und Teilnehmer bereits im Vorfeld über die eingesetzten 'Psycho-Techniken' inklusive ihrer nie auszuschließenden 'Nebenwirkungen' eingehend informieren. Erst dadurch werde die Voraussetzung geschaffen, daß der Teilnehmer aus freien Stücken entscheiden könne, ob er an einem Persönlichkeitstraining teilnehmen will - oder eben nicht.

'Die Selbstbestimmungsfähigkeit des einzelnen zu schützen', formulierte Keltsch das zentrale Ziel des Gesetzesentwurfs. Diese sei zum einen durch zweifelhafte Persönlichkeitstrainings gefährdet, zum anderen durch den Druck vieler Arbeitgeber, die entsprechende Weiterbildungsmaßnahmen von ihren Mitarbeitern einfordern, ohne sich über die Angebote eingehend zu informieren. Keltsch beobachtet in diesem Zusammenhang einen bedenklichen Paradigmenwechsel vom ideologischen zum technologischen Menschenbild. Viele Seminare zur Persönlichkeitsentwicklung würden einem puren Zweckrationalismus und einer teilweise sozialdarwinistischen Erfolgsphilosophie huldigen. Dementsprechend müßten sich auch die Personalverantwortlichen in Unternehmen der Frage stellen, ob und inwieweit sie derartiges Gedankengut offen oder stillschweigend unterstützen.

'Wir haben einen machiavellistischen Zug im Management', resümierte Keltsch, der auch nicht mit Selbstkritik sparte: Annähernd zwei Jahre habe die Enquêtekommission darüber gestritten, ob es so etwas wie Psycho- und Sozialtechniken überhaupt gäbe. So müsse sich die Diskussion nun auch endlich vom leidigen Sektenbegriff lösen, da dieser zum einen juristisch nicht faßbar sei und zum anderen am Kern der Sache vorbeigehe. 'Die hochwirksamen Bewußtseintechniken sind das Problem, nicht die über diese Techniken gegebenenfalls transportierten zweifelhaften bis destruktiven Weltanschauungen,' erklärte Keltsch.
Autor(en): (jgr)
Quelle: Training aktuell 05/98, Mai 1998
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