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Pro und Contra

Wie sinnvoll sind anonyme Bewerbungen?

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat ein einjähriges Pilotprojekt zur Prüfung des Nutzens anonymer Bewerbungen gestartet. Fünf Unternehmen sowie das Bundesfamilienministerium nehmen fortan (zumindest in bestimmten Bereichen) nur noch Bewerbungen ohne Foto, Namens-, Alters- und Wohnsitzangabe an. Das Verfahren soll Benachteiligung aufgrund von Herkunft, Alter, Aussehen oder Geschlecht verhindern. managerSeminare mit einem Für und Wider anonymer Bewerbungen.

Pro: Anonym ist gerecht und gut für die Wirtschaft'
Von Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes

Frauen mit Kindern, ältere Bewerber und Menschen mit ausländischen Namen haben bei Bewerbungsverfahren deutlich schlechtere Chancen, zum Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden als andere. Dies belegen Studien und unsere Erfahrung als Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Das ist nicht nur ungerecht, es schadet auch der wirtschaftlichen Effizienz. Deshalb habe ich als Leiterin der Antidiskriminierungsstelle bei Unternehmen und Behörden dafür geworben, gemeinsam ein 'anonymisiertes Bewerbungsverfahren' zu testen. In diesem Herbst startet das deutschlandweite Pilotprojekt mit fünf Unternehmen, darunter die Deutsche Post sowie die Deutsche Telekom. Kein Foto, kein Name, keine Angaben über Herkunft,  Familienstand und Alter – hier werden nur Qualifikationen im Vordergrund stehen. Die verschiedenen Möglichkeiten, wie das in der Bewerbungspraxis umgesetzt werden kann, wollen wir während des einjährigen, wissenschaftlich begleiteten Modellprojekts herausfinden.

Die Antidiskriminierungsstelle wirbt hier für eine völlig neue Bewerbungskultur. Das sorgt ganz offensichtlich für heftige Diskussionen. Doch die bislang vorgebrachten Argumente gegen anonymisierte Bewerbungen sind oftmals irreführend. Manche belegen sogar eindeutig, dass der Arbeitsmarkt in Deutschland dringend neue Bewerbungsverfahren braucht. Wenn Patrick Adenauer vom Verband der Familienunternehmer etwa im Westfalen-Blatt sagt: 'Unternehmen benötigen die Angaben von Alter und Geschlecht, weil dies für die Vergabe der meisten Arbeitsplätze von entscheidender Bedeutung ist', stellt sich doch die Frage: Warum eigentlich? Es gibt außer bei Schauspielern und in wenigen Einzelfällen (wie im Fall einer Betreuerstelle im Mädcheninternat) kaum Berufe, bei denen das Geschlecht oder Alter objektiv gesehen von Bedeutung sind. Häufig kommt auch das Argument, dass durch anonymisierte Bewerbungen die Förderung von Frauen oder Einwanderern erschwert werde. Das zeigt nur, dass Kritiker offenbar davon ausgehen, bei Einladungen allein auf Grundlage von Qualifikationen säßen keine Frauen oder Einwanderer in den Bewerbungsgesprächen. Das ist absurd. Erfahrungen in anderen Ländern zeigen: Anonymisierte Bewerbungen können dabei helfen, dass solche Förderprogramme vielleicht in Zukunft nicht mehr notwendig sind.


Contra: 'Mit anonymen Bewerbungen ist keinem gedient'
Von Patrick Adenauer, Präsident des Verbandes der Familienunternehmer in Berlin

Erst ein Vorstoß zur Einführung von Frauenquoten, jetzt eine Initiative für anonyme Bewerbungsverfahren. Da darf man schon kritisch fragen, ob hier Weg und Ziel wirklich noch stimmig sind: Wie soll der Anteil von Frauen erhöht werden, wenn deren Bewerbungen neutralisiert sind? Die Beschäftigungsquote von Frauen in Deutschland sollte erhöht werden, wie auch die Zahl von Ingenieurinnen und Naturwissenschaftlerinnen. Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels, der sich in den nächsten Jahren verschärfen wird, müssen wir auf allen Ebenen mehr Frauen gewinnen. In der neuesten Umfrage unseres Verbandes gaben 66 Prozent der befragten Familienunternehmer an, dass sie Stellen aufgrund fehlender qualifizierter Bewerber nicht besetzen können. Es wäre also grob fahrlässig, nicht das ganze Potenzial ausgebildeter Arbeitskräfte zu nutzen.

Wird sich durch anonymisierte Bewerbungen die Stellung von Frauen, Älteren und Migranten auf dem Arbeitsmarkt verbessern? Nein, weil es ausreichende Gesetze gegen Diskriminierung gibt – und weil kaum Benachteiligung nachgewiesen werden kann. Im Gegenteil: Viele Unternehmer in Deutschland starten Initiativen, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, altersgerechte Personalentwicklung und die Vielfalt in den Betrieben zu verbessern. Vor jeder Stellenausschreibung werden sehr konkrete Anforderungen an Bewerber, die klar umrissene Aufgaben im Betrieb bewältigen müssen, formuliert. Ein Spediteur etwa braucht für den Möbeltransport andere Mitarbeiter als für die Disposition. Das liegt in der Natur der Sache. Kein Unternehmer kann sich Fehlbesetzungen leisten. Genauso wenig können kleine und mittlere Unternehmen Bewerbungsprozesse bewältigen, die sie zur Einladung großer Bewerberzahlen für einzelne Stellen zwingen. Der Großteil der Familienunternehmen beschäftigt weniger als 25 Mitarbeiter. Für sie wäre das anonyme Verfahren schlicht nicht umzusetzen. Sie müssten private Arbeitsvermittler beauftragen, was in Ländern mit erzwungenen anonymen Bewerbungen bereits die Folge ist.

Gedient wäre mit anonymisierten Bewerbungen auch nicht den Bewerbern:  Bis zur Unkenntlichkeit veränderte Unterlagen, reduziert auf standardisierte Formblätter, sind eine zwangsläufige Folge der Anonymisierung. Da bleiben keine Spielräume mehr für eine kreative persönlichere Selbstdarstellung der Bewerber. Anonyme Bewerbungen wären also nur eine neue Hürde auf dem Arbeitsmarkt.

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