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Nachruf auf Peter Kruse

Ein Vordenker ging

Peter Kruse ist tot. Am 1. Juni starb der Netzwerkforscher unerwartet und plötzlich an einem Herzversagen. Nur 60 Jahre wurde er alt. Der Businesswelt hinterlässt er viele bahnbrechende Gedanken, aber auch viele offene Fragen. Ein Nachruf.

Auf Peter Kruse treffen viele Beschreibungen zu: Unternehmensberater, Netzwerkforscher, Systemtheoretiker, Redner, Neurophysiologe, Querdenker, Vordenker, Experimentalpsychologe, Analytiker ... Er war in vielen Rollen zu Hause – inhaltlich kreiste seine Arbeit jedoch immer um Ordnungsbildungsprozesse in intelligenten Netzwerken – vom Gehirn bis zum Internet.

Studiert hat Kruse Psychologie, Humanmedizin und Biologie. Seinen Abschluss machte er in Psychologie, in diesem Fach promovierte er auch. 2001 gründete er in Bremen die nextpractice GmbH, die auf die Begleitung von kulturellem Wandel sowie Trend- und Zukunftsforschung spezialisiert ist. Bis zu seinem Tod war er dort gemeinsam mit seinen Kollegen Andreas Greve und Frank Schomburg Geschäftsführer. Mit nextpractice begann Kruses Weg in die breite öffentliche Bekanntheit.

'Stabilität ist tödlich'

2003 berichtete managerSeminare erstmals über Peter Kruse. Kruse war einer der Keynote Speaker des damaligen DGFP-Kongresses, damals noch in Wiesbaden beheimatet. Eindringlich beschrieb er die zunehmende Komplexität und Dynamik unserer Wirtschaft, in der die bloße Optimierung von Bestehendem nicht mehr ausreiche. 'Die meisten Menschen, die unter Druck geraten, machen immer mehr von demselben, nur noch intensiver. Wann immer sich aber die Umwelt ändert, ist Stabilität tödlich. Sie ist weit schlimmer als Instabilität', plädierte der Organisationspsychologe für den Mut zur Innovation, zum Prozessmus­terwechsel, zu der von ihm so genannten Next Practice.

Kruse wurde ein gefragter Experte zu den Themen Musterbruch, Umgang mit Komplexität, Schwarmintelligenz. Schon damals hatte er das Thema Führung im Blick. 'Führungsinstrumente wie harte Zielvereinbarungen und Controlling sind an stabile Rahmenbedingungen gebunden. Aber wenn es in der Umwelt ständig zu Veränderungen kommt, dann hilft Steuern und Regeln nicht mehr weiter, es blockiert nur', erklärte er in einem im November 2003 veröffentlich­ten Artikel in managerSeminare zur Führung in turbulenten Zeiten. Seine Forderungen an Führungskräfte waren deutlich: 'Manager, überschätzt Euch nicht so fürchterlich. Die Intelligenz sitzt in der Peripherie. (...) Kompetenzen, die im System vorhanden sind, müssen in einer freien Dynamik miteinander arbeiten können, um so neue Lösungen hervorzubringen.' Kruse schwebten integre Manager vor, die 'ein sich selbst organisierendes Mitarbeiternetzwerk mit hoher Systemkompetenz und Gefühl für eine Balance zwischen Stabilität und Instabilität moderieren' können.

'Die grundlegende Machtverschiebung'

Für Kruses Popularität bildet das Jahr 2010 einen Meilenstein. Im April 2010 trat Kruse auf der republica auf, die Internetgemeinde feierte ihn mit Standing Ovations. 2010 sprach Kruse als Netzwerkexperte in der Enquete Kommission für 'Internet und digitale Gesellschaft' im Deutschen Bundestag. In nur wenigen Minuten erklärte er, warum das Internet die Gesellschaft durch eine grundlegende Machtverschiebung vom Anbieter zum Nachfrager revolutioniert. Die TV-Aufzeichnung davon wurde bei YouTube mehr als 100.000 mal geklickt.

Es war aber auch das Jahr 2010, das Kruse nicht nur Ruhm, sondern auch Häme einbrachte. Im Mai erschien in der FAZ ein ganzseitiges Porträt über ihn. Die Headline: 'Der Vollweise', der Inhalt: ein Verriss. Kruse wurde beschrieben als Mischung aus Faust, Luther, Moses und Peeperkorn. O-Ton: 'Von Faust hat er den Wissensdrang, von Luther das ,Hier stehe ich und kann nicht anders‘, von Moses das Gesetzgeberische und von Peeperkorn die Neigung, viel zu sagen, ohne dass man hinterher immer wüsste, was.' Der Artikel trat eine Lawine an Reaktionen und Blogartikeln los. Die Schmähschrift der FAZ galt vielen als eine Art Retourkutsche auf Kruses Kritik an Schirrmacher. In einem Interview hatte Kruse den FAZ-Herausgeber als 'Zaungast' bezeichnet, 'der einer wilden Party gleichermaßen neugierig wie irritiert aus der Ferne zuschaut'. Gemeint war Schirrmachers Haltung zum Informationszeitalter.

Kruse ging mit der Kritik nach außen hin gelassen um. In einem Blog namens 'What’s next?' stellte sich der Honorarprofessor für Organisationspsychologie den Anfeindungen: Besonnen und gepaart mit Humor schrieb er: 'Im Moment lerne ich, was ich mit den Netzen und was die Netze mit mir anfangen können ...'

'Führungskräfte im Zwangsapparat'

Weitere Popularität erlangte Kruse durch die Studie seines Unternehmens nextpractise zur 'Führungskultur im Wandel'. Sie ist Teil des Projektes Gute Führung, das unter dem Dach der Initiative Neue Qualität für Arbeit vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales seit 2012 gefördert wird. Rund 400 Führungskräfte und 100 Mitarbeiter wurden dafür interviewt. Die Er­­­gebnisse der Studie hatten es in sich: Rund 77 Prozent der deutschen Führungskräfte haben das Gefühl, dass die Art und Weise, wie Führung in Deutschland praktiziert wird, den Anforderungen nicht entspricht. Nicht den heutigen. Und erst recht nicht denen in der Zukunft. 'Es ist ein regelrechter Zwangsapparat, in den sich Führungskräfte heute eingespannt sehen', kommentierte Peter Kruse die Ergebnisse in der Januar-Ausgabe 2015 von managerSeminare: 'Viele Führungskräfte haben das Gefühl, zwischen dem ‚Mach mich reich!‘ der Aktionäre und dem ‚Mach mich glücklich!‘ der Mitarbeiter aufgerieben zu werden.'

Kruse trieben die Ergebnisse der Studie um, er sah damit nicht nur die Führungspraxis in Frage gestellt, sondern den generellen Grundtakt unserer Gesellschaft mit ihrem Fokus auf Wachstum und dauernden Produktivitätssteigerungen. 'Diese Gesellschaft müsste endlich ihre Hausaufgaben machen und das wichtige Thema bearbeiten: Wie wollen wir eigentlich leben?', regte Peter Kruse in managerSeminare an. Dass es ihm ernst war mit dieser Frage, belegt der Nachruf seiner Partner und Mitarbeiter auf der Unternehmenshomepage. Sie berichten davon, dass Kruse in Ergänzung zu nextpractice ein Institut aufbauen wollte, das ein besseres Verständnis für das komplexe Miteinander in unserer Gesellschaft schafft und Diskursprozesse für eine lebenswertere Welt initiiert. Nicht nur seine Mitarbeiter hätten ihm die Verwirklichung dieses Lebens­traums gewünscht.
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