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Kienbaum Jahrestagung 2017

Durchdacht digitalisieren

Das Personalmanagement steht vor der Herausforderung, den digitalen Wandel mitzugestalten, der immer mehr Unternehmen erfasst. Jetzt sucht es nach dem passenden Modus dafür. Bei der Jahrestagung der Unternehmensberatung Kienbaum, Ende Mai 2017, diskutierte die HR-Szene Wege und Irrwege.

'Bist du auch Evangelist?' – Geht es um die Digitalisierung und um die Transformation der Unternehmen hin zu neuen Arbeitsformen, dann wird das von vielen fast schon 'wie eine Religion gehandhabt', beobachtet Heike Bruch, Leadership-Forscherin von der Universität St. Gallen. Bruch sitzt als Diskutantin auf dem Podium bei der Jahrestagung der Kienbaum Consultants Ende Mai 2017 in Ehreshoven. Die Kölner Unternehmensberatung hat ihre Tagung – es ist die sechzehnte – dieses Mal zum HR Innovation Clash erklärt. Das Podium ist stilecht wie ein Boxring dekoriert. Der Kampf freilich wird rein argumentativ ausgetragen. Es geht darum, wie Unternehmen die digitale Transformation stemmen können – und vor allem, wie das Personalmanagement zum Treiber dieser Transformation wird. 
Jetzt gerade, in der Diskussionsrunde mit Heike Bruch, dreht sich der Schlagabtausch um die Frage, ob mit Arbeit 4.0 tatsächlich alles besser wird – so, wie es mancher von der Forscherin zitierte 'Evangelist' neuer Arbeitsformen propagiert. Bruch machte indes deutlich, dass sie wenig davon hält, New Work als obligatorische Heilslehre zu verstehen, der jedes Unternehmen, jeder Unternehmensbereich unbesehen folgen muss. 'Wer mit Pauschalrezepten in die Zukunft geht, wird scheitern', prophezeite die Professorin. Firmen müssten sich stattdessen Gedanken machen, ob und wo sie Speed in die Organisation bringen müssen – sprich: Flexibilität, Agilität und damit Innovationskraft – und ob oder in welchen Bereichen es für sie eher darum gehen sollte, das Bestandsgeschäft zu optimieren.

Zwischen Bestandsgeschäft und Innovationsbusiness
Was den rund 500 Besuchern während der Tagung vor Augen geführt wurde: Einfacher wird ihr Job nicht. Im Gegenteil. Dass sich die Unternehmen derzeit zwischen verschiedenen Ansprüchen zurechtfinden müssen – dem Anspruch, das Kerngeschäft zu optimieren, und der Notwendigkeit, Führungskräfte und Mitarbeiter darin zu unterstützen, neue, digitale und agile Wege zu gehen, um innovationsstärker zu werden – stellt das Personalmanagement vor große neue Herausforderungen.
Warum, das machte Telekom-Personalvorstand Christian P. Illek deutlich, der sich in seiner Keynote ebenfalls überzeugt davon zeigte, dass Unternehmen fortan, 'beidhändig' werden, also 'Ambidextrie' leben müssen. 'Die Schwierigkeit', sagte Illek, 'besteht darin, dass die Welt des Kerngeschäfts nach völlig anderen Regeln läuft als die innovative Welt.' Auf der einen Seite: permanente Optimierung, Effizienz und Fehlervermeidung. Auf der anderen Seite: Variabilität, Fehlerfreundlichkeit und die Bereitschaft, Risiken einzugehen.

New Work ist der Engpass der digitalen Transformation
Die Lage stellt sich freilich je nach Betrieb unterschiedlich dar: Während in manchen Unternehmen noch immer die Bestandsorganisation dominiert, liegt in anderen schon heute ein Schwergewicht auf Change und Innovation, erklärte Kienbaum Geschäftsführer Walter Jochmann in seiner Eröffnungsrede. Immerhin eröffnet dies den Menschen Möglichkeiten, dorthin zu gehen, wo sie sich von ihrer Qualifikation und Neigung her gut aufgehoben fühlen. Gleichwohl: Ein Großteil der herkömmlichen Sachbearbeiter-Positionen wird im Zuge der Digitalisierung wegbrechen. Die Gefahr, so Jochmann: 'Die digitale Revolution könnte die erste sein, die die Menschen von ihrer Qualifikation her überfordert.'Damit ist HR gefordert. Denn, so Heike Bruch: 'Die New-Work-Transformation ist der Engpass der digitalen Transformation.' Ohne Veränderungen in der Zusammenarbeit, Führung und Qualifikation geht es nicht. 'People is the new oil', formulierte Jochmann plakativ. Und die Personaler sitzen am Hebel, um das kostbare Öl zu fördern.
Allerdings kann dabei auch einiges schief gehen. Zur Einstimmung auf die Podiumsdebatte stellte Forscherin Bruch eine Studie vor, die voriges Jahr an ihrem Lehrstuhl erstellt worden war. Die Erhebung ('Wie Sie ihr Unternehmen in die neue Arbeitswelt führen') zeigt, dass Firmen, die den Fehler machen, New Work undurchdacht zu implementieren, indem sie nur Einzelmaßnahmen wie flexible Arbeitszeiten, Home-Office und Co. einführen, häufig in der Gruppe der 'modern Überforderten' landen. Das sind Unternehmen, die nach Einführung neuer Arbeitsformen eher Probleme als Verbesserungen ihrer Performance zu verzeichnen haben. Die sechs Prozent Firmen, die durch neue Arbeitsformen tatsächlich Performance-Zuwächse erleben, zeichnen sich dagegen dadurch aus, dass sie auch in puncto Führung, Kultur und Kompetenzen weiterentwickelt sind – etwa über eine echte Vertrauenskultur verfügen, agile Strukturen und selbstkompetente Mitarbeiter. Bruchs Rat: Personaler sollten keiner Instrumenten-Euphorie erliegen, sondern Führung, Kultur und Kompetenzen im Unternehmen systematisch, ausgehend von einem 'guten Bild des Status quo', entwickeln.

Mehr Kundennähe ist gefragt

Das impliziert, genau darauf zu achten, was interne Kunden wirklich brauchen. 'Keine HR-Kampagnen starten, sondern konkrete Schmerzpunkte des Business lösen', brachte Julia Bangerth von der Firma Datev die zentrale HR-Herausforderung in einem Workshop auf den Punkt. Walter Jochmann rief unterdes zu einer selbstkritischen Inventur auf: HR solle seine Instrumente auf den Prüfstand stellen: Wie müssen zum Beispiel Weiterbildungsprozesse, wie Karrierewege gestaltet sein, damit diese agilen Ansprüchen gerecht werden?
Beantworten können die HR-Profis solche Fragen nur, wenn sie selbst agiler, innovativer und digitaler arbeiten. Wenn sie ihr Ohr – etwa mit Design-Thinking-Methoden – am Puls ihres internen Kunden haben. Ihre größte Hebel-Wirkung werden die HR-Profis nach Jochmanns Prognose in Zukunft jedenfalls nicht nur dann entfalten, wenn sie in der Rolle des Strategen (HR Consultant) gemeinsam mit der Unternehmensleitung die digitale Transformation gestalten, sondern auch, wenn sie als HR-Experte bestehende Prozesse optimieren und neue – kundennahe – Prozesse und Strukturen für die digitale Zukunft etablieren. Doch darin, eine kundenzentrierte Produkt- und Erlebniswelt zu schaffen, hat HR bislang eines der größten Defizite, wie eine digitale Publikumsabstimmung auf der Tagung bestätigte.
Nur wenige Firmen wagen bislang Experimente wie die Telekom, die ihren zwischen Innovations- und Bestandsgeschäft balancierenden Führungskräften neuerdings mit einem neuen Qualifikationsangebot unter die Arme greift: einer cloudbasierten Führungsakademie ('Level up'), in der die Teilnehmer kollaborativ und selbstgesteuert lernen.
Auch bei Zalando, dem digitalen Mode-Riesen – auf der Tagung vertreten durch die Personalchefin Frauke von Polier – stellt sich die Frage: 'Wie stellen wir sicher, dass wir Lösungen schaffen, die für die Menschen sind, nicht umgekehrt?' Doch fallen die Antworten hier radikaler aus. Die Zalando-Mitarbeiter geben sich zum Beispiel permanent gegenseitig Feedback über eine Online-Plattform. Seit dem ersten Quartal 2017 seien so schon eine Viertelmillion Feedback-Datenpunkte gesammelt worden, vermeldet von Polier.

Warnung vor den Algorithmen
Wenn Personaler ihre Arbeit allerdings digitalisieren und beispielsweise Predictive Analytics nutzen – also Computersysteme, die Vorhersagen darüber treffen, welche Mitarbeiter sich aufgrund der Daten, die über sie vorliegen, in Zukunft wie verhalten werden – dann liegt darin auch eine Gefahr. Der Stargast der Jahrestagung, der Journalist und Verleger Jakob Augstein, warnte in seinem Redebeitrag vor einer den Menschen außen vor lassenden Dynamik, die durch die moderne Datentechnik in die Welt kommt: 'Es ist bemerkenswert zu erleben, dass Computer-Simulationen so sehr als Tatsache gehandelt werden, dass kein Raum mehr für Erfahrung, Intuition, den gesunden Menschenverstand bleibt', so Augstein. Davor müssen in Zukunft auch HR-Profis auf der Hut sein.

Linktipp
Unter www.kienbaum.com/de/ehreshoven/home findet sich eine Fülle von Material zur Kienbaum Jahrestagung 2017. Viele Referenten haben ihre Präsentationen eingestellt, darunter – im Beitrag von Walter Jochmann ('Eine Rose ist eine Rose ist eine ...?') – Ergebnisse einer aktuellen Studie von Kienbaum und der DGFP zum aktuellen Status quo der HR-Strategie und -Organisation.
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