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Buchkritik: 'Smile or Die'

Barbara Ehrenreich attackiert den Optimismus-Terror

Gut drauf sein ist per se gut? Nicht, wenn es ein gesellschaftliches Dogma ist, dem sich keiner entziehen kann, schreibt Barbara Ehrenreich in ihrem gerade auf deutsch erschienenen Buch 'Smile or Die'. In dem Werk nimmt die US-Journalistin den vor allem in den USA grassierenden Zwang zum Optimismus aufs Korn.

Wer hat im vergangenen US-Wahlkampf nicht von ihm gehört? Von Joe, dem Klempner, der sich gegen eine Reichensteuer aussprach, im festen Glauben daran, irgendwann einmal selbst zu den Wohlhabenden zu gehören. Und das, obwohl sich sein zukünftiger Reichtum in keiner Weise in irgendetwas real Greifbarem abzeichnete. Joe ist aus Sicht der US-Journalistin Barbara Ehrenreich das typische Opfer einer Ideologie, die sich (v.a., aber nicht nur) in den USA seit 20 Jahren breitgemacht hat: der Ideologie des positiven Denkens. Mit der zwanghaft optimistischen Denke rechnet Ehrenreich auf famose Weise in ihrem nun auch auf deutsch erschienenen Buch 'Smile or Die: Wie die Ideologie des positiven Denkens die Welt verdummt' ab.

Was an Optimismus und Zuversicht so falsch sein soll? Per se nichts, betont Ehrenreich, die beileibe nicht den Miesepetern das Wort reden will. Bloß sind in Amerika aus ihrer Sicht positives Denken und Optimismus mittlerweile weniger Resultat einer echten Gemütslage als vielmehr ein mentales Zwangsprogramm, das als kultureller Konsens daherkommt. Es gilt die Doktrin: Wer positiv denkt und optimistisch ist, der wird auch erfolgreich sein – egal wie die Umstände sind. Und wer nicht erfolgreich, leistungsfähig oder gesund ist, der hat halt bloß nicht genug an seiner inneren Einstellung gearbeitet – ist also selbst schuld.

Der Glaube an die Gedankenkraft nimmt magische Formen an

Der Glaube an die Kraft einer positiven Haltung nimmt im Denken nicht weniger Amerikaner gar magische Formen an, schreibt Ehrenreich. Nur eine Spitze des Eisbergs ist der Autorin zufolge der US-Megaseller 'The Secret': ein esoterisches Ratgeberbuch, in dem u.a. von einer Frau berichtet wird, die Mr. Right 'angezogen' hat, indem sie ganz fest daran geglaubt hat, dass ihr Zukünftiger bald auftaucht und ihr gesamtes Leben schon mal so eingerichtet hat, als sei er bereits an ihrer Seite. Auch ein Freund Ehrenreichs – ein an Auftragsmangel leidender Fotograf – kam mit magischem Denken ähnlicher Couleur in Kontakt: Als er sich an einen Lebensberater wandte, riet dieser ihm, stets einen 20-Dollar-Schein in der Tasche mitzuführen, um weiteres Geld 'anzuziehen'. Andere Lebenscoachs raten Kunden, Sätze wie 'Ich liebe reiche Menschen' auszusprechen – um eine innere unbewusste Abneigung gegen Reichtum abzulegen und damit dem Geldsegen Tür und Tor zu öffnen ... Ob auch die Wirtschaftskrise aufs Konto des Zwangsoptimismus geht, wie Ehrenreich vermutet, mag dahingestellt bleiben. Immerhin spielten leichtfertig an ihre Rückzahlungsfähigkeit glaubende Immobilienkäufer und jegliches Risikobewusstsein ausblendende Finanzjongleure darin eine Rolle.

Wie Ehrenreich es darlegt, ist der moderne Zwangsoptimismus eine aus der Fasson geratene Weiterentwicklung des 'Neuen Denkens', das sich im 19. Jahrhundert als Gegenbewegung zum moralinsauren Calvinismus entwickelt hatte. Verlangte der Calvinismus dem sündigen Menschen ständige Arbeit an der eigenen Tugendhaftigkeit ab, so verkündeten die Apologeten des 'Neuen Denkens' einen gütigen Gott, dem auch weltlicher Wohlstand wohlgefällig ist, und einen Menschen, dessen Geist Teil des vollkommenen, umfassenden göttlichen Geistes – und somit perfekt – ist. Deshalb glaubte man z.B., Krankheit sei nur eine Störung des Geistes und könne auch nur durch diesen geheilt werden. Das Zwanghafte des Calvinismus, glaubt Ehrenreich, lebt insofern bis heute fort, als es jetzt darum geht, sich permanent hinsichtlich der alles entscheidenden inneren Haltung zu überwachen. In neuerer Zeit vorangetrieben wurde der Glaube an die alles entscheidende optimistische Haltung aus Sicht der Autorin maßgeblich durch eine prosperierende 'Bewusstseinsindustrie' von Erfolgscoachs und Motivationstrainern. Deren Kunden der ersten Stunde macht Ehrenreich unter den Vertretern aus. Bei diesen sei es, schreibt sie, auch durchaus verständlich gewesen, dass sie nach Mitteln suchten, die ihnen halfen, trotz ständiger Ablehnung seitens der Kunden weiterhin nicht den Kopf hängen zu lassen und zuversichtlich an der nächsten Tür zu klingeln.

Zwangsoptimismus stellt aufmüpfige Geister ruhig

Doch – so glaubt Ehrenreich – mit zunehmender ökonomischer Instabilität und einem gewissen Realitätsverlust an der Managementfront, sickerten die Lehren auch in alle anderen Bereiche der Wirtschaft ein. Sie wurden attraktiv für Manager, die sich nicht mehr so sehr um Risikoanalysen und Fünfjahrespläne kümmerten als vielmehr auf ihre Intuition und ihr Charisma setzten. Vor allem aber sei es für die sich verschlankenden, zunehmend auf prekäre Jobs setzenden Unternehmen bequem, wenn verzweifelte Gekündigte und überlastete Mitarbeiter in Bewerbungstrainings oder Motivationsseminaren erfahren, dass ihr Glück und Erfolg allein an der eigenen Einstellung hängen. Da klagt dann auch niemand über prekäre Jobs, Entlassungen und zunehmendem Leistungsdruck. Niemand ist wütend auf die Umstände, keiner strebt Veränderungen an, die zu einer wirklichen Verbesserung der Lebensqualität für alle – zu echtem sozialen Fortschritt – führen würden.

Das positive Denken schwappte laut Ehrenreich auch in andere Lebensbereiche, wird heute etwa von Mega-Church-Predigern und auch Therapeuten weiterverbreitet. Die Autorin selbst wurde auf das Thema aufmerksam, weil sie vor einigen Jahren an Brustkrebs erkrankt war. Mit ihrer Angst und Wut traf sie auf eine Welt aus rosa Schleifchen und Teddybärchen, in der die Krankheit von allen Beteiligten (wie sie es empfand) zwanghaft schöngeredet und zur 'Chance' umdefiniert wurde. Ehrenreich bekam den Rat, wolle sie ihre Heilung nicht gefährden, unbedingt die negativen Gefühle abzustellen. Kritisch fragt sie, wo die Grundlagen für diese Forderung liegen, die den Kranken zusätzlich unter Druck setzt. Denn der Forschungsstand lässt einen eindeutigen Schluss über den Zusammenhang von Krankheitsverlauf und innerer Einstellung bislang keineswegs zu.

Wie Ehrenreich feststellt, ist das positive Denken, indem es den Betroffenen die Schuld und alleinige Verantwortung zuschiebt, auch eine Absage an Empathie und Mitgefühl. Tatsächlich traf die Journalistin – etwa auf der Convention der National Speakers Association – auch auf manchen Erfolgscoach, der nicht nur riet, sich möglichst keine negativen Nachrichten anzuschauen, sondern auch, sich von allen negativen Menschen zu trennen. Zu Recht fragt Ehrenreich, in welch sozial kalte Welt das in letzter Konsequenz führen würde.

Ãœbers Ziel hinausgeschossen?

Auch wenn die Erkenntnis, dass simple Erfolgsphilosophien vom Typus 'Tschakka – Du schaffst es!' dem Einzelnen eher schaden als helfen, keineswegs neu ist – hierzulande etwa hatte z.B. vor gut zehn Jahren bereits der Psychologe Günther Scheich sein erhellendes Buch 'Positives Denken macht krank' vorgelegt –, Ehrenreichs Polemik ist gleichwohl lesenswert, weil sie den Blick auf die Bandbreite der (möglichen) sozio-ökonomischen Wirkweisen dieses Denkens lenkt. Vor diesem Hintergrund kann man es der Autorin vielleicht nachsehen, dass sie womöglich zuweilen ein Stück übers Ziel hinausschießt. In ihrer Kritik an der Trainings- und Coachingbranche etwa erhalten Differenzierungen keinerlei Raum. Auch, dass sie neben den Psychogurus die Vertreter der positiven Psychologie extrem scharf unter Beschuss nimmt, ist nur teilweise nachvollziehbar. Die positive Psychologie ist eine neue akademische Sparte, die sich der Erforschung dessen verschrieben hat, was Menschen glücklich macht und welche Auswirkungen das Glücklichsein hat. Ehrenreichs Argwohn, dass es in der (US-) Glücksforschung (deren Protagonisten teils auch kommerziell als Lebensberater unterwegs sind), eine Tendenz gibt, die eigenen Forschungsergebnisse nicht so unvoreingenommen zu interpretieren und der Öffentlichkeit zu präsentieren, wie man es von Wissenschaftlern erwarten sollte, ist zwar absolut nachvollziehbar. Berechtigt ist auch, dass Ehrenreich auf viele methodische Schwächen zahlreicher Studien der Glücksforscher hinweist. Der Leser gewinnt allerdings den Eindruck, schon das Forschungsanliegen der positiven Psychologie sei generell kommerziell getrieben und damit unseriös. Und das scheint dann doch übers Ziel hinausgeschossen.

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Barbara Ehrenreich: Smile or Die. Wie die Ideologie des positiven Denkens die Welt verdummt. Kunstmann, München 2010, 19,90 Euro.

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