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Neue DIN SPEC für das Changemanagement

'Veränderung braucht Struktur'

Das Gros der Veränderungsprojekte in Organisationen verläuft nicht erfolgreich. Der zum BDU gehörende Fachverband Change Management will das mit einem neuen Vorgehensmodell ändern, das auf seine Initiative hin am DIN Institut entworfen worden ist. Mitentwickler Hans-Werner Bormann über den Sinn eines 'Standards' für etwas, das sich eigentlich nicht standardisieren lässt.

managerSeminare: Es heißt oft, Change könne man nicht managen, höchstens begleiten. Nun haben Sie aber am deutschen Normierungsinstitut DIN eine sogenannte DIN SPEC für das 'organisationale Change Management in Beratungskontexten' entwickelt, also eine Art Norm fürs Changemanagement.  

Hans-Werner Bormann: Auch wenn das Kürzel DIN etwas anderes suggeriert: Es geht uns eben nicht darum, Change-­Prozesse zu normieren. Wir alle im Konsortium waren uns einig, dass Change nicht standardisierbar ist. Und es war uns wichtig, dass genau das auch in unserem Papier drinsteht. Wobei wir tatsächlich gefürchtet haben, das DIN Institut zieht da nicht mit und erklärt uns 'Daraus können wir nichts machen'. Aber auch das DIN Institut versteht, dass es Bereiche gibt, die man nicht im engeren Sinne standardisieren kann – denen es aber dennoch guttut, wenn es dafür einen Rahmen gibt, der Begriffe definiert, Kriterien aufzeigt, anhand derer sich bewerten lässt, ob die eigene Herangehensweise gängigen Qualitätsstandards entspricht, und der bewährte Methoden und Instrumente vorschlägt. Der also für Orientierung sorgt. Deswegen ist es auch keine DIN-Norm geworden, sondern eine DIN-Spezifikation, die eine flexiblere Auslegung ermöglicht.

Klingt nach nice to have: Kann man sich dran halten, muss man aber nicht ...

Wir sehen da schon eine hohe Notwendigkeit. Denn auf der einen Seite steigt der Bedarf an zielführenden Veränderungsarchitekturen rapide. Auf der anderen Seite aber führen immer noch rund 70 Prozent der Veränderungsprozesse nicht zu den erwünschten Ergebnissen, dauern zu lange oder kosten mehr als geplant. Der Begriff Changemanagement ist in vielen Organisationen inzwischen nahezu verbrannt. Viele Mitarbeitende reagieren genervt darauf.

Was führt zu dem Versagen und dem Ãœberdruss?

Das größte Problem ist, dass sich die Veränderungsenergie häufig auf die betriebswirtschaftlichen Faktoren konzentriert. Man sagt sich: Wenn wir etwas zu verändern haben, dann macht das unser Projektmanagement. Das Changemanagement, das für den 'Faktor Mensch' zuständig ist, agiert getrennt davon, wenn überhaupt. Oft rückt das Thema 'Mensch' erst ins Bewusstsein, wenn es eine Krise gibt. Wir propagieren dagegen mit der neuen DIN SPEC einen integrierten Ansatz, der berücksichtigt, dass ein Veränderungsprozess neben Veränderungen der Aufbauorganisation oder der Prozesse auch Musterwechsel im Denken, Verhalten und Entscheiden braucht. Das gilt übrigens auch umgekehrt: Wir glauben nicht, dass reine Kulturveränderungsprojekte erfolgreich sein können. Weil beides – Veränderungen der Hard Facts und der Verhaltens- und Entscheidungsmuster – nur zusammen funktionieren. Reine Kulturveränderungsprojekte verpuffen. Nur die Integration von Musterwechseln im Denken, Verhalten und Entscheiden mit Veränderungen von Strukturen, Prozessen und Geschäftsmodellen führt zum Erfolg.

Darin klingt ein systemisches Verständnis von Organisationen und Veränderung an.

Richtig. Wir beziehen uns mit der DIN SPEC auf die Systemtheorie nach Niklas Luhmann, derzufolge Organisationen keine Maschine, sondern unberechenbare soziale Systeme sind. Dementsprechend kann man sie auch nicht verändern wie eine Maschine, also per Anweisung von oben. Dieses benötigte organisationale Denken wird in Unternehmen aber oft ausgeblendet. Stattdessen rücken einzelne Personen in den Vordergrund, nach dem Motto: Wenn man die vom Sinn des Wandels überzeugt hat, ist der Job erledigt. Bestenfalls startet man dann noch Kommunikationskampagnen und meint, damit die Veränderung organisiert zu haben. Meistens klappt das so aber nicht.

Was schlägt Ihre DIN SPEC stattdessen vor?

Wir betonen, dass es stets darum geht, den jeweiligen Fall genau zu untersuchen und davon ausgehend eine integrierte Change-Architektur aufzubauen, die individuell auf die jeweilige Situation passt. Denn: Auch wenn das Change-Ziel in Unternehmen X womöglich dasselbe ist wie in Unternehmen Y, ist die Lage in den Betrieben wahrscheinlich sehr unterschiedlich. Nehmen Sie das Vorhaben: 'Wir führen ein neues SAP-Modul ein.' Es gibt große Unternehmensberatungen, die fünf Ordner im Regal stehen haben, in denen steht, wie man das macht. Und so wird es dann auch gemacht – in jeder Firma auf dieselbe Art. Aus unserer Sicht ist das mit ein Grund dafür, dass Change-Prozesse misslingen.

Die Beratungsunternehmen sind also schuld?

Das größte Problem ist, dass viele Organisationen sich nicht mit dem Thema Veränderung auseinandersetzen wollen. Also vergeben sie Aufträge an Beratungsunternehmen, die ihnen versprechen, dass sie die Veränderung für die Organisation durchführen, nach dem Motto 'Kein Thema, wir machen Ihnen das'. Was die Beratungsfirmen dann gut lösen, ist das Optimieren von Prozessen und die Veränderung der Aufbaustruktur. Aber die zur Zielerreichung notwendigen Musterwechsel im Denken und Entscheiden lassen sich nicht per neuer Prozessanweisung realisieren. Dazu muss sich das Unternehmen schon intensiv mit der eigenen Situation auseinandersetzen – und darf dabei auch vor seinen kulturellen Mustern nicht haltmachen. Es braucht daher einen partizipativen Ansatz, wie wir ihn in der DIN SPEC empfehlen: eine starke Beteiligung der ganzen Organisation oder weiter Teile davon. Gefragt sind hier vor allem die Führungskräfte. Vieles muss durch direkten Kontakt, in gemeinsamer Reflexion herausgearbeitet werden. Berater können durch Beobachtung und Anleitung dazu beitragen, dass auch jene Denk- und Verhaltensmuster ans Licht kommen, die den Organisationsmitgliedern nicht selbst bewusst sind.  

Manche sagen ja heute, dass Change­management – verstanden als ein vordefinierter Prozess, der ein Anfang und ein Ende hat – nicht mehr up to date ist, weil sich Unternehmen permanent wandeln müssen. Sie aber schlagen genau solch ein prozesshaftes Vorgehensmodell vor.

Ich sehe in unserem Ansatz, Change-­Vorhaben orientiert an einem Phasenmodell strukturiert anzugehen, kein Hindernis dafür, Change als dauerhaften Prozess zu verstehen. Unser Verständnis unterscheidet sich klar vom Change-Verständnis Kurt Lewins, der Change Ende der 1950er-Jahre als einen Prozess von 'auftauen, verändern und einfrieren' verstand. Heute braucht man nichts mehr aufzutauen, da alles ohnehin ständig in Bewegung ist. Und einfrieren kann man auch nichts mehr, weil es sich weiterbewegt. Nach dem Change ist vor dem Change; eine Initiative greift in die andere über. Das heißt aber nicht, dass man für spezifische Veränderungsvorhaben ohne Struktur auskäme oder keinen Überblick bräuchte. Die Ressourcen sind nun mal begrenzt. Deshalb gilt es, Prioritäten zu setzen und diese gezielt einzusetzen.

Die breitere Öffentlichkeit war eingeladen, sich in den Entwicklungsprozess der DIN SPEC einzuklinken. Hat sie das getan?

Die Initiative zur DIN SPEC ging von zehn Konsortiumsmitgliedern aus – alle Beratungsunternehmen mit  Experten im Changemanagement und alle Mitglieder im BDU Fachverband Change Management. Der Einladung des DIN zu Gewinnung zusätzlicher Teilnehmer sind dann keine weiteren Institutionen gefolgt. Aus unserer Sicht spricht das für das Vertrauen, das der Fachverband in Expertenkreisen genießt.

Hans-Werner Bormann, Geschäftsführer der WSFB-Beratergruppe Wiesbaden, hat als Vorstandsvorsitzender im Fachverband Change Management des BDU die DIN SPEC 91405 für organisationales Changemanagement mitentwickelt.

Die DIN SPEC 91405

Der Hintergrund:
2017 hat der Fachverband Change Management im Bundesverband Deutscher Unternehmensberater (BDU) einen Change-Leitfaden für Entscheider publiziert, in dem er professionelle Standards für Veränderungsprojekte beschrieben hat. Vom Fachverband ging Anfang 2019 dann die Initiative aus, auf dieser Grundlage eine DIN SPEC als Rahmenwerk für professionelles Changemanagement zu erarbeiten, um damit sowohl Unternehmen, die ­Change-Prozesse durchführen, als auch Changemanagement-­Beratungsfirmen zu erreichen. Die DIN SPEC 91405 ist allerdings keine DIN-Norm, sondern eine Publicly Available Specification, kurz: PAS. Solche Regelwerke können in wenigen Monaten von interessierten Personen unter Beratung des DIN Instituts erarbeitet und publiziert werden, ohne dass dabei alle interessierten Kreise eingebunden sein müssten oder deren Konsens hergestellt werden müsste. Eine PAS hat daher nicht die Verbindlichkeit einer DIN-Norm.

Die Inhalte:
Die DIN SPEC 91405 – Organisationales Changemanagement in Beratungskontexten betont, dass jedes Change-Vorhaben in jeder Organisation einzigartig ist. Zudem legt sie einen Schwerpunkt darauf, dass sowohl die sachlichen wie auch sozialen Dimensionen stets zusammengedacht werden müssen. Sie schlägt ferner ein exemplarisches vierstufiges Phasenmodell für den Change vor (Change-Analyse, Organisationsanalyse, Entwicklung der Vorgehensarchitektur, Umsetzungsphase). Das Modell soll helfen, die hohe Komplexität von Veränderungsvorhaben zu bewältigen, ohne ein 'rezepthaftes Agieren' zu verlangen. Pro Phase ist beschrieben, welche Themen auf verschiedenen Ebenen (Aufgabe, Führung, Mitarbeiterbeteiligung, Qualifikation, Monitoring, Kommunikation) im Blick zu behalten sind. Zudem liefert das Papier eine Übersicht bewährter Change-Methoden und definiert Rollen im Changemanagement.

Quelle: www.managerseminare.de, Fachverband Change Management; abrufbar ist die DIN SPEC 91405 unter https://bit.ly/2Ie4Ypy.
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