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Modern Work Tour
Modern Work Tour

New Work in der argentinischen Hyperinflation

Seit Oktober 2022 sind Anna und Nils Schnell wieder auf Modern Work Tour. Diesmal bereist das Hamburger Unternehmerpaar Süd-, Mittel- und Nordamerika, um dort neue und innovative Arbeitsweisen aufzuspüren und spannende Unternehmen kennenzulernen. In ihrem dritten Tour-Bericht schildern sie ihre Erkenntnisse aus dem krisengeschüttelten Argentinien.

Nur eine vierstündige Fährfahrt über den Rio de la Plata verbindet die uruguayische Hauptstadt Montevideo mit Argentiniens Weltstadt Buenos Aires. Der Silberfluss, in dem sich Meer- mit Flusswasser verbindet, was für seine besondere Färbung sorgt, ist auf gewisse Weise auch bezeichnend für die Unterschiedlichkeit dieser beiden Länder. Während Uruguay mit steuerfreundlichen Zonen internationale Konzerne anlockt, herrscht in Argentinien eine Hyperinflation von über 90 Prozent. Hier regiert der Dollar Blue, der illegal auf dem Schwarzmarkt erworbene US-Dollar.

„Cambio, cambio …“ ist in bestimmten Stadtteilen von Buenos Aires eines der meistgehörten Worte, die durch die Straßen geistern. Durchgeführt wird der Geldwechsel von den „Arbolitos“, was im Spanischen so viel wie „kleine Bäume“ bzw. „Bäumchen“ heißt. Die Analogie trifft es, denn die US-Dollar-Scheine sind so saftig grün wie Blätter, und der Tausch findet stets an derselben Stelle statt, eben wie ein Baum an derselben Stelle steht.

Benefits kürzen, um Purpose zu erzeugen

Argentiniens Hyperinflation beeinflusst auch das Business: Gehaltsanpassungen sechs- bis siebenmal im Jahr sind hier normal; Unternehmen müssen auf die Inflation reagieren. Das erklären uns der Geschäftsführer Federico Sabater und die Personalleiterin Mariel Lembodes vom Softwareunternehmen Itrio, als wir mit den beiden in einem der klassischen Kaffeehäuser von Buenos Aires sitzen.

Das Unternehmen Itrio zeichnet sich dadurch aus, dass es – anders als viele traditionelle Unternehmen in Argentinien – sehr kreativ mit der Herausforderung umgeht, ständig das Gehalt seiner Mitarbeitenden erhöhen zu müssen. So hat Itrio-Chef Sabater die Erstattung von Fahrten gekürzt, um den finanziellen Spielraum dafür zu bekommen, die Gehaltsanpassungen der Mitarbeitenden schon vorzunehmen, bevor diese überhaupt danach fragen. Wer nun stutzt und sich fragt, was die Kürzung eines Benefits soll, um ein anderes Benefit zu erreichen, muss wissen: So wie überall auf der Welt, sind die Mitarbeitenden auch in Argentinien vermehrt im Homeoffice, weswegen die Erstattungsleistungen ohnehin weniger gefragt sind.

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Die Flexibilität ihres Unternehmens kommt bei den Mitarbeitenden von Itrio gut an, denn in der Branche der Softewareentwicklung wird Gehalt normalerweise erst nach harter Verhandlung angepasst. Man nimmt bei Itrio demnach eine ganz andere Haltung gegenüber den Mitarbeitenden ein, und das führe, so HR Head Mariel, zu mehr Vertrauen. Immerhin bestehe ein Leitwert der Firma darin, Sinnvolles für andere zu tun. „Und es ist der Job der Unternehmensleitung, das auch für die eigenen Mitarbeitenden zu tun“, sagt Mariel. Ein schönes Beispiel dafür, wie Arbeitnehmende auch bei dem, was sie letztlich im Portemonnaie haben, von der Agilität ihres Arbeitgebers profitieren können.

Nebenberuflich neue Organisationsformen ausprobieren

Im trendigen Stadtteil San Telmo treffen wir Jonathan Misrari. Wir sitzen im Hauptquartier von Biking Buenos Aires, einem holakratischen Unternehmen aus der Tourismusindustrie. Alle Mitarbeitenden organisieren hier ihre Arbeit selbstbestimmt, ausgerichtet an den Unternehmenswerten. Als Anbieter von nachhaltigen und ganzheitlichen Fahrradtouren ist es Jonathan Misrari wichtig, Menschen seine spannende Stadt nicht nur zu zeigen und Geschichten dazu zu erzählen, die Kunden sollen auch authentische, argentinische Erlebnisse haben, um in die Kultur einzutauchen. So lernt man auf der Radtour die Kunst der Matezubereitung kennen und stellt sich eine „Bondiola Completa“ selbst zusammen. Fun Fact am Rande: Fleisch gehört zur argentinischen Kultur wie der Tango, deswegen darf die Steuer darauf trotz Hyperinflation nicht erhöht werden; allen soll weiterhin das traditionelle Barbecue, das Asado, möglich sein.

Interessant ist vor allem: Biking Buenos Aires verwirklicht sein Angebot nicht nur in einer holakratischen Struktur, sondern auch ausschließlich mit Mitarbeitenden, die allesamt in Teilzeit sind. Genauer: Alle sind Sidepreneure, die noch einen anderen Job haben. Das war auch der Grund dafür, dass wir dieses Unternehmen unbedingt kennenlernen wollten. Denn dass die Mitarbeitenden bei Biking Buenos Aires komplett in Teilzeit arbeiten, stellt hohe Anforderungen an ihre Fähigkeit, sich entsprechend zu organisieren und zu strukturieren – was ihnen in Selbstorganisation aber offensichtlich gut gelingt. Firmengründer Jonathan sieht im Sidepreneur-Dasein gar die Zukunft der Arbeit: So nämlich könnte man wunderbar neue Organisationsformen ausprobieren und Erfahrungen machen, die einem auch im Hauptjob weiterhelfen würden. Er selbst ist im Hauptjob Purpose Agent im Beratungsunternehmen encode. Und er sieht seine Aufgabe darin, zukünftige Arbeitsformen wie Holakratie in Organisationen zu bringen und den Menschen diese Arbeitsweise verständlich zu machen.

Zukunft der Arbeit weltweit

Das New-Work-Unternehmerpaar Anna und Nils Schnell (Beratungsfirma MOWOMIND) ist im Rahmen seiner „Modern Work Tour“ bisher durch mehr als 39 Länder gereist, hat mit mehr als 150 Vordenkern und Vordenkerinnen gesprochen und daraus neun „Modern-Work-Prinzipien“ abgeleitet. Diese Prinzipen stellen die beiden in ihrem bei Gabal erschienenen Buch „Die Modern Work Tour – Eine Reise in die Zukunft unserer Arbeit“ vor. Auf ihrem Youtube-Kanal „The Schnells“ informieren sie wöchentlich über ihre auf Reisen geführten Erkenntnisse zur modernen Arbeitswelt weltweit. Unternehmensbeispiele aus Brasilien und Uruguay stellten wir schon in den vorigen beiden Heften vor (bit.ly/3XztMgK und bit.ly/3iTWDxj).

Jonathan macht im Gespräch deutlich: Damit Wandel im Unternehmen funktionieren kann, müssen Mitarbeitende aktiv ihre eigene Arbeit gestalten dürfen. „Es ist wichtig, zu verstehen, dass wir andere nicht empowern können. Empowern können Menschen nur sich selbst“, sagt Jonathan – und räumt damit mit einem Missverständnis bei Managern auf. Er sieht darin aber auch eine enorme Herausforderung: Sich selbst zu empowern, bedeute, das eigene Wissen durch Erfahrungen zu stärken und nicht wie ein Kind einem Vorbild nachzueifern. Es den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu ermöglichen, eigene Erfahrungen machen und diese als Lernerkenntnisse miteinander teilen zu können, sei die Aufgabe einer Führungskraft der Zukunft. Eine sehr ähnliche Perspektive haben wir bereits bei Damien Wong vom Unternehmen Red Hat in Singapur kennengelernt (und in managerSeminare darüber berichtet: www.managerseminare.de/MS265AR03).

Im Grunde geht es darum, vor allem passende Rahmungen zu setzen. So gibt es bei Biking Buenos Aires beispielsweise für Nachwuchsführungskräfte eine Auswahl an Mentoren, deren Dienste die Nachwuchsleader in Anspruch nehmen sollen – so die Vorgabe. Doch die Nachwuchskräfte suchen sich ihre Mentoren selbst aus. Und sie entscheiden eigenständig, wie sie mit diesen arbeiten wollen: vor Ort, persönlich, remote etc. Das Unternehmen arbeitet außerdem mit dem Format eines Council, das den Rahmen dafür gibt, dass alle im Betrieb (unabhängig von Position, Alter etc.) die Möglichkeit haben, beratend an Themen mitzuwirken.

Die nächsten Stationen auf der Modern Work Tour sind Chile und Bolivien, mehr dazu im kommenden Heft.

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