#NWW17 New-Work-Reverse-Pitch

Unternehmen fragen, Startups antworten

In einem Pitch sind die Rollen klar verteilt: Potenzielle Investoren schauen sich an, was ihnen diverse Innovatoren zu bieten haben. Doch das Prinzip lässt sich auch umdrehen. So geschehen bei der New Work Week in Düsseldorf, in deren Rahmen der Startup-Inkubator Startplatz zum Reverse Pitch einlud.

Beitrag von Sylvia Jumpertz

Am Ende wird Carsten Rhinow ziemlich direkt. „Wir haben Angst“, sagt der Spezialist für Lerninnovationen von der Akademie deutscher Genossenschaften in Montabaur. Klar, er lacht dabei – und relativiert den dramatischen Satz sofort wieder ein bisschen. „Eigentlich“, so Rhinow, „geht es uns ja noch gut.“ Die Betonung liegt allerdings auf „noch“. Denn: „Jedes Geschäftsmodell hat wie ein Joghurt sein Ablaufdatum, auch Geschäftsmodelle im Weiterbildungsbereich“, scherzt Rhinow.

Warum das Modell der ADG voraussichtlich bald „drüber ist“, das hat er eben hier erklärt. Es ist ein Dienstag, Ende Oktober 2017. Und es ist der zweite Tag der vom Düsseldorfer Startup-Inkubator Startplatz organisierten New Work Week (#NWW17). 30 überwiegend junge Leute – Mitarbeiter und Gründer von Startups, aber auch von digitalen Agenturen und Beratungsinstituten, die nicht mehr ganz so frisch am Markt sind – sind der Einladung zur heutigen Abendveranstaltung gefolgt: einem Pitch der besonderen Art.

Besonders deshalb, weil sich hier nicht junge Erfinder und Startup-Gründer Unternehmensvertretern vorstellen, um diese von ihren Ideen und innovativen Diensten zu überzeugen. Sondern, weil es genau umgekehrt ist: Unternehmensvertreter stellen sich hier aufs Podium, um den jungen Innovatoren und Startup-Gründern im Publikum zu erzählen, wo bei ihnen in Zeiten des digitalen Wandels der Schuh drückt.

Das Ziel: Inspiration einzufahren von denen, die noch nicht festgefahren sind im Alltagsbusiness, die neue Ideen und vor allem digitales Know-how aufzubieten haben. Spätere Kooperation nicht ausgeschlossen. Die Voraussetzung: Klartext reden. Will heißen: Wer sich als Firmenvertreter hier hinstellt, der darf seine Lage nicht in rosa Werbe-Watte verpacken. Der Reverse Pitch funktioniert nur dann, wenn die Etablierten nicht davor zurückschrecken, sich Blößen zu geben.

ADG-Mitarbeiter Rhinow hat das offenkundig verstanden. Zwar erklärt er eingangs, dass die ADG nach wie vor mit 1.450 Veranstaltungen und 21.300 Teilnehmern im Jahr ziemlich gut im Geschäft ist. Aber er umreißt auch klar die Bedrohung für das Geschäftsmodell, das derzeit noch im wesentlichen darauf beruht, Genossenschaftsmitarbeitern klassische Weiterbildungen anzubieten. Zu denen reisen die Teilnehmer nach Montabaur an, wo sie im hauseigenen Hotel einquartiert und von Dozenten trainiert werden, die die ADG je nach Thema und Inhalt des Trainings anheuert.

Die Bedrohung besteht darin, dass der ADG ihre Hauptzielgruppe wegzubrechen droht – Bankvorstände, -führungskräfte und -spezialisten. Denn viele Banken haben bereits Filialen geschlossen und sind dabei, Prozesse zu digitalisieren. Das heißt: Sie brauchen weniger Personal. Obendrein ändern sich die Kundenansprüche. Kaum ein Vorstand hat noch Zeit, zu einem längeren Vor-Ort-Seminar anzureisen. Erwartet werden stattdessen zunehmend digitalisierte Bildungsangebote.

Und dann ist da noch die Konkurrenz: Neue Bildungsplattformen schießen wie Pilze aus dem Boden. Junge Leute sind längst daran gewöhnt, Informationen aus Youtube-Videos abzurufen. „Und selbst bei Linkedin gibt es schon Dozenten“, konstatiert Rhinow. Deshalb stehen bei der ADG die Zeichen auf Change. Eine Lernplattform ist schon an den Start gebracht. Webinare ergänzen zunehmend das klassische Vor-Ort-Angebot.

Doch das reicht nicht. Es braucht neue Geschäftsmodelle und neue Formate. Vorzugsweise solche, die weniger auf Informationsvermittlung als darauf ausgerichtet sind, Menschen zum Lernen zusammenzubringen oder ihnen individualisiertes Lernen zu ermöglichen. Und es braucht technisches Know-how von Data-Analysten und anderen Fachleuten der digitalen Welt.

Später, beim Umtrunk nach dem eigentlichen Pitch, ist Rhinow prompt von diesem Know-how umringt: Die Mitarbeiter einer jungen digitalen Agentur finden spannend, was er eben über Lernformate aus dem Bereich Augmented Reality erzählt hat. Tatsächlich hat die Akademie schon damit begonnen, Führungskräfte in fiktiven Szenarien via virtuellem Rollenspiel in Sachen Empathie zu schulen. Jetzt sollen weitere Projekte dieser Art folgen. Zwischen Rhinow und den Digitalexperten entspinnt sich ein Fachgespräch, das beide Seiten sichtlich anfixt. Am Ende wechseln Visitenkarten die Hände. Für Rhinow ist die Mission, neue Kontakte zu digitalen Bildungsexperten zu knüpfen, somit schon mal aufgegangen. Und ein paar Denkanstöße kann er vom heutigen Abend auch mit nach Hause nehmen. Denn die Fragen, die vorhin aus dem Publikum kamen, waren durchaus reflektiert und kritisch. Etwa die danach, ob die ADG nicht Gefahr läuft, sich selbst zu kannibalisieren, wenn sie sich noch stärker digitalisiert. Immerhin gehört der Hotelbetrieb in Montabaur mit seinen 150 Mitarbeitern zum Kerngeschäft. Oder die, ob schon daran gedacht worden sei, Offline- und Online-Weiterbildung stärker zu verknüpfen.

Auch der Firma Unitymedia brennen derzeit jede Menge Fragen unter den Nägeln, wie Unitymedia HR-Business-Partnerin Lena Göritz – die zweite Präsentatorin im Pitch – ähnlich offen wie Rhinow den Zuhörern erklärt. Auch sie erzählt, dass ihr Unternehmen bereits viel dafür tut, die Kultur auf 4.0.-Niveau zu heben. Etwa, dass es auf Führung auf Augenhöhe und die Abschaffung individueller Ziele setzt, um die Partizipation zu fördern.

Aber auch Göritz beschönigt nichts, sondern benennt zwei der größten Probleme, für die das HR-Management in ihrer Firma gerade dringend nach Lösungen sucht: Es gibt immer noch Silos, zwischen denen der Informationsaustausch nicht so gut funktioniert wie er sollte. Und das Unternehmen tut sich schwer damit, seinen Mitarbeitern teils trockene Lerninhalte auf motivierende Weise nahezubringen. „Wer studiert schon gern einen Packen dröger Unternehmenskennzahlen?“, nennt Göritz ein Beispiel. Trotzdem muss die Firma ihre Mitarbeiter genau dazu anregen. Schließlich sollen sie in Zukunft über alles im Unternehmen bestens informiert sein, um möglichst eigenständig die richtigen Entscheidungen treffen zu können.

Jetzt hofft Göritz auf Inspiration aus dem Publikum, wie sich das Problem anpacken lässt. Selbst aktiv geworden ist Unitymedia freilich auch schon. Um die Siloprobleme zu beheben, wurde bereits eine interne Social-Media-Plattform aus der Taufe gehoben, die die Zusammenarbeit unterstützen soll. Und was das Problem der drögen Wissensinhalte angeht, will das Unternehmen nun auf Gamification setzen. Die Frage ist nur: Wie genau soll so ein Ansatz aussehen? Was ist sinnvoll, was nicht? Bringen zum Beispiel Apps im Stil von Wissensquiz etwas?, fragt Göritz in die Runde. Ist es sinnvoll, wenn Mitarbeiter durch extrinsische Anreize, etwa Punktesammeln, zum Lernen motiviert werden?

Auch hier kommen viele Anmerkungen, die Göritz als Denkanstoß mitnehmen kann. Zwar nichts völlig Quergedachtes, aber solide Gedanken zum didaktischen Mehrwert des Vorhabens. Etwa: Beim Thema Gamification immer zuerst das Warum klären, dann das Wie. .... Etwa: Beim Thema Gamification immer zuerst das Warum klären, dann das Wie. Oder: Nicht auf mobile Tools setzen, wenn sie gegenüber dem Austausch vor Ort keinen Mehrwert bieten. Am Ende hat die Personalerin zwar keine fertigen Antworten - was bei einem Kurzformat wie dem Pitch auch kaum möglich wäre - aber, so sagt sie hinterher, „immerhin schon mal das Gefühl, dass wir auf dem richtigen Weg sind.“

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Foto 1: Umgekehrte Verhältnisse: Beim Reverse Pitch saßen nicht Unternehmensvertreter und Investoren im Publikum, um sich von Startups Ideen und neue Entwicklungen präsentieren zu lassen. Statt dessen präsentierten Unternehmensvertreter den Startup-Gründern und -mitarbeitern im Publikum ihre Problemfelder.

Foto 2: Auf der Suche nach guten Ideen für ihr Unternehmen war beim Reverse Pitch des Startup-Inkubators Startplatz Unitymedia-HR-Business-Partnerin Lena Göritz. Hier im Bild mit Lorenz Graf, dem Gründer von Startplatz.

27.10.2017
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