Führung in der C-Zeit

Der Tod, das Mehl, was nun?

Die Gemengelage ist unübersichtlich. Ein kunterbuntes Stimmengewirr zu Pandemie, Rezession, Exit-Strategien und alsbald anbrechendem ökologischen Zeitalter beherrscht die Diskussion. Und in den Betrieben? In vielen herrschte tagelang das blanke Chaos. Wie geht Führung, wenn die Welt schief steht?

Ein Gastbeitrag von Friederike Müller-Friemauth

Crashkurs in Sachen Komplexität gefällig? Gibt’s gerade frei Haus, willkommen in der Corona-Normalität! Vor 100 Jahren hatten wir die letzte Seuche, der heutigen begegnen wir mit exakt dem gleichen Mittel (Kontaktsperre). Wir stehen paralysiert vor Bildern von Kranken auf Intensivbetten, Gabelstaplern und Militärkonvois, die Leichen transportieren; vor zusammenbrechenden Versorgungsketten und leergefegten Supermarktregalen. Fast jeder erlebt im Bekanntenkreis Existenz- und Zukunftsangst, Familien machen Stresstests, die Sorge um soziale Gewalt steigt, deren Faktizität auch. Und was geht in den Unternehmen? Wie geht Führung gerade jetzt?

Führungskräfte haben im besten Fall gelernt, wie man Umorganisationen flankiert, neue Technologien einführt, hinzukommende Unternehmen integriert, bei Fachkräftemangel trotzdem Leute findet, sich von Mitarbeitern trennt, Konflikte zwischen Oben, Unten und Betriebsrat entschärft, allerlei Change einrichtet, ausrichtet und selbst aushält. Wie man führt, wenn keiner mehr anwesend ist und ein Korridor, der zu führen ist, gar nicht existiert, wissen Führungskräfte in der Regel nicht. Woher auch? Hier geht es nicht um die üblichen Verdächtigen wie Homeoffice, virtuelle Meetings und Kurzarbeit, sondern um das, was das mit den Menschen macht – und dass Führungskräfte derlei Befindlichkeiten wahrnehmen, auf sie eingehen, eben führen müssen.

Was wir in dieser Situation tun können, wissen im Grunde alle, nichts davon ist neu oder besonders, wir neigen jedoch dazu, mit einem Brett vor dem Kopf herumzulaufen und das Nächstliegende nicht zu sehen. Die Paralyse betrifft auch die Führungskräfte.

1. Die Weisung hat Pause.

Viele Mitarbeiter fragen berechtigterweise danach, was sie tun sollen, können, wie’s weiter geht. Der Info-Bedarf ist riesig, die Verunsicherung auch, die Leute wollen Orientierung (zumindest Transparenz). Hier lässt sich aus der Anthropologie, also aus unserer Geschichte als Menschen, lernen. Orientierung in solchen Zeiten heißt gerade nicht, dass Don oder Donna Wichtig sagt, wo’s lang geht, sondern dass Menschen die Situation besprechen, bereden, diskutieren können. Isolation, Homeoffice, evtl. mit Kindern zu Hause, schlechte Nachrichten aus dem privaten Umfeld, vielleicht gesundheitliche Probleme, Angst vor Arbeitsplatzverlust, finanzielle Sorgen – es ist der Job von Führung, Zonen zu öffnen, in denen das thematisiert werden kann.

Werden Türen dahingehend geöffnet, müssen Führungskräfte jedoch aufpassen, nicht überflutet zu werden. Menschen verarbeiten Krisen durch reden; oft redundant bis zum Verdruss. Nichts zu sehen von Inspiration, kreativen Ideen, innovativen Vorschlägen, Eigeninitiative, agilem Aplomp, Aufbauideen. Gute Führung räumt das ein. Sie bedeutet, nicht in die Falle einer inhumanen Krämerseele zu tappen, die in Managermanier konstruktive Vorschläge einfordert, um die Stimmung zu heben.

Psycho-Geschwurbel über Mut und Zuversicht kann man getrost anderen überlassen, Krisenführung geht anders. Wir leiden alle an der Situation, emotional ist es für jeden anstrengend. Wenn es gelingt, das rüberzubringen, die Antwort auf das „Wie geht es Ihnen?“ so hinzunehmen, wie sie ausfällt, und nicht den Fehler zu begehen, auf die Orientierungsfrage der Mitarbeiter umgehend neue Regeln zu dekretieren, bleiben Sie im Boot. Das ist schwer – denn sich an Vorgaben festhalten zu können, gäbe Halt und Standpunkt. Nichts ist tiefer internalisiert als das nächste hierarchische Rezept zu zücken. Wer es schafft, zu kommunizieren, dass zwar nicht das betriebswirtschaftliche, aber das persönlich-emotionale Geländer mitunter durchaus wackelt, führt. Wir sind keine Maschinen, tun Sie nicht so, als ob doch.

2. Den Authority Bias in Schach halten

Unmittelbar damit zusammen hängt die Neigung von Homo sapiens, in Krisenzeiten Autorität zu suchen. Wir sehen das gerade in der Politik – harte Durchgriffe (und entsprechende Akteure) steigen in der Beliebtheit. Wir bilden als Gruppe einen perfekten Affenfelsen ab, wir brauchen Leute, die das Heft des Handelns in die Hand nehmen. Für Führungskräfte ist das eine Falle, denn sie wissen noch nicht, wohin sie führen, folglich kann Autorität in dieser Zeit nicht aus Richtungsgebung bestehen.

Aus dieser Nummer gibt es altbekannte Auswege: Wir beginnen, mental lockerer zu werden, wenn wir Kontrollmacht spüren, wenn wir Einfluss nehmen können und als Person nicht egal sind, wenn wir Aufgaben übernehmen und „konstruktiv etwas beitragen“ können. Wenn wir spüren, dass den Führenden an einem liegt, dass „die da oben mit mir planen“, und dass uns Kompetenz zugesprochen wird.

Über welche Themen in Ihrem Betrieb können Sie das vermitteln? Die afrikanische Gemeinschaftsphilosophie des Ubuntu ist dabei ein guter Leitstern: „Ich bin, weil ihr seid“. Der Marketing-Sprech fasst das zwar nüchterner (ohne Mitarbeiter kein Unternehmen), aber in der Krise können und müssen (gute) Führungskräfte über die BWL hinauswachsen. Die Autorität, die daraus sprießt, begründet Gemeinschaft, Verbundenheit, einen „Corporate Tribe“. Das nimmt nicht nur Angst und erdet, sondern fundiert die betriebliche Zukunft. Ihre besten Mitarbeiter prüfen gerade, ob Sie sie wert sind. Und Sie zeigen Ihnen gerade Ihre Antwort, ob Sie wollen oder nicht.

3. Keine falschen Versprechungen

Die meisten Betriebe, die ins Schlingern geraten, haben keine Ahnung, wie sich die Situation entwickeln wird. Keine gute Idee ist es deshalb, Zahlen, Fristen, Zeitpunkte zu nennen. Sie würden jedes Wort, das künftig fällt, daran rechtfertigen müssen. In dynamischen Phasen ist das nicht möglich. Eine gute Idee ist für viele, sich ein paar Sätze konkret ausformuliert aufzuschreiben und diese zu verinnerlichen: Kleinteilig-detaillierte Auskunft über den Ist-Zustand geben, über die eigene Haltung, wie man unternehmerisch an die Situation herangeht, und was die zunächst wichtigsten Kriterien sind, an denen man bemisst, wie es weitergeht.

Das Wort „abwarten“ sollte man vermeiden, genauso wie „wir arbeiten daran“, „das ist in Prüfung“. Unser Gehirn kann Zeit nicht verarbeiten, die Adressaten hören: „Es passiert nichts“, sie deuten: „Die haben keinen Plan“. Eine authentisch beruhigende Botschaft wäre stattdessen: „Ich weiß, was ich in nächster Zukunft warum tue, und wie ich es bewerte. Was ich danach mache, kann ich heute noch nicht sagen, aber ich sage es euch, sobald ich es weiß.“ Ganz klar: Das klingt einfacher, als es ist.

4. Dem Digital-Fake den Garaus machen

„Social Distancing“, wie zwischenmenschliche Zwangsisolation unter Freiheitsbedingungen derzeit genannt wird, lässt unsere kommunikativen Bedürfnisse offensichtlicher werden, als sie es ohnehin sind. Unternehmen, in denen zwar digitale „Tools“ vorhanden sind, die aber eine digitale Kommunikation bisher nicht entwickelt haben – zum Beispiel, weil die Führungsebene selbst keine Affinität dazu hat –, nehmen gerade steile Lernkurven. Denn digitale Lippenbekenntnisse fallen jetzt auf.

Während es erstaunlich vielen Menschen gerade relativ leichtfällt, sich unter Hochdruck in die digitale Welt zu begeben und sich darin situativ sogar wohlzufühlen, überlassen andere den digitalen Raum großzügig ihren Homeoffice-Mitarbeitern und den dafür Zuständigen. Dabei reichte es aus, Menschen Feedback zu geben, sie um Ideen zu bitten, oder auch, sie auf eine Weiterbildung aufmerksam zu machen (wenn eine entsprechende Perspektive realistisch ist).

Führungskommunikation heißt nicht Mitarbeitergespräch. Die Krise bedeutet die globale Aufforderung, digital kommunizieren zu üben. Alle müssen das, wenige haben’s gelernt (übrigens auch die Jungen nicht, wie man schnell feststellt), erinnern wir uns an die Bremer Stadtmusikanten: „Etwas besseres als das Schweigen findest du überall“.

Die Autorin: Prof. Dr. Friederike Müller-­Friemauth lehrt an der FOM Hochschule am Hochschulzentrum Köln. Zudem ist sie Mitinhaberin von „Kühn Denken auf Vorrat“, einer Konzeptberatung für angewandte ökonomische Zukunftsforschung. Kontakt: www.denkenaufvorrat.de





14.04.2020
Wir setzen mit Ihrer Einwilligung Analyse-Cookies ein, um unsere Werbung auszurichten und Ihre Zufriedenheit bei der Nutzung unserer Webseite zu verbessern. Bei dem eingesetzten Dienstleister kann es auch zu einer Datenübermittlung in die USA kommen. Ihre Einwilligung bezieht sich auch auf die Erlaubnis, diese Datenübermittlungen vorzunehmen.

Wenn Sie mit dem Einsatz dieser Cookies einverstanden sind, klicken Sie bitte auf Akzeptieren. Weitere Informationen zur Datenverarbeitung und den damit verbundenen Risiken finden Sie hier.
Akzeptieren Nicht akzeptieren
nach oben Nach oben